Mit „Songbird" kommt der wohl erste Film, der die noch andauernde Pandemie für das Kino inszeniert und eine düstere Zukunft prophezeit. Bei Kritikern hat er bisher stark polarisiert.
Es gehört zum Filmgeschäft, dass Produzenten, Regisseure und Drehbuchautoren die Wirklichkeit aufmerksam beobachten. Was ihnen an Politik und Gesellschaft interessant und gewinnträchtig erscheint, arbeiten sie in eine Story für einen Film um. Ob Kriege, Schiffsuntergänge, Umweltkatastrophen oder menschliche Schicksale: Vieles, was im Kino fiktiv als Märchen, Action oder Drama die Menschen unterhält, basiert mal mehr, mal weniger deutlich auf realen Ereignissen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die Corona-Krise als Film verpackt wird. Es ist so weit: „Songbird" ist da, der wohl erste Corona-Pandemie-Thriller.
Ein schlimmeres, neues Virus
Die Geschichte: Etwa vier Jahre nach dem Beginn der Corona-Pandemie schlägt ein neues, noch schlimmeres Virus zu und fängt dann auch noch an zu mutieren. Mehr als acht Millionen Tote in einem Jahr gehören zu den dramatischen Folgen. Ein kompletter Lockdown wird über Los Angeles verhängt, um den Ausbruch einzudämmen. Der Lieferbote Nico hat eine seltene Immunität gegen das Virus. So kann er weiter als Lieferant arbeiten und bringt auch etwas Hoffnung für die Menschen mit. Seine Freundin Sara muss in ihrem Apartment bleiben, Nico darf nicht zu ihr. Bei dem Versuch, sie trotzdem zu sehen, muss er das strenge Kriegsrecht überwinden, sich mordender Banden erwehren und sich vor allem gegen eine mächtige Familie durchsetzen. Deren Oberhaupt wird vor nichts zurückschrecken, um Familie und Lebensstil zu bewahren. Nicos Suche wird noch schwieriger, weil Sara ihre Wohnung räumen muss, nachdem ein Nachbar sich mit dem Virus infiziert hat. Aber Nico will nicht aufgeben.
„Songbird" wirft die Frage auf, ob es wirklich eine gute Idee ist, einen Covid-19-Film mitten in der noch nicht bewältigten Pandemie zu veröffentlichen. Will der Film große Kasse machen mit den Ängsten der Zuschauer? Vielleicht – Kino und Kommerz gehören zusammen. Allerdings hat das Medium Film schon immer die Aufgabe, Ereignisse der realen Welt in ein neues Licht zu rücken, die Geschichte weiter zu denken und den Menschen auf diese Weise vorzuhalten, was kommen könnte. So warnt „Terminator" (1984) vor der Abhängigkeit von Computerprogrammen, während „Die Tribute von Panem" (2012) die Trennung von Armen und Reichen anprangert.
Ein Hauch „Romeo und Julia"
Die Idee zu „Songbird" hatten Adam Mason und Simon Boyes im März 2020. Beide Autoren haben reichlich Erfahrung mit Horror und Action. Vor allem in den USA brachten sie mehrere B-Movies und Slasherfilme heraus. Als Partner gewannen sie einen Meister: Michael Bay ist der zurzeit erfolgreichste Produzent von Action, Grusel und Thrill („Transformers", ab 2007; „A Quiet Place", 2018/2020). Die Hauptrollen in „Songbird" spielen K. J. Apa (TV-Serie „Riverdale") und die in Deutschland recht unbekannte Sofia Carson („The Descendants", 2015). Sie machen ihre Sache richtig gut, die Liebe zwischen Nico und Sara gibt der rasanten Handlung zuweilen einen Hauch von „Romeo und Julia" in einer Welt, in der die Viren außer Kontrolle geraten, die Demokratie gescheitert ist und Reiche die Macht ergreifen wollen. Die Rolle der Gegnerin hat Demi Moore übernommen. Als kaltherzige Matriachin tut sie alles, um ihren Besitz und ihre Familie zu retten – und rechtfertigt ihr Handeln mit den Worten: „Manchmal müssen wir Dinge tun, die wir gar nicht wollen und die nicht fair sind – aber sie sind nötig, um zu überleben." Eine Einstellung, die in der Realität nicht wahr werden darf – das ist die Botschaft des Films „Songbird". Die Menschheit muss als Einheit die Corona-Pandemie bewältigen. Bei der Verteilung eines Impfstoffs darf es keinen Unterschied zwischen Ober- und Unterschicht geben; auch müssen Frieden und Gleichberechtigung durch demokratische Regeln, Solidarität und Hilfsbereitschaft bewahrt werden. Daher ist es gut, dass der Film zu diesem Zeitpunkt erscheint. Und auch, wenn „Songbird" das Scheitern der Pandemie-Bewältigung zeigt: vielleicht verweist der Filmtitel „Songbird" (Singvogel) auf eine positive Zukunft ebenso wie der tragende Musiksong: „Every little Thing is gonna be alright", was knapp übersetzt werden kann mit „Alles wird gut".