Nach sechs Semestern Medizinstudium, entschied sich Elisa Mirbach-Eder für einen Studienwechsel. Mit ihrem medizinischen Wissen bewarb sich die 30-Jährige um eine Stelle als Containment Scout, um die Corona-Pandemie einzudämmen.
Frau Mirbach-Eder, war es schwierig, einen Job als Containment Scout zu bekommen?
Der Andrang war riesig, es gab etwa 12.000 Interessenten. Zwei Tage hatte man Zeit, um sich online beim Robert Koch-Institut (RKI) zu bewerben. Ich hatte Glück und wurde zum Bewerbungsinterview eingeladen. Ich musste erklären, warum ich Containment Scout werden will, was ich studiert habe, was meine Interessen sind und welche Bezirke für mich besonders infrage kommen. Dann kam die Zusage.
Um die Arbeit der Gesundheitsämter zu unterstützen, werden seit März Mitarbeiter gesucht, die dabei helfen, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, die sogenannten Containment Scouts. Wie wurden Sie auf diese Tätigkeit vorbereitet?
Es gab viele Informationen online, einstündige Vorträge und ausführliches Material zum Einarbeiten. Es ging beispielsweise darum, wie man mit Anrufen von Infizierten umgeht, wie das Meldesystem und die Datenbanken funktionieren und wie die Gesundheitsämter strukturiert sind. Natürlich gehörten zu den Themen auch eine Einführung in die Infektionsepidemiologie und in Ausbruchsuntersuchungen. Zuständig für die Einarbeitung war das RKI.
Ich habe mir eine Woche lang jeden Tag eine Themeneinheit vorgenommen und durchgearbeitet. Zusätzlich gab es regelmäßig Telefonkonferenzen, in denen man Fragen stellen konnte. Ich fühlte mich gut angeleitet, auch die Materialien waren gut gestaltet.
Seit wann sind Sie als Containment Scout im Einsatz?
Angefangen habe ich am 27. April im Gesundheitsamt Mitte, im Team sind wir zu viert.
Aufgabe der Gesundheitsämter ist es, Infektionsketten zu unterbrechen und eine weitere Ausbreitung von Corona zu verhindern, Kontaktpersonen zu ermitteln und nachzuverfolgen. Dafür wurden vom RKI in Zusammenarbeit mit dem Bundesverwaltungsamt bundesweit über 510 Containment Scouts eingestellt. Wie war Ihr erster Tag als Scout?
Am ersten Tag habe ich nur zugesehen. Ich wurde anfangs im Team Kontrolle eingesetzt. Dort versuchen die Mitarbeiter telefonisch, Corona-Fälle herauszufinden und mit wem sie Kontakt hatten. Sie fragen nach Symptomen und ermitteln Kontaktpersonen. Wenn jemand nicht zu erreichen ist, bekommt die Person einen Brief vom Ordnungsamt mit der Bitte um Rückmeldung. Wer nicht antwortet, bekommt persönlich Besuch vom Ordnungsamt. Aber in der Regel sind die Leute auffindbar. Dann geht es darum, Listen anzufertigen und Erhebungsbögen auszufüllen. Es muss aufgeführt werden, in welchen Einrichtungen, Läden und Restaurants sich die Leute aufgehalten haben sowie Krankheitssymptome, Testergebnisse und Kontaktpersonen.
Wie ging es für Sie weiter, welche Aufgaben haben Sie?
Ich habe auch schon in voller Schutzkleidung Personen getestet und Abstriche gemacht, bin aber hauptsächlich mit Telefongesprächen und der Kategorisierung von Fällen und der Dokumentation beschäftigt. Es ist viel Verwaltungs- und Administrationsarbeit. Außerdem gibt es regelmäßig Telefonkonferenzen mit dem RKl. Zugeteilt wurde ich für die sechs Monate dem Team Kontakte, dessen Aufgabe die Kontaktermittlung und Nachverfolgung ist.
Hattest Sie anfangs Schwierigkeiten mit den Abläufen?
Durch die gute und umfassende Vorbereitung bin ich gut zurechtgekommen. Kompliziert fand ich am Anfang die Kategorisierung der Personengruppen. Es gibt drei: K1 für Menschen, die 15 Minuten Kontakt mit anderen Personen hatten ohne einen Abstand von mindestens eineinhalb Metern, K2 steht für keine Quarantäne und K3 für medizinisches Personal mit besonderer Schutzkleidung. Da musste ich auch mal direkt bei RKI nachfragen.
Wie reagieren die Leute am Telefon?
Viele haben Angst vor der Quarantäne und halten sich nicht an die Maßnahmen. Angst vor dem Test und den möglichen Folgen gibt es natürlich auch. Dann beschreibe ich, wie die Quarantäne abläuft und wie die Tests durchgeführt werden. Dafür ist es hilfreich, dass ich bei der Einführung gelernt habe, gut zu kommunizieren. Aber insgesamt sind die meisten Menschen verantwortungsbewusst. Wenn ich jemanden in Quarantäne schicken muss, ist der natürlich nicht begeistert. Viele haben große Probleme, wenn sie wegen der Quarantäne nicht zur Arbeit gehen können, aber das Geld dringend brauchen und davon abhängig sind. Geschiedene Eltern wissen nicht, wie sie ihre Kinder getrennt betreuen sollen. Und besonders traurig sind diejenigen, die einen Urlaub gebucht hatten und wegen der Quarantäne nicht weg können. Ich bekomme hier die ganze Gesellschaft mit.
