Dennis Schröder hat die nächste Karrierestufe erklommen. Mit dem Starensemble der Los Angeles Lakers kämpft der beste deutsche Basketballer um den Meistertitel in der NBA.
Manchmal muss auch ein Sportstar zu seinem Glück gezwungen werden. Dennis Schröder war anfangs überhaupt nicht begeistert, als sein Wechsel zu den Los Angeles Lakers konkret wurde. Die Metropole L.A., die guten Chancen auf den Meistertitel, das Renommee des Clubs –
auf all das hätte der deutsche Basketballer gern verzichtet. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre er bei den Oklahoma City Thunder geblieben, wo er bereits gefeiert und verehrt wurde. In L.A. muss er den Großteil der Aufmerksamkeit definitiv an Ausnahmekönner LeBron James abtreten, egal wie gut er spielt.
In den nordamerikanischen Profiligen haben die Profis bei einem Trade aber kein Mitspracherecht, und so wurde Schröder im November im Tausch für Danny Green und einen Erstrunden-Pick von Oklahoma nach Los Angeles transferiert. Der gebürtige Braunschweiger ist seit sieben Jahren in der NBA und tat das, was ein Profi dort in so einer Lage tut: Er arrangierte sich mit der Situation. Und siehe da, plötzlich sieht auch Schröder, dass der eigentlich ungewollte Wechsel ein gewaltiges Sprungbrett für seine Karriere ist. Mit dem Starensemble der Lakers könnte der 27-Jährige der zweite deutsche Basketballer nach Dirk Nowitzki (2011) werden, der in der NBA den Titel gewinnt. Auch in der kurz vor Weihnachten gestarteten neuen Saison ist der Titelverteidiger der große Meisteranwärter. Schröder ist von den Bossen geholt worden, um die Superstars James und Anthony Davis zu entlasten. Als Bankspieler – dachten viele. Schließlich hatte Schröder in Oklahoma seine Qualitäten als Joker eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Nicht umsonst wurde er am Ende der Corona-Saison 2019/20 zum besten sechsten Mann des Jahres in der NBA gewählt.
„Die haben gesagt: ‚Du wirst deine Rolle lieben. Du wirst mit LeBron und ohne LeBron auf dem Feld sein‘", sagte Schröder. Er wisse, dass im Kader sehr viel Qualität stecke – aber auch er verfüge über ein enormes Potenzial. „Ob ich starte, ob ich von der Bank komme – das müssen wir halt noch gucken." In den ersten vier Saisonspielen lief Schröder jeweils in der Starting Five auf. Und er überzeugte. Gleich zum Auftakt gegen die Los Angeles Clippers (109:116) verpasste Schröder nur knapp ein Triple Double (14 Punkte, 12 Rebounds, 8 Assists). Auch bei den anschließenden Siegen gegen die Dallas Mavericks (138:115) mit Nationalmannschafts-Kollege Maximilian Kleber und die Minnesota Timberwolves (127:91) war der schnelle und trickreiche Schröder ein Faktor. Bei der Niederlage gegen die Portland Trail Blazers (107:115) war Schröder mit 24 Punkten zweitbester Werfer seines Teams. „Er ist ein dynamischer Spieler. Er kann besser als jeder andere im Team zum Korb ziehen", lobte Lakers-Cheftrainer Frank Vogel seine neue Nummer 17. „Er ist ein Gewinner." Schröder könne zu „einer Plage für die Gegner" werden.
Auf Anhieb in der Starting Five
Den Respekt hat sich Schröder auch schon bei James erarbeitet. Der erste Pass des „Kings" in der Saison ging an Schröder. „Wenn er auf deiner Seite ist, liebst du ihn, und wenn er auf der anderen Seite steht, kannst du ihn verdammt noch mal nicht ausstehen", sagte James über den Neuzugang. Der „King" nahm Schröder bei den ersten gemeinsamen Trainingseinheiten beiseite, wie dieser berichtete: „Er hat mir erklärt: ‚Dennis, so und so machen wir das hier.‘"
Schröder ist mittlerweile fest davon überzeugt, dass er den Meister noch besser machen kann. Und zwar als Start- und nicht als Bankspieler. „Ich habe dieses ‚Von der Bank kommen‘ schon zwei Jahre bei OKC gemacht", sagte der selbstbewusste Profi. „Ich versuche jetzt einen Schritt nach vorne zu gehen. Mit Anthony Davis und LeBron kann ich als Starter auf der Point-Guard-Position hilfreich sein." Vor allem James habe beim Spielaufbau „an so viel denken" müssen, dass ihm beim Abschluss mitunter die Konzentration gefehlt habe. Den Ballvortrag will nun Schröder übernehmen, James soll die Räume nutzen, die Schröder durch seine Dribblings und seinen Turbo-Antritt schafft. Das Konzept ging in den ersten Saisonspielen auf, die Medien sehen Schröder schon langfristig in Gelb und Violett. „Das könnte der Beginn einer langfristigen Bromance zwischen Schröder und den Lakers werden", schrieb die „Los Angeles Times".
