Die Herausforderungen waren ohnehin schon nicht gering. Das vergangene Jahr hat viele davon noch einmal schärfer zutage treten lassen, aber auch positive Signale für 2021 gesetzt.
Das Saarland ist unbestritten in großen Umbrüchen und beständigem Wandel geübt. Die aktuellen Herausforderungen haben aber eine neue Qualität, weil sie nicht mehr nur einzelne Bereiche treffen. Es geht im Grunde um die gesamte Struktur des Landes. Das ist keine neue Entwicklung, vieles ist aber durch die Corona-Krise erheblich beschleunigt worden. Die unmittelbar erlebbaren Veränderungen hängen zumeist mit dem Stichwort Digitalisierung zusammen, vom Bildungssystem über die Arbeitswelt bis zur öffentlichen Verwaltung. Die Wirtschaft ist von der Krise und den Lockdowns in einer Phase erwischt worden, die ohnehin von enormen Veränderungen geprägt war und ist, die an die Substanz gehen. Soziale Verwerfungen sind deutlicher geworden. Die drohende Klimakatastrophe duldet keine weiteren Halbherzigkeiten.
Zu den bereits länger anhaltenden sozialen Entwicklungen wie eine schrumpfende Bevölkerung und verfestigte Armutsentwicklungen gibt es keine durchgreifenden Strategien. Die Zukunft der Kommunen ist trotz Saarlandpakt unter anderem auch wegen der demografischen Entwicklung alles andere als klar. Die Struktur des Gesundheitswesens trotz einiger Lichtblicke aus den letzten Monaten nicht wirklich geklärt. Der Pflegenotstand war schon lange vor Corona ein besorgniserregendes Thema. Eine große Reform des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und der Fernverbindungen unter anderem auch durch Corona ein Stück weit ausgebremst. Die Schulen sehen sich zwar zunächst einmal mit der Bewältigung der aktuellen Situation konfrontiert, gleichzeitig entwickelt sich unter dem Stichwort Profilierung Gymnasien eine neue Grundsatzdebatte. Und eigentlich sollte jetzt das nach den langen Sparjahren viel beschworene „Jahrzehnt der Investitionen" Fahrt aufgenommen haben.
Wirtschaft unter Veränderungsdruck
Die Auflistung der Herausforderungen 2021 (und darüber hinaus) erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dass es dabei schwerfällt, die Herausforderungen in einer akzeptablen Prioritätenliste anzuordnen, unterstreicht, dass das gesamte Land in allen Bereichen vor grundlegenden Veränderungen steht, die nicht mehr Korrekturen an Stellschrauben oder dem ein oder anderen Akzent in Teilbereichen zu bewältigen sind.
Dabei bietet das Corona-Jahr durchaus auch eine Reihe von Chancen für die Zukunft, was auch an der (vorübergehenden) Aussetzung der Schuldenbremse liegt. Ein eindrucksvolles Beispiel zeigt sich in Schulen, wo der lange zähe Kampf um den Digitalpakt schon vergessen ist. Jetzt soll alles in atemberaubenden Tempo gehen. Die Herausforderung ist nicht mehr der Mangel an Geld, sondern die Realisierung, wie die Diskussionen um Lehrerfortbildung und Lernplattformen zeigen. Was die Krise schonungslos gezeigt hat, sind die Folgen mangelnder Investitionen der Vergangenheit in die Infrastruktur und die sozialen Ungleichheiten. 2021 bringt nicht nur die neu aufgeflammte, alte Diskussion um G8/G9 und die Profilierung der Schulformen, diesmal inklusive Berufsschulen, sondern auch die längst überfällige Debatte über Lernen im digitalen Zeitalter, Lernplattformen und hybride Modelle.
Die Entwicklung der Wirtschaft zeigt die beiden Gesichter der Herausforderungen eindrucksvoll. War das vergangene Jahr zunächst noch von Hiobsbotschaften aus den traditionellen Sektoren geprägt, gab es zum Ende hoffnungsvolle Botschaften. Die bemerkenswerteste ist ohne Zweifel die Ankündigung der Zwei-Milliarden-Investition von SVolt, daneben aber auch das Signal von Bosch in Homburg. Zumindest atmosphärisch wichtige Signale angesichts der Unsicherheiten über die automobile Zukunft, die vor allem auch die vielen Zulieferer, die am Verbrenner hängen, unter Druck setzt.
