Ron Galella hat die Paparazzi-Fotografie nicht erfunden, aber er war einer ihrer berüchtigtsten Pioniere. Der Mann, dem Marlon Brando einst den Kiefer gebrochen hat, weil er ihm die Kamera ins Gesicht schlug, wird am 10. Januar 90 Jahre alt.
Widerling", „Parasit" oder „perverser Anschleicher" sind noch einige der netteren Ausdrücke aus der Litanei von Flüchen, mit denen Ron Galella in seiner Karriere bedacht wurde. Galella ist Fotograf und als solcher nicht nur berühmt, sondern berüchtigt. Galella ist eine Art Ur-Paparazzi, der seinen Lebensunterhalt damit verdient, Fotos von berühmten Persönlichkeiten zu machen – meist, wenn diese es am wenigsten erwarten.
Zu seinen Lieblingsobjekten zählten die Präsidentenwitwe Jacqueline Kennedy Onassis und Marlon Brando. Außerdem Audrey Hepburn, Robert Redford, Muhammad Ali, Woody Allen, Al Pacino, Sean Penn und Madonna, Leonardo DiCaprio, Johnny Depp und viele mehr. Schnappschüsse von VIPs gibt es im Zeitalter des Handy-Fotos wie Sand am Meer. Zu Galellas Zeiten musste man dafür „auf die Jagd gehen", wie Galella das immer noch nennt.
Ganz besonders gern gejagt hat Galella Jackie O., wie die ehemalige First Lady der USA nach ihrer Heirat mit Reeder-Milliardär Aristoteles Onassis in der Regenbogenpresse genannt wurde. Galella lauerte Jackie Tag und Nacht auf, versteckte sich hinter Büschen und kauerte in Hauseingängen. Jackie O. wollte, dass es aufhört – hat es mit gut zureden versucht, mit Tarnungen durch Schals und Sonnenbrillen oder mit Gerichten, vor denen sie Galella mehrmals verklagte. Zuletzt war sie so verzweifelt, dass sie ihre Secret-Service-Agenten, die für jede First Lady lebenslang zu ihrem Schutz bereitgestellt werden, anwies, Galellas Kamera zu zertrümmern.
Doch auch das hielt ihn nicht lange ab. In einem Interview mit der „New York Times", hatte Galella für sein voyeuristisches Verhalten diese bizarre Erklärung: „Ich hab‘ das mal analysiert. Ich hatte damals keine Freundin. Also war sie irgendwie meine Freundin." Sein wahrscheinlich berühmtestes Foto trägt den Titel „Windblown Jackie". Galella schoss es am 7. Oktober 1971 auf der New Yorker Madison Avenue, aus einem fahrenden Taxi heraus: Auf dem schwarz-weißen Foto ist im von ihren Haaren umwehten Gesicht Jackie Kennedys der Hauch eines Lächelns zu erkennen. Für Galella der magischste menschliche Moment überhaupt, daher nennt er das Foto auch „meine Mona Lisa".
Jackie O. war seine Obsession
Sein karriereförderndes „Arbeitsverhältnis" mit der Onassis endete – wie kaum anders zu erwarten – durch ein Gerichtsurteil: Galella wurde untersagt, sich Jackie und ihren Kindern mehr als 50 Yards (ca. 46 Meter) zu nähern. Noch heute droht Galella Gefängnis, sollte er Jackie-Tochter Caroline Kennedy zu nahe kommen. Galella liebte die Jagd, die Jagd auf ein gutes Foto. Die Jagd auf Jackie. Und er behauptet im Rückblick, dass ihn genau das mit Jackie Kennedy verband: „Ich glaube, sie hat es geliebt, von mir fotografiert zu werden."
Ein anderes obsessives Objekt der fotografischen Begierde Galellas war Marlon Brando. Der bat weder die Gerichte noch Bodyguards um Hilfe, sondern ging das Problem mit Gallelas Kamera in seinem Gesicht ganz direkt an. Er brach dem Fotografen den Kiefer und schlug ihm fünf Zähne aus. Auch Sean Penn soll Galella einen Faustschlag verpasst haben.
Aber nicht alle Berühmtheiten hatten ein solch explosives Verhältnis zu dem provokanten Paparazzo. Pop-Art-Künstler Andy Warhol, der ein Fan der Klatschseiten war, verehrte Galellas Arbeit. Elizabeth Taylor – vielleicht weil die Fotos ihr schmeichelten oder sie sich besonders gut getroffen sah – verwendete Galellas Fotos in ihrer Biografie.
Zu Galellas Verteidigung muss man sagen, dass er bei all seinen Unverschämtheiten wenigstens einen Sinn für Humor hatte: Nach dem Niederschlag durch Brando näherte sich Galella der Schauspiel-Ikone nur noch mit einem Football-Helm auf dem Kopf. Obwohl Galella hier gute Nehmerqualitäten zeigte, war eine negative Eigenschaft unübersehbar: Wenn er Berühmtheiten Tag und Nacht unaufhörlich und unerbittlich auflauerte, schien es ihm vollkommen egal, wie die sich dabei fühlten. Ein Recht auf Privatsphäre hatten Promis in Galellas Augen nicht.
