In Bewegung bleiben trotz geschlossener Sport- und Yogastudios? Kein Problem, denn es gibt mittlerweile eine schier unüberschaubare Zahl an Onlinekursen – von Bauchtanz bis Crossfit. Nicht alles aber eignet sich wirklich gut für ein Training daheim.
Es duftet nach Kaffee und Lebkuchen, aber eines ist klar: Der gemütliche Teil des Sonntagnachmittags ist jetzt definitiv vorbei. Denn die paar Quadratmeter zwischen Bücherregalen und Esstisch haben sich jetzt in mein „Home-Tanzstudio" verwandelt, und vom Bildschirm des Laptops, den ich so ausgerichtet habe, dass ich der Trainerin „gegenüberstehe", schallt mir ein forsches „Ok, let’s go" entgegen.
Draußen ist es schon dunkel und ungemütlich nasskalt, aber mir wird innerhalb kürzester Zeit recht warm, obwohl ich die Heizung vorsichtshalber heruntergedreht habe. Corinna, die durchtrainierte Mittvierzigerin mit den zurückgebundenen Haaren, hält sich nicht allzu lange mit Vorreden auf. Ganz klar, auch online hat sie ihre Jazzdance-Fangemeinde um sich versammelt. Ungefähr zwölf kleine Fenster sind auf dem Bildschirm aufgepoppt, ich sehe Frauen unterschiedlichsten Alters, von Anfang 20 bis 60, ein Mann ist heute wohl nicht dabei. Und da werde ich schon direkt angesprochen! „Sabine, Dein Fenster ist dunkel, hast Du die Kamera ausgeschaltet?" „Ja", nuschele ich etwas verschämt, „ich bin doch heute zum ersten Mal dabei, traue mich noch nicht so recht".
In flottem Tempo durch das Warm-up
Das wird offensichtlich akzeptiert, denn Corinna geht in ziemlich flottem Tempo durch ihr erstes Warm-up. Wie gut, dass sie nicht sieht, was ich hier in meinem Wohnzimmer aus dem komplizierten Ablauf von Stretches, Abrollen der Wirbelsäule, kleinen Rotationen und Isolationsbewegungen mache. Nur wer das Ganze schon einmal im „realen Unterricht" geübt hat, so die Erkenntnis nach wenigen Minuten, hat jetzt eine Chance, gut mitzukommen. Ich entscheide mich für eine vereinfachte Version, verharre einfach etwas länger im Stretch, warm wird mir auf jeden Fall, auch weil die treibenden Beats, die jetzt vom Bildschirm zu hören sind, für ein ordentliches Grundtempo sorgen.
Wir arbeiten uns durch ein ziemlich komplexes Aufwärmtraining, das ich mit einigen Abstrichen mitmache – nein, auf die Knie möchte ich mich zum Beispiel im Dehnungspart nicht auf meinen harten Holzboden begeben, das wäre auf dem Boden des lichtdurchfluteten Trainingssaals in der Kreuzberger Fabriketage doch etwas gelenkfreundlicher. Nach etwa einer halben Stunde folgt ein Adagio, eine langsame Bewegungsfolge mit vielen Balancen und Drehungen, leider fehlt mir für einiges daheim der Platz. Außerdem verwirrt es, die Trainerin als Spiegelbild zu sehen. Sie spricht vom rechten Bein, für mich sieht es so aus, als streckte sie ihr linkes Bein in die Luft. Tanztraining daheim ist eindeutig auch eine ordentliche Herausforderung für die „grauen Zellen" – schon allein wegen des ständigen Umdenkens, was rechte und linke Seite betrifft.
Improvisation ist zeitweilig gefragt
Es geht nun in die Choreografie – und da bin ich ganz klar im Nachteil all jenen gegenüber, die bei Corinna auch in den Monaten zwischen den Lockdowns regelmäßig trainiert haben. Schöne Bewegungsideen, eine spannungsgeladene Musik, aber an einem Nachmittag lässt sich gerade vor dem Bildschirm nicht eben mal all das nachholen, wofür andere Woche für Woche geübt haben. Egal, ich schummle mich auf meiner Tanzfläche ein wenig durch die Choreo, improvisiere an der einen oder anderen Stelle und habe nach 90 Minuten auf jeden Fall das Gefühl, ganz viele Muskeln bewegt und gedehnt und auch etwas Spaß gehabt zu haben.