Schröder zweifelt daran auch nicht mehr. Er will sogar mehr sein als nur der Zulieferer für die Stars. „Ich bin hier als Anführer", sagte Schröder bei seiner offiziellen Vorstellung bei den Lakers. „Ich will Würfe kreieren und auch selbst treffen, um dem Team beim Gewinnen zu helfen." Das sagt keiner, der sich freiwillig ins zweite Glied stellt. Schröders Wertschätzung spiegelt sich auch im Gehalt wider: Mit 15,5 Millionen US-Dollar pro Jahr ist er teamintern die Nummer drei hinter James und dessen kongenialem Partner Davis. Es ist Schröders letztes Vertragsjahr, es muss also neu verhandelt werden. „Sicherlich möchte ich verlängern", erklärte Schröder jüngst. Er würde es sogar „liebend gern tun, aber es muss für beide Seiten fair sein. Das ist alles, was ich dazu sage." Das hört sich nach einem Poker an, und das scheint auch der Fall zu sein. Schröder soll Medienberichten zufolge ein erstes Angebot der Lakers über 33,4 Millionen Euro abgelehnt haben. Dies ist die maximale Offerte, die der Club dem Spieler vor dem 16. Februar machen kann. Erst danach wird es für Schröder richtig lukrativ: Bis zu 83 Millionen in den kommenden vier Jahren kann er in der NBA abkassieren. Spielt Schröder so konstant stark wie zum Saisonstart, werden die Lakers alles daran setzen, ihn zu halten. Und Schröder wird das Angebot annehmen.
„Ich will Würfe kreieren und auch selbst treffen"
Schon jetzt schwärmt er von der „tollen Organisation", und auch die privaten Probleme beim Einleben sind längst überwunden. „Meine Frau und ich haben uns ein paar Häuser in Manhattan Beach angeschaut, aber wir haben halt zwei Kinder, sind zu viert und haben noch zwei, drei Leute, die mit uns leben. Dafür brauchen wir mehr Fläche", sagte er über die selbst für einen Multimillionär schwierige Suche nach einem neuen Heim. Das hat er inzwischen für sich und seine Familie gefunden, und auch sportlich scheint sich Los Angeles als großes Glück für den zurzeit besten deutschen Basketballer zu erweisen. „Meine Teamkollegen sind großartig, die Menschen hier tun alles für dich und deine Familie", schwärmte Schröder. Die Organisation würde sich um alles kümmern, er könne sich „einfach nur darauf konzentrieren, Basketball zu spielen". Mit seinen Fähigkeiten kann Schröder jedem Team dieser Welt helfen: Die Schnelligkeit, die Spielfreude, die Dribbelkünste – so etwas ist auch bei den Lakers selten. „Ich glaube", sagte Schröder, „sie haben mich aus gutem Grund dazugeholt." Die Mission ist klar: Der 18. Meistertitel soll her, mit dem würde die Franchise die Boston Celtics überflügeln und zum alleinigen Rekordchampion aufsteigen.
Damit dieses Ziel erreicht wird, darf der Favorit aber nicht so auftreten wie im ersten Saisonspiel gegen die Clippers. „So wollen wir nicht spielen, das ist ein No-Go", sagte Schröder nach der Niederlage gegen den Stadtrivalen, in der die Zusammenarbeit mit den Teamkollegen noch nicht so funktionierte. Schröders persönliche Bilanz war zwar überragend, aber das freute ihn nicht wirklich. „Wir versuchen, uns aneinander zu gewöhnen", sagte er über das Zusammenspiel mit James und Davis, „wir müssen diese Wellenlänge noch finden." Sollte das Trio eine gemeinsame Welle finden, dürfte sie sie auf den Thron spülen. Und Schröder wäre endgültig aus Nowitzkis Schatten getreten. Vielleicht hören dann auch die ewigen Vergleiche mit der zurückgetretenen Basketball-Ikone auf, die ohnehin nicht zielführend sind. „Dirk ist Dirk, und ich bin ich", sagt Schröder immer dann, wenn er auf Nowitzki angesprochen wird. Einzig ihre sportliche Extraklasse verbindet beide, ansonsten sind die zwei Basketball-Stars auf völlig verschiedenen Planeten unterwegs. Hier der weiße, große, zuverlässige und bescheidene Nowitzki, dort der farbige, selbstbewusste, spektakuläre und teils unberechenbare Schröder. Dass Fehltritte bei ihm viel größer gemacht werden als bei anderen, liegt auch an seiner extrovertierten Persönlichkeit, die Angriffsfläche projiziert. Durch den Wechsel zu den Lakers steht Schröder noch mehr im Fokus, seine Schritte werden noch mehr beobachtet. In Nordamerika und in Deutschland.
„Dirk ist Dirk, und ich bin ich"
Seine Heimat hat Schröder nie vergessen, die Zeit in den Pausen verbringt er immer in Braunschweig. Beim Bundesligisten Braunschweiger Löwen ist er seit dem 1. Juli Alleingesellschafter, er hat seinem Heimatclub damit die Lizenz gerettet. Der Individualist auf dem Parkett ist in der Kabine ein Teamplayer, auch wenn in der Öffentlichkeit ein anderes Bild vorherrscht. Er will zum Beispiel mit aller Macht beim Olympia-Qualifikationsturnier der deutschen Nationalmannschaft in Split/Kroatien (29. Juni bis 4. Juli) teilnehmen. Das ist zeitlich eigentlich ausgeschlossen, wenn die Lakers wie erwartet in den Play-offs weit kommen, aber er werde mit dem Präsidenten der NBA-Spielergewerkschaft sprechen, kündigte Schröder an: „Ich hoffe, dass sich da irgendwie eine Regel findet." Eine Teilnahme wäre ihm „extrem wichtig", weil sein letzter Ausflug zur Nationalmannschaft mit dem WM-Debakel (nur 18. Platz) endete. „Alle Leute, die beteiligt waren", sagte Schröder, müssten in Zukunft „einen besseren Job machen".