Heute taucht Galella nur noch gelegentlich bei Presseterminen auf. Er hat schon länger seine einstigen Jagdgründe in Manhattan verlassen, um sich im ländlichen New Jersey, auf der anderen Seite des Hudson Rivers, niederzulassen. Er lebte dort mit seiner Frau und Geschäftspartnerin Betty in einer riesigen neoklassizistischen Villa und seinen Zwerghasen. 2017 verstarb Betty. Die weißen Häschen schienen lange seine neue Obsession gewesen zu sein, die so weit ging, dass er für die Tiere sogar einen Friedhof im Garten einrichtete – mit Grabsteinen in Zwerghasenform.
Seine Fotos hängen in großen Galerien
Galella kann sich diesen überkandidelten und teuren Lebensstil leisten, weil er mit seinen Fotos auch noch als Fast-Rentner gut Geld verdient. In seinen besten Zeiten war er Großverdiener. Die fette fotografische Ausbeute der geschätzten drei Millionen Fotos, die er im Lauf seiner Karriere schoss, wird heute von der Fotoagentur Getty Images vertrieben. Für alle Beteiligten ein sehr lohnendes Geschäft. Galellas Weg zum Reichtum war – so das gängige Narrativ – ein typisch amerikanischer: Geboren in der New Yorker Bronx als Sohn eines italienischen Einwanderers, trat Ron während des Koreakriegs in die Armee ein. Seine Liebe zur Fotografie begann mit Aufnahmen von Entertainern, deren Aufgabe es war, die Truppen bei Laune zu halten.
Mit Anfang 20 zog er nach Los Angeles und machte eine Ausbildung zum Fotojournalisten. In seiner Freizeit fotografierte er auf Filmpremieren die eintreffenden Stars und Sternchen und verkaufte die Bilder auch an den „National Enquirer" – dem berühmt-berüchtigtsten Boulevardblatt der USA.
Was macht Galellas Fotos heute, in Zeiten der allgegenwärtigen Handyfotografie und der Sofortverbreitung durch Social-Media-Kanäle immer noch so besonders? Vielleicht liegt das Galella-Geheimnis in diesem einfachen Trick: Galella schaut beim Fotografieren fast nie durch den Sucher. Stattdessen nimmt er vor dem Auslösen Augenkontakt mit seinem Sujet auf: Auge in Auge. Erst dann drückt er ab. Betrachtet man seine Fotos heute vor diesem Hintergrund kann man in den Augen der Fotografierten oft diesen Moment der totalen Überraschung erkennen, der dann wiederum eine besondere Resonanz beim Betrachter erzeugt.
Vielleicht weil dieser ganz intime Augenblick zu seinem künstlerischen Unterscheidungsmerkmal geworden ist, sind Galellas Fotos auch lange nach seiner aktivsten Zeit in Galerien weltweit zu sehen. Im Museum of Modern Art in New York, im Tate Modern in London und auch in der Helmut Newton-Stiftung im Museum für Fotografie in Berlin. Galellas Ego ist groß genug, dass er diese Wiedergeburt seiner Fotografie als Kunst durchaus als absolut gerechtfertigt ansieht: „Ich habe Kunstfotografie studiert und habe einen Uni-Abschluss in Fotojournalismus. Das unterscheidet mich von den heutigen Paparazzi. Die meisten von ihnen sind nur hinter dem Geld her. Und sie sind ungebildet. Sie geben ein trauriges Bild ab, um es vorsichtig zu formulieren."
Innerer Wandel auf seine alten Tage
Nachdem er dem Paparazzi-Leben fast ganz den Rücken gekehrt hat, gibt er zu, dass das Arbeiten zu seiner Glanzzeit in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren leichter war als heute: fast keine Bodyguards und keine PR-Agenten. Und anfangs gab es damals – laut Galella – nur vier weitere Paparazzi in New York City. Heute sind sie überall, und die Konkurrenz ist riesig. Eindeutige Indizien dafür, wie sehr sich das Paparazzi-Geschäft seither verändert hat. Und vielleicht macht Galella selbst auf seine alten Tage auch so was wie einen inneren Wandel durch. Spricht man den „Paten der amerikanischen Paparazzi-Kultur", wie ihn das bekannte „Time-Magazine" einst nannte, heute auf die Beschimpfungen an, die er sich jahrzehntelang bei und wegen seiner Arbeit anhören musste, scheint er über seinen auffallend aggressiven Arbeitsstil reflektiert zu haben: „Sie können mich Parasit und solche Sachen nennen, solange wie sie wollen. Mir macht das nichts aus. Aber meine Frau hat es immer gestört. Sie war sehr sensibel."
Mit etwas Wohlwollen könnte man hier sogar sowas wie Einsicht durchhören. Vielleicht versteht der Paparazzi-Pionier Ron Galella mit seinen jetzt 90 Jahren doch noch, dass es für alle Menschen tatsächlich so etwas gibt wie ein Recht auf Privatsphäre.