Auch die Entwicklung von Dillinger und Saarstahl unter dem Stichwort CO2-freie Stahlproduktion durch Einsatz von Wasserstoff ist zumindest ein Signal. Aber auch in diesem Fall noch längst nicht die Miete für die Zukunft. Insgesamt erfordert das Thema Wasserstoff-Modellregion noch einige Kraftanstrengungen, zumal das Land dabei beileibe nicht allein unterwegs ist.
Ob es die von etlichen Experten vorausgesagte große Insolvenzwelle in diesem Jahr geben wird, ist zwar noch unklar. Sicher aber ist, wie es auch die Regierungsspitze eingeräumt hat, dass nicht alle überleben werden. Eine Gratwanderung angesichts der milliardenschweren Unterstützungspakete bleibt, wovor ebenfalls Experten unter dem Schlagwort von der „Zombiewirtschaft" warnen, dass eigentlich auch schon der Krise kaum überlebensfähige Strukturen künstlich am Leben gehalten werden.
Demografie und soziale Fragen
Strukturwandel gehört im Saarland zum Kerngeschäft. Was sich heute abspielt, ist mit dem Niedergang einer Branche und dem Aufbau neuer Bereiche, nur bedingt vergleichbar. Ein Indiz dafür ist alleine schon die Begrifflichkeit. Das Wort vom Strukturwandel weicht dem neuen Schlagwort von der Transformation, womit ein fundamentaler, dauerhafter und umfassender Wandel beschrieben wird. Damit sind immer auch Entscheidungen und Prioritäten gefordert, die eine Wette auf die Zukunft sind.
Mit Cispa/Helmholtz und dem Innovations-Campus gibt es einen Nukleus, der der Internationalisierung des Landes einen bedeutenden Fortschritt bringen kann. Dass die Universität schon lange eine der internationalsten ist, könnte mehr ins Bewusstsein rücken. Der weitere Ausbau der Pharmazeutischen Forschung (Helmholtz-Institut HIPS) ist ein zusätzliches Standbein. Dass dafür das gesamte Umfeld, von Wohnraum über Kinderbetreuung und Schule, Kultur, aber auch Verkehrsanbindung stimmen muss, ist keine neue Erkenntnis. Aber schon die Mühsal um eine internationale Schule macht deutlich, was zukünftig zügiger und konsequenter laufen muss.
Das trifft letztlich auch die kommunale Ebene. Seit Jahr und Tag wird um eine Funktionalreform gerungen. Nachdem das immer wiederkehrende Gespenst einer Gebietsreform in den Tiefschlag verbannt wurde, beherrscht das Wort von der (freiwilligen) interkommunalen Zusammenarbeit die Szene. Fortschritte gab es, aber keinen großen Wurf. Auch in diesem Fall haben die Erfahrungen während der Pandemie die eine oder andere Bewegung gebracht. Der eGo Saar, Zweckverband für die elektronische Verwaltung, hat mit dem gemeinsamen „Saar-Portal" einen weiteren Schritt in die digitale Verwaltung getan. Das aber ist keine Antwort auf die Frage nach der Zukunft der Dörfer und Gemeinden bei einer schrumpfenden und älter werdenden Bevölkerung. Dazu kommt eine bereits seit Langem verfestigte und vorausgesagt steigende Altersarmut.
Das Corona-Jahr hat keine der ohnehin bestehenden Probleme gelöst. Manche sind deutlicher und schärfer klar geworden, andere zunächst etwas in den Hintergrund geraten. Dazu zählt unter anderem das grundlegende Klima-Thema mit den Stichworten Verkehrs- und Energiewende. Es gibt viele Maßnahmen, aber keinen wirklich umfassenden Plan. Um jedes Windrad und jede Photovoltaikanlage wird gerungen, ebenso wie um Betriebserweiterungen, Baugebiete und Straßen. Radfahren ist dank Corona groß in Mode gekommen, wenn auch hauptsächlich in der Freizeit. Das mag eher nur ein Randthema sein, aber einer von vielen Bausteinen, dass sich aus den Erfahrungen des ungewöhnlichen Jahres 2020 neben den problematischen Entwicklungen auch Chancen aufgetan haben, auf die viele freiwillig gar nicht gekommen wären.
Entscheidend ist, dass jetzt mehr als je zuvor im Grunde an allen Baustellen gleichzeitig gearbeitet werden muss. Und die eigentliche Herausforderung wird vermutlich sein, das in einem Jahr mit Bundestagswahlkampf und bereits gleichzeitig aufziehendem Wahlkampf für die darauffolgende Landtagswahl (2022) anzupacken.