Joe Bonamassa lebt, als wäre jeder Tag sein letzter. Der Gitarrist und Sänger hat in den vergangenen 31 Jahren 45 Alben veröffentlicht. Sein neuestes heißt „Royal Tea" und präsentiert einige musikalische Überraschungen. Der 43-jährige Wahl-Kalifornier spricht im Interview über die Arbeit in den Abbey Road Studios, seine Stiftung und die Corona-Krise.
Mr. Bonamassa, „Royal Tea" ist Ihr drittes Studioalbum im Jahr 2020. Ist die Corona-Krise der Grund für diesen kreativen Schub?
Nein, nein, die Songs für „Royal Tea" haben wir bereits im Jahr davor geschrieben und im Januar vergangenen Jahres in London aufgenommen.
Wie war es, ein ganzes Album in den legendären Abbey Road Studios einzuspielen, der Wirkungsstätte der Beatles?
Es war fantastisch. Ich wollte das schon immer mal machen. Eigentlich sollte es sogar schon vorletztes Jahr so weit sein, aber aufgrund verschiedener Probleme wurden die Aufnahmesessions in den Januar verschoben. Kurz darauf begann die Pandemie. Deshalb erschien das Album erst Ende 2020.
Haben Sie in den Abbey Road Studios das Original-Equipment der Beatles benutzt?
Es waren dieselben Mikrofone, mit denen die Beatles damals gearbeitet haben. Ein interessantes Experiment. Wir haben einfach das Zeug benutzt, das da war.
Haben Sie das Umfeld als inspirierend empfunden?
Ja. Die Songs habe ich mit anderen in London geschrieben, und zwar in dem kleinen Abbey-Road-Studio, wo ich in der Zeit auch wohnte. Insgesamt war ich fünf Wochen in London. Deshalb hat die Platte auch diesen speziellen Sound. Wenn man eine Zeit lang in einem anderen Land ist und sich vornimmt, dort ein musikalisches Projekt zu realisieren, kommt man unweigerlich in eine kreative Stimmung. Bernie Marsden, Kevin Shirley und Pete Brown trugen dazu bei, dass diese Platte einen englischen Geschmack hat.
Warum empfanden Sie es als notwendig, die Songs in London zu schreiben?
Weil ich dort mit einer Vision hingegangen bin. Ich war ja zuvor schon einige Male in London, weshalb ich diesmal aufs Sightseeing-Programm verzichtet habe.
Ich hatte auch nicht vor, mit einem Mitglied der Royal Family Tee zu trinken. Ich bin in der Zeit jeden Morgen mit dem Gedanken aufgewacht, dass ich heute den verdammt besten Song meines Lebens schreiben will. Ich bin ein Arbeitstier. Ich kann ja mit Anfang 40 noch nicht in Rente gehen. Da kann man nichts machen.
Als Mitkomponisten und Co-Textautoren holten Sie sich den früheren UFO-und Whitesnake-Gitarristen Bernie Marsden, den legendären Cream-Texter Pete Brown sowie den englischen Pianisten und Fernsehmoderator Jools Holland mit ins Boot. Haben Sie diese Leute ausgewählt, weil Sie sie für einzigartig halten?
Das sind sie tatsächlich. Bernie und ich haben die meisten Songs zusammen geschrieben und von Pete Brown stammen größtenteils die Worte. Er ist ein großartiger Texter. Kennengelernt haben wir uns voriges Jahr in den Abbey-Road- Studios bei der Arbeit an dem Tribute-Album „Cream Acoustic", an dem auch Ginger Baker, Bernie Marsden und Jack Bruce’ Sohn Malcolm beteiligt waren. Übrigens Ginger Bakers letzte Studio-Session vor seinem Tod. Bei der Gelegenheit beschlossen Pete und ich, zusammen Songs zu schreiben. Er ist inzwischen 80 Jahre alt und gehört zu meinen Idolen.
Wie fühlt es sich an, Pete Browns Texte zu singen?
Verdammt cool. Ich habe ein kleines bisschen an seinen Lyrics herumgedoktert, damit sie auch für mich Sinn machen. Er ist schon sehr speziell. Seine Sachen zu singen hatte für mich etwas Befreiendes. Wir liegen auf einer Wellenlinie. Ein besonders magischer Moment war, als mein alter Freund Nick Mason von Pink Floyd uns im Studio besuchen kam.
Wer spielt auf „Lookout Man" so leidenschaftlich Mundharmonika?
Das ist auch Pete Brown. „Lookout Man" ist einer meiner Lieblingssongs auf der Platte. Sie unterscheidet sich sehr von meinen bisherigen Alben.
Was fasziniert Sie eigentlich am britischen Blues Rock der 60er-Jahre?