Kontrastprogramm am nächsten Morgen – ein Pilates-Livestream steht auf dem Programm. Hier sind die Voraussetzungen ganz andere. Ich kenne das Studio recht gut, trainiere dort normalerweise zweimal pro Woche, habe auch meine „Lieblingstrainerinnen", die alle etwas unterschiedliche Schwerpunkte setzen. An diesem trüben Wintertag sorgt Cécile dafür, dass wir daheim schnell wach werden. Gut, dass ich sie schon oft „live" erlebt habe, denn ihr starker französischer Akzent und das mitunter etwas „wackelige" Internet sorgen stellenweise für akustische Aussetzer. Kein Problem in diesem Fall, denn die Übungen sind mir bekannt, einfach weitermachen, die Bewegungen gut mit der Atmung verbinden, im Fluss bleiben. 60 Minuten dauert die Pilates-Klasse. 60 Minuten, in denen uns Cécile durch unterschiedlichste Übungen für Rücken- und Bauchmuskulatur dirigiert, dabei immer wieder erst selbst die Abläufe zeigt und erklärt, um uns dann mit ruhiger Stimme zu begleiten. Toll fühlt sich insbesondere der Rücken nach dieser Trainingsstunde an, vor allem der Bereich der unteren Wirbelsäule. Die Stelle, an der wegen des vielen Sitzens im Homeoffice oft alles verspannt ist. Ein guter Start in diesen Redaktionstag. Ich beschließe, das nächste „Pilates-Date" mit Cécile gleich zu buchen. Obwohl: Mal etwas anderes ausprobieren wäre auch nicht schlecht. Denn im zweiten Lockdown haben Bewegungswillige und „Fitness-Addicts" – so komisch es sich vielleicht anhören mag – tatsächlich die Qual der Wahl. Waren im Frühjahrslockdown viele Tanz-, Pilates-, Yoga- und Fitnessstudios eher noch skeptisch, ob es sich tatsächlich lohnen würde, ein umfangreiches Online-Programm aufzulegen, so kommt im zweiten Lockdown keiner mehr an Strea-ming- oder YouTube-Angeboten vorbei. Ganz klar, es geht um Kundenbindung, auch darum, über Online-Kurse wenigstens einen Teil der üblichen Einnahmen „einzuspielen". Aber auch darum, in dieser so schwierigen und unsicheren Zeit für Momente der Ablenkung und der Freude zu sorgen, egal ob beim Auspowern oder bei der fast meditativen Konzentration auf sich und den eigenen Körper.
Schöne Ablenkung, die wohl noch eine Zeit lang gebraucht wird
Dabei haben die verschiedenen Anbieter unterschiedlichste Modelle entwickelt. Wer bei einem Studio einen Vertrag oder eine Zehnerkarte hat, kommt in der Regel in den Genuss des kompletten Online-Angebots. Für „Externe" gibt es mitunter die Möglichkeit, einzelne Streaming-Sessions zu buchen – andere stellen wiederum ausgewählte Angebote kostenlos auf Youtube zur Verfügung. Eine Art Köder, setzen doch schließlich alle darauf, dass irgendwann im diesem Jahr auch wieder Sport im Studio möglich sein wird. Eine gute Möglichkeit für mich auf jeden Fall, sich durch das Angebot eines Sportstudios zu testen, das mir von Freunden empfohlen wurde. Den Anfang mache ich mit Derek und seinem „Bauch-Beine-Po-Express". Okay Derek, Du wirkst sympathisch, auch weil Du optisch nicht unbedingt dem durchtrainierten Fitness-Guru entsprichst. Aber so richtig vorbildlich wirkt Deine Körperhaltung nicht, und die Erklärungen der einzelnen Übungen leuchten mir auch nicht so ganz ein. Weiter geht es also mit Miriam und ihrer Fußgymnastik. Das hört sich erst einmal banal an –
ist aber höchst wirkungsvoll. Es gilt, sich ein paar Requisiten zu organisieren, am besten Tennis- oder auch andere kleine Bälle – oder eine kleine Faszienrolle. 30 Minuten lang werden nun Fußsohle und Fußaußenseite bearbeitet, massiert, wird an einzelnen Punkten verharrt, zwischendurch immer wieder getestet, wie sich die Auflagefläche der Füße danach anfühlt. Tatsächlich fantastisch. Ich beschließe, diese unkomplizierte Trainingseinheit möglichst zweimal pro Woche am besten vor der Fahrt ins Büro unterzubringen.
Nach rund zwei Monaten Lockdown und geschlossenen Fitness- und Tanzstudios ist klar: So verführerisch das breite Angebot an Onlinekursen und -klassen, so unterschiedlich sind die jeweiligen Sportarten oder Tanzformen tatsächlich für das Training zu Hause geeignet. Denn zwischen Weihnachtsbaum und Esstischkante ist leider nicht so viel Platz für ein exzessives Zumba-Workout. Und die Gelenke reagieren nach einer Stunde federnder Bewegungen und kleiner Sprünge auf dem harten Wohnzimmerboden auch nicht so richtig erfreut. Zudem hängt viel von den jeweiligen Trainerinnen und Trainern ab, manch eine spricht gezielt die Stammkundschaft an, bei der man davon ausgeht, dass sie Abläufe und Choreografien kennt. Manch einer aber versucht auch diejenigen mit ins Boot zu holen, die vielleicht zum ersten Mal dabei sind. Wer so ein kleines Erfolgserlebnis hat, wird später vielleicht auch den „richtigen" Kurs besuchen. Ich habe mittlerweile auch Lieblingskurse und -trainer und mische mir von Woche zu Woche immer wieder ein neues Programm zurecht. Langweilig soll es ja nicht werden, schließlich bleibt uns der Sport online wohl noch eine ganze Weile erhalten!