„Aus den Toten Hosen wird nie was" war das Motto der zweiten Tour der Toten Hosen 1983. Nun denn, heute weiß man’s besser – und mittlerweile schafft es ihr Sänger Campino nicht nur aufs Cover des deutschen „Rolling Stone", sondern auch auf solche von musikfernen Magazinen.
Dass die aus der Band ZK hervorgegangenen Toten Hosen schon in ihrem Gründungsjahr 1982 das Saarland beehrten, lag am St. Ingberter Club „Tote Hose". Die ehemalige Tankstelle in Rohrbach hatte sich zum Mekka der saarländischen Punk-Szene entwickelt und auch überregional einen Ruf erworben. So war es den Düsseldorfer Vorzeige-Punks eine ganz besondere Ehre, in der „Toten Hose" ihr überhaupt erst zehntes Konzert seit ihrer Gründung zu spielen. Wenn Campino in Interviews nach erinnerungswürdigen Momenten der Frühzeit gefragt wird, erzählt er immer gerne von den Rohrbach-Konzerten. Vorher wurde „mit den Fans Fußball gespielt, und der Eintopf schmeckte super". Es gab bisweilen sogar zwei Auftritte am Abend: Die 20- Uhr-Show kostete sieben D-Mark, drei Stunden später waren acht D-Mark fällig. Augenzeugen berichten von 150 Gästen pro Konzert. Pogo-Tanzen war Standard. Lesen Sie dazu auch die Ausführungen von Norbert Küntzer in seinem tollen Buch „Saar Rock History".
1984/85 folgten Auftritte in Saarbrücken (Uni-Aula, Jugendzentrum Försterstraße) und in Riegelsberg. Als Riegelsberger ließ sich der Autor dieser Zeilen den damaligen Auftritt natürlich nicht entgehen. Für den damals noch existenten „Köllertaler Anzeiger" berichtete er über die kultverdächtige Show. Die Eröffnung durch den „Wahren Heino" Norbert Hähnel, der „Blau, blau, blau blüht der Enzian" schmetterte, fand er „lächerlich". Nach dem Morricone-Cover „Spiel mir das Lied vom Tod" und Drafi Deutschers „Shake Hands" folgte ein „Potpourri aus den ersten beiden Alben „Opel Gang" und „Unter falscher Flagge". Es „ging ordentlich ab" – wie man in jungen Jahren so zu sagen pflegte. Und es war sehr, ja „unerträglich" laut, der Sound „miserabel". Gehörschutz-Stöpsel waren leider noch unüblich/uncool … Indes: „Die Hosen schlugen sich wacker."
Es ging ordentlich ab und war richtig laut
Längst spielt die dauertourende Band in den größten Lokalitäten und Stadien, weiterhin aber liegen ihr Überraschungs-Konzerte am Herzen – sei es in Wohnzimmern, in Gefängnissen, auf Elbdampfern oder in einer Gebirgs-Schutzhütte.
Keine Frage, Die Toten Hosen taugen als Sympathieträger – die sie sympathischerweise ja gar nicht sein wollen. Pech gehabt, Männer, lässt sich nix dran ändern. Man kriegt halt mit, dass Ihr noch nah an den Fans dran seid. Auch, dass Ihr Euch engagiert: gegen Rassismus und Umweltfrevel, gegen Tierquälerei, Gewalt und Armut. Zugleich erfahren Greenpeace, Oxfam, Pro Asyl und der BUND von Euch authentische Unterstützung. We’re only in it for the money? Nicht mit Euch. Dass jedes dritte Eurer Lieder im Schnitt ein Cover ist, verdient ebenfalls Respekt. Denn Ihr zollt damit Eurerseits Respekt – nicht nur den Punkbands, die Euch prägten: Ramones, The Clash, The Adverts, The Damned… Euer Horizont ist schier unfassbar weit. Darin haben auch Adriano Celentano, Charles Aznavour und Falco Platz, außerdem die Beatles und die Stones, Herbert Grönemeyer und BAP, Volks- und Weihnachtslieder, Kirchenlieder, (Dreigroschen-)Oper, die Comedian Harmonists, Funny van Dannen, Tears For Fears, die Boomtown Rats, die Untertones. Okay, Freddy Quinn und Tony Marshall hättet Ihr auch weglassen dürfen. Dass Eure Trinklieder („Eisgekühlter Bommerlunder", „Altbierlied") längst auch dort gegrölt werden, wo man sie vielleicht nicht hören will, dafür könnt Ihr nichts. Aber man muss es wohl in Kauf nehmen, denn Ihr seid einfach eine komplette Band. Ohne Allüren, ohne Anbiederung und auch – besonders wohltuend – ohne Zynismus. Ihr macht einfach das, wonach Euch ist. Oder wussten Sie, werte Leser, dass Die Toten Hosen auch noch nach ihrem Durchbruch auf teure Pyrotechnik verzichteten, um die Eintrittspreise niedrig zu halten? Oder dass sie zur Offerte der SPD, für deren Europawahlkampf 1994 ein (gut bezahltes) Lied zu schreiben, „Nein Danke" sagten? Eben. Selbst wenn ein treuer Fan solche Details vielleicht nicht kennt – er spürt jederzeit Eure aufrechte Haltung.