Das war einfach eine gefährlich gute Zeit mit fantastischer Musik. Die Künstler von damals waren regelrecht gierig danach, berühmt zu werden, Mädchenherzen zu erobern und geile Platten zu machen. Ich liebe den Sixties-Brit-Sound.
In „Why Does It Take So Long To Say Goodbye" verarbeiten Sie die kürzlich erfolgte Trennung von Ihrer Lebensgefährtin.
Den Song habe ich geschrieben, weil ich etwas loswerden wollte, was mir auf der Seele lag. Auf mich wirkt das Songschreiben und Musikmachen wie eine Therapie.
In „A Conversation With Alice" reflektieren Sie intensive Gespräche mit einer Therapeutin, die Sie wegen anderer persönlicher Probleme zurate zogen. Was haben diese Sitzungen ergeben?
Dass ich schnell gelangweilt bin. Es waren aber nur zwei Sitzungen, weil ich zu dem Entschluss gekommen bin, dass ich meine Probleme gar nicht beheben will.
Wir leben in einer sehr chaotischen und schwierigen Zeit. Wie schaffen Sie es da, positiv zu denken?
Es gibt Tage, an denen ich das Gefühl habe, dass meine Karriere vorbei ist. Und dann gibt es welche, an denen ich Bäume ausreißen könnte. Ich gehöre nicht zu den Musikern, die in der Corona-Krise aus Verzweiflung auf Instagram Live-Gigs von zu Hause streamen. Ich habe im September das komplette „Royal Tea"-Album im Ryman Auditorium in Nashville performt. Zuschauer waren nicht zugelassen, weil ich die Gesundheit meiner Fans und Freunde nicht riskieren will. Das wäre unverantwortlich. Aber man konnte sich die Show gegen eine Spende im Netz ansehen. Von jedem einzelnen Unterstützer haben wir ein Foto ausgedruckt und an einem Sitz befestigt, sodass ich an jenem Abend in 2.300 Gesichter blickte.
Derzeit finden wegen der Pandemie kaum Konzerte statt. Womit beschäftigen Sie sich momentan?
Ich produziere gerade ein Album für Eric Gale, für mich persönlich der beste Bluesrock-Gitarrist der Gegenwart. Das macht wirklich Spaß. Auf der Platte sind auch ein paar Soli von mir zu hören. Das Produzieren hat für mich etwas Therapeutisches. Ich werde auch die nächste Platte der Bluesrock-Gitarristin Joanna Connor aus Chicago produzieren. Eine richtige coole Künstlerin.
Wird die Corona-Krise die Live-Branche für immer verändern?
Nein, nicht für immer. Aber für zwei Jahre auf jeden Fall. Viel Zeit für mich, kreativ zu sein. Ich mag es nicht, untätig herumzusitzen.
Wenn Sie mal zurückblicken: Ist es einfach, ein glückliches Leben zu führen?
Ich würde sagen Ja. Aber es hängt natürlich davon ab, was du hast, was du tust und wie du es tust. Ich jedenfalls bin glücklich mit dem Verlauf meines Lebens. „Royal Tea" ist meine 45. Platte in 31 Berufsjahren. Sollte meine Karriere morgen zu Ende sein, kann ich zufrieden zurückblicken.
In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?
Jedenfalls nicht nur beim Musikmachen, sondern auch in diesem Moment. Natürlich liebe ich es, Musiker zu sein, aber ich weiß auch, wie schwer es ist, eine Karriere über einen langen Zeitraum aufrechtzuerhalten. Vielen da draußen geht es nicht so gut wie mir. Deshalb habe ich schon vor Jahren die Stiftung „Keeping The Blues Alive" gegründet. Unter dem Stichwort „Fueling Musicians" gewähren wir aktuell Live-Performern eine Soforthilfe in Höhe von 1.000 Dollar in bar sowie Tankzuschüsse in Höhe von 500 Dollar, damit diese Profis nach der Pandemie wieder auf Tour gehen können.
Sie haben kürzlich Ihr Debütalbum neu aufgenommen, welches jetzt „A New Day Now" heißt. Wie fühlt es sich an, 20 Jahre alte Aufnahmen von sich selbst anzuhören?
So fucking strange! Aber das Leben ist ein einziger Lernprozess. Mit der Neueinspielung möchte ich meinem damaligen Produzenten Tom Dowd die Ehre erweisen. Er hat mir so viel beigebracht. Ich habe aber lediglich den Gesang neu aufgenommen, weil ich anfangs überhaupt kein guter Sänger war. Als ich mein Debüt einspielte, war ich ja fast noch ein Teenager. An ihm kann man sehr deutlich sehen, wie ich mich im Lauf der Jahre weiterentwickelt habe.