In vielen Hauptstädten setzt man auf einen positiven Biden-Effekt
Trotz der immensen Last der Corona-Pandemie, die die ganze Welt nach unten zieht: Es gibt zu Beginn des neuen Jahres Lichtpunkte, die Hoffnung machen. Der EU und Großbritannien ist es in letzter Minute gelungen, einen schmutzigen Brexit zu vermeiden. Die Beziehungen werden nun zwar komplizierter, aber den Unternehmen bleiben wenigstens Zölle und den Verbrauchern höhere Preise erspart.
Die Europäische Union hat es unter der Präsidentschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel geschafft, ihren heftigen Haushaltsstreit beizulegen. Die infolge der Corona-Krise ökonomisch schwer geschädigten Mitgliedsstaaten haben nun Planungssicherheit. Auch das gerade ausverhandelte Investitionsabkommen zwischen der EU und China gibt Anlass für Optimismus. Peking hat nun endlich zugesagt, den Marktzugang für europäische Firmen zu erleichtern. Davon profitieren unter anderem die Auto- und Telekommunikationsbranche, aber auch Banken und Versicherungen sowie Investoren aus dem Gesundheitssektor.
Zudem wollen sich die Chinesen beim Arbeitsrecht internationalen Standards annähern und so Zwangsarbeit auf längere Sicht beseitigen. Was die Versprechungen aus Peking tatsächlich wert sind, muss sich allerdings erst zeigen. Immerhin hat die Führung Themen angepackt, die in der Vergangenheit tabu waren.
Selbst im konfliktgeladenen Nahen Osten hellt sich die Lage etwas auf. Das wahrscheinlich größte außenpolitische Vermächtnis von US-Präsident Donald Trump ist die neue Dynamik in der Region. Die Annäherung zwischen Israel und vier arabischen Staaten bedeutet einen politischen Quantensprung. Das ungelöste Palästinenser-Problem ist damit zwar noch nicht entschärft. Aber eine Reibungsfläche weniger darf durchaus als Fortschritt bezeichnet werden.
Zwischen Washington, Brüssel und Peking hofft man jedoch für 2021 auf weitere Entspannungs-Signale. Nach vier Jahren Trump’scher Bulldozer-Politik sehnt sich die Welt nach einem positiven Biden-Effekt. Immerhin will der designierte US-Präsident in den Pariser Klimavertrag zurückkehren und sein Land wieder an der Weltgesundheitsorganisation (WHO) andocken. Letzteres erleichtert den globalen Kampf gegen die Corona-Pandemie, der nationale Ego-Trip unter dem Banner von Trumps „America First" ist somit Geschichte.
Die wichtigste Botschaft für Europa: Joe Biden setzt wieder auf die Allianz mit den Verbündeten. Die Grund-Tonalität zwischen Amerika und der EU und der politische Umgang werden versöhnlicher. Die Nato bekommt neues Gewicht. Davon profitiert nicht zuletzt Deutschland, politische Mittelmacht und die größte Volkswirtschaft auf dem Kontinent.
Dennoch wird auch Biden die Interessen der USA kraftvoll vertreten. Seine Ankündigung, „Außenpolitik für die amerikanische Mittelklasse" zu machen, darf als Botschaft verstanden werden: Washington wird auch künftig gegen globale Ungleichgewichte im Handel zu Felde ziehen – und damit versuchen, die Exportüberschüsse von Ländern wie Deutschland und China zu reduzieren. Auch beim Nato-Ziel, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben, dürfte Biden Druck in Richtung Berlin machen.
Mit Blick auf den Atom-Streit mit dem Iran will der gewählte US-Präsident neue Wege gehen. Er hat bereits avisiert, sich dem von Trump gekündigten Nuklearabkommen wieder anzuschließen. Allerdings strebt er einen erweiterten Vertrag an, der auch dem Raketenprogramm sowie den regionalen Einmischungen des Mullah-Regimes in Syrien oder im Irak Grenzen setzt. Das wird nur durch einen politischen Marathonlauf erreichbar sein, deckt sich aber weitgehend mit den Absichten der Europäer.
Auch gegenüber China will Biden den schroffen Konfrontationskurs Trumps rückgängig machen. Der neue Präsident hat eine differenzierte Sicht auf die Volksrepublik: Einerseits braucht er die Chinesen bei den Themen Klima, Corona und Iran. Andererseits strebt er an, der aufsteigenden fernöstlichen Großmacht Paroli zu bieten – sowohl bei den wettbewerbsverzerrenden Subventionen für Staatsbetriebe wie auch bei Menschenrechtsverstößen. Der Amerikaner weiß, dass er diese Herausforderungen nicht allein stemmen kann: Er braucht die Europäer. Das bietet die Chance auf eine neue transatlantische Partnerschaft. Und auf eine Frischzellenkur für die internationale Diplomatie.