Sie können charmant sein, uns faszinieren und begeistern. Aber sie können auch herablassend und emotional kalt sein oder uns sogar quälen. Woran erkennt man einen Narzissten und vor allem – wie geht man mit ihm um?
Alles begann mit dem Sohn des Flussgottes Kephissos. Narziss, so erzählt es die griechische Mythologie, wurde von Frauen und Männern gleichermaßen umworben, war aber so sehr von seiner eigenen Schönheit erfüllt, dass er all seine Verehrer und Verehrerinnen herzlos zurückwies. Als er sich eines Tages in einer Wasserquelle sah, verliebte er sich in sein eigenes Spiegelbild, ohne zu erkennen, dass es er selbst war, den er sah. Der Narzissmus, die übertriebene Selbstliebe, geht deshalb auf ihn zurück. Kaum ein Begriff hat es so sehr in die Umgangssprache geschafft wie dieser. Von Egomanen in der Chefetage, Dauer-Teilnehmern in Reality-Formaten, Selbstdarstellern im Netz oder auch von Politikern wie Donald Trump heißt es immer wieder, sie seien Narzissten. Mitunter gelten sogar ganze Generationen als egoman. Aber ist das wirklich so? Woran erkennt man einen Narzissten?
Narzissmus ist ein vieldeutiger Begriff. Umgangssprachlich bezeichnen wir so meist jemanden, der egoistisch, eitel und selbstverliebt wirkt. In der Persönlichkeitspsychologie gilt Narzissmus dagegen zunächst als ein Merkmal, das in der Bevölkerung ähnlich wie Körpergröße oder Intelligenz normal verteilt ist. Die meisten Menschen liegen im Mittelfeld, extrem hohe und extrem niedrige Ausprägungen kommen selten vor. Im gängigsten psychologischen Narzissmus-Fragebogen werden drei Hauptkennzeichen erhoben. Dazu zählen Autoritätsanspruch und Führungsdenken („Ich bin ein geborener Anführer"), Hang zur Selbstdarstellung („Ich stehe gerne im Mittelpunkt") und ausbeuterisches Verhalten („Es fällt mir leicht, andere zu manipulieren"). Narzissmus kann in ganz unterschiedlichen Ausprägungen vorliegen und reicht vom gesunden Selbstrespekt bis zum pathologischen Narzissmus. Bei letzterem liegt dann auch eine klinische Diagnose, die sogenannte „narzisstische Persönlichkeitsstörung" vor. Kernmerkmale dieser Störung sind eine Überhöhung der eigenen Bedeutung und mangelnde Empathie. Der pathologische Narzisst hält sich für großartig, ohne Großartiges zu leisten. Er fantasiert von grenzenlosem Erfolg, Macht und Schönheit. Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung verhalten sich häufig manipulativ, empathielos und ausbeuterisch ihren Mitmenschen gegenüber. Andere Menschen dienen ihnen vor allem dazu, die eigene Großartigkeit widerzuspiegeln. Neben dem Narzissten, der seine eigene Überhöhung nach außen trägt, gibt es auch eine Art verdeckten Narzissten. Dieser gibt sich zwar bescheiden, lebt aber innerlich auch mit der Vorstellung, einzigartig und überragend zu sein.
Überschätzung, ohne Großartiges zu leisten
Die Gefühlswelt und das Selbstbild gehen bei Narzissten meist auseinander, Narzissmus funktioniert als Maske. Denn hinter dem vermeintlich gigantischen Ego stecken verletzte Kinderseelen, die nach Anerkennung lechzen. Daher kommen Narzissten so schwer mit Kritik klar. Dann schwindet ihre charmante Art und es treten häufig aggressive und bösartige Züge zum Vorschein. Mit solchen Menschen ist schwer auszukommen. Etwa ein Prozent der Bevölkerung zählt dazu. Weitere fünf Prozent gelten zwar nicht als pathologische, aber doch „extreme" Narzissten. Der Rest der Bevölkerung verteilt sich entlang der Skala. Etwas Narzisstisches haben die meisten Menschen in sich, weil sie in unterschiedlichem Maß den Drang haben, sich als etwas Besonderes zu fühlen. Solange dieser Drang nicht die Überhand gewinnt, kann er sogar Quelle von Tatkraft und Zuversicht sein.