Es gibt nicht wenige Hosen-Infizierte, die Hunderte Shows besucht haben. Es passt also vorzüglich, dass neben 17 Studio-Werken auch acht Live-Alben die Verehrer begeistern durften. Vielen gelten diese gar als die eigentlichen Meisterwerke der Band, denn natürlich handelt es sich hier in erster Linie um eine leidenschaftliche Live-Combo! Was man nach Corona garantiert wieder eindrucksvoll erleben kann. Man darf an dieser Stelle auch erwähnen, dass nach Konzerten üblicherweise USB-Sticks als Live-Dokument verkauft wurden.
Explizite Lyrik war früh zu vernehmen
Werfen wir nun noch den Blick auf die umfängliche Diskografie bis zum aktuellen Werk „Learning English – Lesson 3". „Wir sind bereit" hieß die programma-tische erste Single von 1982, „Reisefieber" die ebenso programmatische zweite. 1983 folgten mit „Eisgekühlter Bommerlunder" und „Hip Hop Bommi Bop" zwei Ausrufezeichen, die nicht nur von Punk-Zirkeln wohlwollend aufgenommen wurden, sowie das erste Album „Opel Gang". Explizite Lyrik war bereits hier zu vernehmen („Hofgarten"). Schon 1984 bezeugte eine Version von Hazy Osterwald’s „Kriminaltango" die immens große, bis heute andauernde Leidenschaft der Band für Cover-Versionen. „Unter falscher Flagge" erschien im selben Jahr, der erste Charts-Erfolg gelang allerdings erst – und ausgerechnet – mit dem Covern von Schlagern. „Never Mind The Hosen – Here’s Die Roten Rosen" kletterte bis auf Platz 21 der deutschen Charts. Im Nachhinein verkauften sich freilich auch die drei Vorgänger bis zum Gold-Status. Mit „Bis zum bitteren Ende" erblickte im selben Jahr ein erstes Live-Album das Licht der Öffentlichkeit. „Ein kleines bisschen Horrorschau" (1988, ein Konzept-Album mit Bezug zu Kubricks „Uhrwerk Orange") kratzte dann am Charts-Thron, den „Auf dem Kreuzzug ins Glück" dann eindrücklich erklomm. Neun weitere Nummer-eins-Alben folgten. Interessanterweise zählte die mit hübschem Skandal-Cover ausgestattete Kompilation „Reich & Sexy" (1993) nicht dazu, dafür aber „Kauf mich!" (1993), „Opium fürs Volk" (1996), „Unsterblich" (1999), „Ballast der Republik" (2012) und „Laune der Natur" (2017). Von den Singles reüssierten lustigerweise nur „Zehn kleine Jägermeister" (1996) und „Tage wie diese" (2012) auf der Pole Position. Wir stellen also fest: Trotz all der Hits, die jeder im Kopf hat, sind die Toten Hosen zuvorderst eine Album-Band.
Was uns zum neuen Werk, dem dritten Teil der Mini-Serie „Learning English" bringt. Teil eins huldigte den Punk-Helden der Herren Campino (Gesang), Andi von Holst (E-Gitarre), Michael Breitkopf (E-Gitarre), Andreas Meurer (E-Bass) und Vom Ritchie (Schlagzeug), Teil zwei erschien als Beilage zur Sonder-Edition der „Laune der Natur"-LP und gefiel mit erstaunlichen Gästen aus dem Punk-Umfeld. Dieser nun dritte Teil ist ein Tribut an die Liverpooler Glanz-Tage des sogenannten Mersey Beat Anfang der Sechziger. Ewige Klassiker wie „Hippy Hippy Shake", „Shake Rattle & Roll" und „Do You Love Me" werden Hosen-typisch, also standesgemäß mit Respekt und Energie runtergeschrubbt. Indes: Auch ruhigeres erfährt auf „Learning English – Lesson 3 – The Mersey Beat!" Huldigung: „Ferry Cross The Mersey", „You’re No Good" und „Sorrow" beispielsweise. Ein unterhaltsamer, sympathisch launiger Geschichtsunterricht ist das, mehr nicht. Sollte es wohl auch nicht sein. Ein paar potenzielle Live-(Zugaben-)Kracher sind natürlich schon dabei.
Breiter Horizont mit stilistischen Ausflügen
Breiter Horizont hin, stilistische Ausflüge her – dieses bis auf Platz zwei der Charts gekletterte Album bezeugt einmal mehr: Im Grunde ihres Herzens steht Tote-Hosen-Musik bis auf weiteres für lärmendes Hämmern von Achtelnoten, treibende Sounds, Power-Akkorde, hymnische Refrains. Also immer noch Punk-Attitüde? Jawoll! Und das nach knapp vier Jahrzehnten Wirken. Respekt! Und ja, entgegen dem eingangs zitierten frühen Tour-Motto wurde aus den Hosen definitiv was!