In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der weltweiten Scharlach-Erkrankungen nicht nur verfünfÂfacht. Die Infektionen können wegen eines genetisch veränderten, teils gegen Antibiotika resistenten und aggressiveren Erregerstamms auch schwerwiegender ausfallen.
In früheren Jahrhunderten wurde die epidemisch auftretende, hoch ansteckende bakterielle Infektionskrankheit Scharlach, die in der Regel wie aktuell Corona durch Atemtröpfchen übertragen wird, mit den Furcht, Schrecken und Tod verbreitenden Menschheitsplagen Pest, Typhus oder Cholera auf eine Stufe gestellt. Kein Wunder, betrug doch die Scharlach-Sterberate der Betroffenen im Laufe mancher Epidemien bis zu 20 Prozent. Teilweise wurden sogar 50 Prozent der Erkrankten dahingerafft, mehrheitlich im Kindesalter. Auch heute noch zählt Scharlach weltweit zu den häufigsten bakteriellen Infektionskrankheiten für Kinder zwischen zwei und zehn Jahren zählt, kann aber auch bei Erwachsenen ausbrechen. Mit Entdeckung der Antibiotika, der heute noch gängigen und wirksamen Therapieform, in den 1940er-Jahren verlor Scharlach seinen tödlichen Schrecken und schien weitgehend zurückgedrängt.
In Deutschland ist die Infektionskrankheit in einigen Bundesländern nicht mehr meldepflichtig. Genaue Zahlen kann daher das RKI nicht mehr vermelden, aber Schätzungen zufolge zeigen hierzulande jährlich rund 50.000 Menschen die typischen Scharlach-Erkrankungsmerkmale wie hohes Fieber, Rachen- und Mandelentzündung, feinfleckiger Hautausschlag (Exanthem genannt) oder Zungenbelag (von Weiß nach Rot wechselnd und dann Himbeerzunge genannt). Bei Kindern können sich zusätzlich noch Bauchschmerzen oder Übelkeit bemerkbar machen. Wesentlich höher als die Zahl der ersichtlich Erkrankten und aus bakteriologischer Sicht weitaus bedenklicher ist die Dunkelziffer derjenigen, die nur geringe oder gar keine Symptome aufweisen. Jeder fünfte bis zehnte Bundesbürger ist laut Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Träger der Scharlach-Erreger, ohne selbst zu erkranken. Eine Million bis eineinhalb Millionen Menschen sind jährlich schätzungsweise von einer ohne Hautausschlag verlaufenden Streptokokken-Angina betroffen. Bei Streptokokken handelt es sich um eine große Gruppe von Bakterien der Gattung Streptococcus, deren Unterfamilie, sogenannte A-Streptokokken oder Strectococcus pyrogenes, als die Erreger von Scharlach bekannt sind.
In Deutschland besteht also in Sachen Scharlach scheinbar kein Grund zur Beunruhigung. Auch wenn laut einer aktuellen Statistik der Krankenkasse Barmer GEK jährlich bei 6,27 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren die Infektionskrankheit diagnostiziert wird. Aber da bei Scharlach neben den Bakterien auch Viren ganz entscheidend mit im Spiel sind, dürften weltweite Erhebungen, die auf eine Verfünffachung der Scharlach-Krankheitsraten im Laufe der letzten zehn Jahre hinweisen, doch speziell in Corona-Zeiten für gehörige Aufmerksamkeit sorgen. Den neuen Vormarsch der Infektionskrankheit hat ein Team von Wissenschaftlern der australischen University of Queensland unter Leitung von Dr. Stephan Brouwer untersucht und die Forschungsergebnisse Anfang Oktober 2020 im Fachjournal „Nature Communications" publiziert. Dem Team zufolge war zunächst 2011 aus einigen asiatischen Ländern eine merkliche Zunahme von Scharlach-Fällen vermeldet worden. Im Jahr 2014 folgte ein großer Epidemie-Ausbruch in Großbritannien. Und jüngst konnten auch steigende Zahlen in Australien registriert werden. „Dieses globale Wiederaufleben des Scharlachs hat zu einem fünffachen Anstieg der Krankheitsfälle geführt", so Dr. Brouwer, „Es gibt inzwischen wieder mehr als 600.000 Fälle weltweit."