Die Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie Claas-Hinrich Lammers und Gunnar Eismann haben das Buch „Bin ich ein Narzisst? Oder einfach nur selbstbewusst?" geschrieben und stellen klar, dass Narzissmus keinesfalls automatisch als problematisch oder gar pathologisch eingeordnet werden sollte. Bis zu einem gewissen Grad sei Narzissmus, definiert als gesundes Selbstwertgefühl, Voraussetzung für eine normale psychische Entwicklung und die Grundlage für Lebensfreude und Kreativität. Die Übergänge aber zwischen einem gesunden Narzissmus, der mit einem starken Selbstbewusstsein, Freude am eigenen Erfolg und dem Wunsch, etwas Besonderes zu sein, einhergeht, und einem problematischen, gar pathologischen Narzissmus sind ihnen zufolge fließend. Gradmesser dafür, wie stark narzisstische Züge ausgeprägt sind, könne das „beträchtliche Leiden" sein, das ein Mensch seiner Umgebung bereitet. Zu den problematischen narzisstischen Zügen zählen Selbstbezogenheit und ein Mangel an Empathie, die Neigung, andere Menschen abzuwerten, gesteigerte Rivalität und der Zwang, stets die Kontrolle über sich und andere zu haben sowie die daraus resultierende Unfähigkeit, Nähe zuzulassen. Das führe nicht selten zu innerer Leere und Einsamkeit. Das Zusammenleben mit stark narzisstischen Menschen beschreiben die Fachärzte als „bestenfalls enttäuschend und schlimmstenfalls einfach nur furchtbar". Ihnen zufolge sind es überwiegend Männer, die ihren Lebenspartnern, ihren Kollegen oder den ihnen unterstellten Mitarbeitern das Leben schwermachen. Frauen scheinen generell nicht so narzisstisch zu sein, sondern eher diejenigen, die unter ihrem Partner leiden.
Lebenspartner leiden unter dem Ego
Die Ursachen der narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind noch nicht vollständig erforscht. Studien zufolge soll aber etwa die Hälfte der Fälle genetisch bedingt sein. Daneben spielt auch die Erziehung eine Rolle. Kinder, deren Eltern sie stets für die tollsten, schönsten und besten halten, neigen den Fachärzten zufolge dazu, ein überhöhtes Selbstwertgefühl zu entwickeln. Umgekehrt können aber auch zu hohe Ansprüche oder Vernachlässigung in der Kindheit zu narzisstischen Verhaltensweisen führen. In solchen Fällen haben narzisstische Menschen ein sehr geringes Selbstwertgefühl, das sie zu kompensieren versuchen, indem sie Dinge tun, die ihnen Anerkennung, Respekt und Zuspruch verschaffen. Bleibt dies aus, kann es zu einer narzisstischen Kränkung kommen. In schwerwiegenden Fällen können solche Krisen zu Depressionen oder sogar Selbstmord führen. Die Suizidrate ist bei Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung überdurchschnittlich hoch: sie beträgt 14 Prozent.
Das Streben nach Anerkennung, kombiniert mit selbstverliebtem, egoistischem Verhalten und der Fähigkeit, charmant und begeisternd zu sein, führt dazu, dass Narzissten häufig nach Führungspositionen streben und dort auch zu finden sind. Forscher der Universität Mannheim konnten zeigen, dass diese Persönlichkeitseigenschaften leicht begünstigen, dass Menschen überhaupt in die Führungspositionen kommen. Demnach hätten Narzissten einen Hang dazu, sich extrovertiert zu verhalten und schneller zuzugreifen, wenn sich eine Führungsrolle anbiete. Blickt man auf den Führungserfolg, zeige sich hingegen, dass Narzissten nicht erfolgreicher führen als andere. Im Gegenteil: Ist jemand sehr narzisstisch, könne das auch dazu führen, dass er keine engen, vertrauensvollen Beziehungen zu anderen aufrechterhalten kann.