Was bringt Ihnen die Tätigkeit persönlich?
Erst mal freue ich mich, dass ich den Job bekommen habe. Auch darüber, dass sich die Semester meines Medizinstudiums doch noch ausgezahlt haben, obwohl ich heute etwas ganz anderes mache. In meinem Team sind sonst nur ausgebildete Fachleute, eine Tierärztin, eine Molekularmedizinerin und ein Public-Health- Spezialist.
Die Tätigkeiten sind sehr interessant, ich lerne ständig dazu. Der Job verschafft mir zusätzlich auch ein gutes Selbstbewusstsein. Außerdem kann ich so Geld verdienen.
Wie viel verdienen Sie als Containment Scout?
Monatlich 1.300 Euro netto.
Inzwischen unterstützen bundesweit 3.200 Soldaten die Arbeit der Gesundheitsämter, 94 davon das Gesundheitsamt Berlin-Mitte. Ist es in der Arbeitszeit noch zu schaffen, die steigende Anzahl der Fälle zu bearbeiten?
Ich habe viele Überstunden, anfangs habe ich sogar am Wochenende gearbeitet. Die Überstunden kann ich zum Glück durch Gleittage ausgleichen. Inzwischen wird ja viel mehr getestet, sodass wir mehr Fälle und Daten bearbeiten müssen. Von den Soldaten sind 14 im medizinischen Team, welches uns bei den Tests unterstützt, die anderen sind über mehrere Standorte verteilt und helfen bei der Kontaktnachverfolgung und bei der Ausstellung der Bescheide. Da eine Neueinstellung von Personal mit einem großen Schulungsaufwand verbunden ist, sind wir derzeit zufrieden mit der Anzahl der eingesetzten Soldaten.
Kommen Sie mit der steigenden Anzahl von Fällen noch hinterher?
Durch die anrollende zweite Welle war es zeitweise schwierig, wir waren völlig überlastet. Die Lage ist sehr angespannt, aber wir planen, während des laufenden Lockdowns wieder die Oberhand zu gewinnen. Im Schnitt schaffe ich zehn Fälle pro Tag.
Müssen Sie sich bei Ihrer Arbeit selbst vor dem Virus schützen?
Professionelle Schutzkleidung brauche ich nur, wenn ich bei den Tests dabei bin, um sie gleich zu dokumentieren. Ansonsten arbeite ich im Büro. Und da haben unsere Tische einen Abstand von zwei Metern, außerdem tragen wir Masken.
Und wie sehen die Mittagspausen aus?
Wir machen zusammen Mittagspause und halten Abstand. Der Austausch unter den Kollegen in der Pause ist total wichtig.
Worauf achten Sie privat, um eine Ansteckung zu vermeiden?
Ich schütze mich persönlich durch das Tragen von Masken im öffentlichen Verkehr. Aufgrund eines potenziellen Risikos habe ich auch darauf verzichtet, zu den Black-Lives-Matter-Demos zu gehen, obwohl ich gerne dabei gewesen wäre.
Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung der Corona-Pandemie ein?
Ich denke, dass die Corona-Pandemie noch einige Zeit unsere Begleiterin sein wird. Durch einen Impfstoff und immer weiter ausgefeilte Containment-Techniken wird der Umgang mit kommenden Pandemien besser werden.
Was waren Ihre ursprünglichen Pläne? Was hätten Sie gemacht, wenn Corona nicht das Leben auf den Kopf gestellt hätte?
Ich wollte meine Masterarbeit in Kunstgeschichte schreiben. Aber da auch die Bibliotheken geschlossen waren, konnte ich nicht richtig weitermachen. Online geht vieles, aber nicht alles.
Welche Nachteile sind für Sie durch Corona entstanden?
Durch meine Arbeit als Scout habe ich die Situation ganz anders als der Großteil der Bevölkerung verarbeiten können. Ich kann aktiv etwas gegen das Virus tun, indem ich Kontakte nachverfolge, Quarantänen ausspreche und Fälle dokumentiere. Dies gibt allen im Team auch ein Gefühl von Stärke gegenüber dem Coronavirus, dem die Bevölkerung zumeist mit Ohnmacht gegenübersteht. Nachteile sind aber allgegenwärtig, angefangen von den Onlinekursen, über gesperrte Bibliotheken, Reisebeschränkungen und verschobener Uniabschluss, sowie die Sorge um Verwandte, die zur Risikogruppe gehören oder die um ihre Jobs bangen, ist alles dabei. Corona ist für niemanden leicht zu ertragen.
Was gefällt Ihnen besonders dabei?
Die gute Teamarbeit, die neuen Herausforderung und die Möglichkeit, dazuzulernen. Mir gefällt vor allem, dass ich so dazu beitragen kann, die Ausbreitung der Pandemie zu verringern. Es ist einfach ein gutes Gefühl, dabei zu sein.