Schutzmaßnahmen verhindern aktuell die Ausbreitung
Die Wissenschaftler hatten es sich zu ihrer Aufgabe gemacht, den Grund für diese bedenkliche Entwicklung zu erkunden. Dafür untersuchten sie Bakterienproben der aktuellen Scharlach-Ausbrüche, wobei der Verdacht auf genetische Veränderungen des Erregers bestätigt werden sollte. Der bekannte Stamm des Streptokokkus pyrogenes hatte sich infolge von Virus-Infektionen deutlich verwandelt, wobei die DNA bestimmter Viren in das Erbgut der Bakterien eingebaut worden war (diese genetische Integrierung von Phagen-, sprich Viren-DNA wird als Prophagen bezeichnet), wodurch diese infektiöser, aggressiver und teils resistent gegen manche gängige Antibiotika werden konnten. Dank der Viren-Gene kann der neue Bakterienstamm, der auf den Namen „North-East Asian serotype M12 Streptocossus pyrogenes" getauft wurde, neuartige Toxine produzieren und freisetzen. Zusätzlich weist der veränderte Bakterienstamm zwei aller Wahrscheinlichkeit nach auf das virale Propaghen rückführbare sogenannte Superantigene auf, die bei Betroffenen eine Überaktivierung von körpereigenen Abwehrzellen oder eine massive Ausschüttung von Entzündungsbotenstoffen verursachen können. Dadurch kann die krankmachende Wirkung der Bakterien verstärkt werden.
„Wir haben gezeigt", so Dr. Brouwer, „dass Streptococcus pyrogenes durch diese erworbenen Toxine seinen Wirt besser kolonisieren kann und dass er sich dank ihnen gegen konkurrierende Bakterienstämme durchsetzt. Dadurch haben diese bakteriellen Turbo-Klone unsere modernen Scharlach-Ausbrüche ausgelöst." Der Befund konnte in Tierversuchen bestätigt werden, weil sich der Erreger nach Entfernung der Toxine nicht mehr so effektiv vermehren konnte. Außerdem konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass der neue Bakterienstamm gegen zwei gängige Antibiotikaklassen, den Tetracyclinen und Makroliden, Resistenzen ausgebildet hat, weshalb sie zum therapeutischen Einsatz von Penicillin geraten haben.
Im Zuge der im Kampf gegen Corona verordneten Hygienemaßnahmen gehen die australischen Wissenschaftler für das Jahr 2020 auch von einem Rückgang der Scharlach-Fälle aus. „Das Social Distancing gegen Covid-19 hält momentan auch Scharlach in Schach", so Studien-Co-Autor Prof. Mark Walker. „Wenn das Social Distancing nachlässt, wird auch der Scharlach zurückkommen. Wie bei Covid-19 wird letztlich erst ein Impfstoff die Ausrottung von Scharlach ermöglichen – einer der verbreitetsten und tödlichsten Kinderkrankheiten der Medizingeschichte."
Angesichts von Corona dürfte die Entwicklung eines Scharlach-Impfstoffes aktuell auf der medizinischen Prioritäten-Liste nicht besonders hoch angesiedelt sein. Zwischen Ansteckung und Auftreten der ersten Symptome vergehen bei Scharlach in der Regel ein bis drei Tage. Nur selten dauert die Inkubationszeit länger. Wird die Krankheit sofort mit Antibiotika behandelt, kann die Ansteckungsgefahr schon nach 24 Stunden vorbei sein. Ohne medikamentöse Therapie kann der Betroffene die Infektion noch bis zu drei Wochen lang weitergeben.
Hat ein Patient die Erkrankung überstanden, ist er in Zukunft vor dem jeweiligen Giftstoff des Erregers immun. Da die Bakterien aber unterschiedliche Giftstoffe bilden und es zudem verschiedene Arten von A-Streptokokken gibt, ist es im Verlaufe des Lebens leider nicht auszuschließen, mehrfach an Scharlach zu erkranken.