Ihren Mitarbeitern machen narzisstische Führungskräfte das Leben oft sehr schwer. So manipulieren sie beispielsweise gezielt, fallen auf durch cholerische Wutausbrüchen oder geben die gute Arbeit des Kollegen als die eigene Leistung aus. Machen sie hingegen einen Fehler, weigern sie sich häufig, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Weil sie nicht mit Kritik umgehen können, herrscht häufig das Credo: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich". In manchen Fällen geht das respektlose Verhalten des Chefs bis hin zum Mobbing.
Wie also soll man mit ihnen umgehen? Experten wie Lammers und Eismann zufolge hängt dies von der Ausprägung des Narzissmus ab. Ist das Gegenüber nicht stark narzisstisch, könne man es mit einem vorsichtigen Feedback probieren. Ansonsten erreiche man mit ehrlichem Feedback und Kritik nichts. Die Gefahr steige eher, dass der Narzisst einen Wutanfall bekommt, verbal zurückschlägt und den Mitarbeiter beispielsweise vor Kollegen bloßstellt. Auf wahllose Kritik des Chefs solle man nicht emotional eingehen, sondern sachlich bleiben und die Themen abarbeiten. Wer enorm unter dem Vorgesetzten leidet, solle der eigenen seelischen Gesundheit wegen eine Kündigung in Betracht ziehen.
Auch Professor Rainer Sachse, Leiter des Instituts für Psychologische Psychotherapie in Bochum, hat sich intensiv damit befasst, wie man mit solchen Chefs und Kollegen klarkommt. Er rät, den Narzissten mit Lob und Anerkennung zu füttern. Dabei könne man gar nicht dick genug auftragen. Will man hingegen Fehler ansprechen, sollte man diese als kleine Versehen darstellen. Wer Opfer eines Wutausbruchs wird, könne sich sagen: „Ich bin nicht persönlich gemeint. Er kann nicht anders", so Sachse gegenüber der „Apotheken Umschau". Das generelle Rezept im Umgang mit einem Narzissten heiße Akzeptanz. Ihn ändern, zur Einsicht zu bringen oder einen Kontakt herstellen seien sinnlose Versuche.
In Partnerschaften mit Narzissten sei vor allem die emotionale Ausbeutung das Problem. Daher sei es wichtig, von Anfang an klare Grenzen zu setzen. Das ist deshalb nicht ganz einfach, weil sich narzisstische Menschen besonders am Anfang einer Beziehung oft charmant und selbstbewusst verhalten. Sie sind besonders aufmerksam und tun quasi alles für den potenziellen Partner. Bereits nach kurzer Zeit kann dieses Verhalten jedoch ins Gegenteil umschlagen: Der andere wird ständig kritisiert, kontrolliert und spielt in der Beziehung bestenfalls eine Nebenrolle. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Partner aufhört, das Ego des Narzissten zu streicheln. Deshalb funktionieren Beziehungen mit Narzissten meist nur kurzfristig. Länger andauernde Partnerschaften sind oft geprägt von emotionaler Abhängigkeit und Unterordnung des Partners. Oft bleiben die Partner auch in der Hoffnung, der Narzisst würde sich ändern. Experten gehen allerdings davon aus, dass sich Personen mit stark narzisstischen Zügen nur ändern, wenn sie eine Therapie machen. Da sie jedoch meist keine Einsicht hinsichtlich ihres Verhaltens zeigen, sind sie nur in seltenen Fällen dazu bereit. Ist der Narzissmus so ausgeprägt, dass es sich um eine narzisstische Persönlichkeitsstörung handelt, ist diese bislang nicht heilbar. Sie kann aber mittels Psychotherapie so gemildert werden, dass Betroffene und deren Umfeld nicht länger darunter leiden. Dabei können narzisstische Verhaltensweisen reduziert und eine realistische Selbstwahrnehmung gefördert werden. Auch die zwischenmenschlichen Interaktionsprobleme, die mit der Angst vor negativer Bewertung und mangelnder Empathie zusammenhängen, können sich dadurch bessern.