Wer die Nachrichten verfolgt, sieht, was in den Krankenhäusern und Impfzentren für ein Betrieb herrscht. Kein Wunder, dass die Kosten dafür immer mehr steigen. Experten rechnen mit einem Milliardendefizit der gesetzlichen Krankenkassen.
ie Pandemie ist teuer: Ein Tag auf einer Intensivpflegestation kostet mit maschineller Beatmung rund 1.500 Euro, jede Dosis Impfstoff von Biontech und Pfizer wird mit 20 Dollar berechnet, ein modernes Beatmungsgerät gibt es ab 18.000 Euro aufwärts. Doch die Pandemiekosten sind nur einer der Gründe. „Schuld an diesem Milliardenloch ist nicht nur Corona", sagt Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Die Pandemie habe zunächst die Kassen sogar entlastet, weil im Frühjahr 2020 deutlich weniger Menschen zum Arzt gegangen seien – aus Angst vor Ansteckung. Auch die Klinken hätten ihren Betrieb heruntergefahren und Operationen verschoben. Zu den höheren Kosten trägt auch bei, dass die Kassen weniger Einnahmen durch einen höheren Anteil an Rentnern unter den Versicherten und gleichzeitig höhere Kosten zu verkraften hätten. Und: „Es gibt viele neue Therapieansätze und sehr gute neue Medikamente, doch gerade die sind häufig extrem teuer", erläutert Litsch.
„Das Finanzproblem ist älter als das Virus"
Eine Studie der Bertelsmann Stiftung hatte das Minus bei den gesetzlichen Krankenkassen bereits vorausgesagt – allerdings erst für Mitte der 2020er-Jahre. Dass das Defizit nun schon 2021 komme, liege sicher auch an Mehrkosten durch die Corona-Pandemie. „Das Finanzproblem der Kassen ist definitiv älter als das Virus", sagt auch Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte bei Bertelsmann. Im Bundesgesundheitsministerium rechnet man mit einer Finanzierungslücke von rund 17 Milliarden Euro in 2021. Dafür hat der Bund einen Zuschuss von fünf Milliarden Euro beschlossen. Acht Milliarden Euro sollen die Kassen aus ihren Reserven beisteuern. Der Rest soll durch höhere Zusatzbeiträge aufgefangen werden. Der Beitragssatz der Krankenkassen liegt bei 14,6 Prozent. Die Arbeitgeber tragen hiervon die Hälfte. Doch dieser Beitragssatz reicht nicht aus, um die Kosten der Krankenkassen zu decken. Dafür können die Kassen einen Zusatzbeitrag draufschlagen, der sich nach dem Einkommen richtet. Wer mehr verdient, zahlt einen höheren Zusatzbeitrag. Der ist zwar gedeckelt, aber Spahns Ministerium hat den Höchstzuschlag unlängst von 1,1 auf 1,3 Prozent heraufgesetzt. Vorteil für die Versicherten: Sobald die Krankenkasse eine Erhöhung schriftlich mitgeteilt hat, haben sie ein Sonderkündigungsrecht bis zum Ende des Monats, in dem der Zusatzbeitrag erhöht wird. Da die 105 gesetzlichen Kassen in Deutschland im Wettbewerb zueinander stehen, ist die Höhe der Zusatzbeiträge ein sensibler Punkt. Denn während der Grundbeitrag der Krankenkassen gesetzlich vorgeschrieben ist, variiert der Zusatzbeitrag je nach Krankenkasse.
Kassen stehen bei den Zusatzbeiträgen im Wettbewerb
Aus Sicht des Gesundheitsexperten Etgeton können langfristig nur strukturelle Veränderungen das Finanzproblem der gesetzlichen Krankenkassen lösen. Ein Hebel sei, Krankenhausaufenthalte zu reduzieren. Durch Stärkung der ambulanten Versorgung könnten viele, zum Teil unnötige Krankenhausaufenthalte vermieden werden, beispielsweise bei Patienten mit Diabetes. Außerdem leiste sich Deutschland ein duales System aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung, bei dem sich ausgerechnet die Gutverdiener dem Solidarausgleich entziehen könnten. Für Etgeton heißt das: Würde die Beihilfe für Beamte abgeschafft und für sie auch die gesetzliche Krankenversicherungspflicht eingeführt, würden die öffentlichen Haushalte bis 2030 um insgesamt rund 60 Milliarden Euro entlastet.