Unter dem Kürzel 4S vermarktet Porsche die Einstiegsvariante seines ersten E-Autos Taycan. Klingt nach Verzicht – doch das täuscht.
Alles Porsche, oder was? Als wir uns in den Fahrersitz sinken lassen, denken wir: Alte Kundschaft will der Hersteller, der mit dem 911 groß geworden ist, schon mal nicht verprellen. Wie den Porsche-Klassiker pilotiert man den Taycan in ergonomischen Schalensitzen mit integrierten Kopfstützen, über uns erstreckt sich ein Alcantara-Dachhimmel, angeschaltet wird das Auto klassisch links vom Lenkrad. Dort ist – wie in den Verbrennern des Sportwagenherstellers aus Stuttgart das Zündschloss –
der Power-Knopf platziert.
Wir drücken drauf – und hören einen ersten Unterschied, beziehungsweise hören ihn nicht. Denn kein Sechszylinder-Boxer springt bellend an, die E-Motoren – einer vorn, einer hinten – sind lautlos in Lauerstellung. Wir hören leises Surren. Der Sitz schiebt sich in Position, das Lenkrad senkt sich ab. Die Ruhe vor dem Sturm?
Wir schauen uns das Cockpit genauer an. Hinterm griffigen Lederlenkrad (nichts für Veganer!) glimmt ein gebogenes digitales Tachodisplay auf, das zum Beispiel die Navigation oder auch Fliehkräfte anzeigen kann. Die Display-Landschaft setzt sich bis zum optionalen Beifahrer-Touchscreen fort. Das ganze Dashboard ist erleuchtet. Und obenauf prangt ein Zitat: Eine Analoguhr mit Sekundenzeiger, um immer schön die Rundenzeiten im Blick zu haben. Wo beim 911 aber der Gangwahlhebel sitzt, glimmt noch ein weiterer Bildschirm, über den wir Klimaautomatik oder Soundsystem steuern und das Stromtanken überwachen können.
Doch mit dem ersten beherzteren Druck aufs Fahrpedal scheint alles auf Kontrollverlust hinzudeuten: Uns trifft es wie ein Nackenschlag, so krass ist der Schub, der sogleich einen Suchteffekt auslöst. Noch mal! Wir drehen den Fahrmodusschalter am Lenkrad auf „Sport Plus", woraufhin der Taycan einen spacig-aggressiven E-Sound von sich gibt und das Fahrwerk absenkt. Anhalten, und Stoff! Kurz wird uns ein bisschen schwummrig, so ansatzlos beschleunigt der Taycan auf den ersten Metern – vor allem bei aktivierter Launch Control, die einen Overboost entfesselt, der die Leistung kurzfristig auf das Maximum von 571 PS anhebt. Vier Sekunden dauert das Spektakel, dann ist Tempo 100 erreicht.
Beschleunigung wie ein Nackenschlag
Mehrere Gedanken schießen uns durch den Kopf: Ist das hier wirklich die Basisversion 4S? Was kann die Topversion Turbo S (781 PS) so viel mehr, was den Aufpreis von knapp 80.000 Euro rechtfertigen würde? Und: Ist Beschleunigung nicht vielleicht doch gesundheitsschädigend, wie das Mediziner vor knapp 200 Jahren dachten, als die ersten Lokomotiven aufs Gleis gesetzt wurden?
Wie auf Schienen jedenfalls verhält sich auch der Porsche: Die Räder sind partout nicht zum Durchdrehen zu bekommen. Zum leichten Übersteuern soll der Taycan neigen, lasen wir. Aber auch auf kurviger Landstraße schiebt die 2,2-Tonnen-Fuhre auf unseren Fahrten nie auch nur im Ansatz über die Vorderräder. Jedenfalls würde die variable Drehmomentregelung (4S Torque Vectoring) an allen vier Rädern das Fahrzeug gleich wieder in die Spur ziehen. Um die Grenzbereiche auszuloten, müsste man wohl auf die Rennstrecke. Von Kontrollverlust kann also kaum die Rede sein.
Eher sorgen die Regelsysteme für eine sichere Straßenlage: Das Torque-Vectoring macht den Porsche im Zusammenspiel mit der adaptiven Luftfederung mit elektronischer Dämpferregelung und der elektronischen Wankstabilisierung zum sprichwörtlichen Brett auf der Straße. Eine Wonne, wie sich das Fahrwerk praktisch in Echtzeit an die Fahrbahn anpasst. Eine weitere, wie die Allradlenkung die Agilität noch steigert. Für jede Menge Fahrspaß sorgt der Taycan also, womit der Sportwagenhersteller eine seiner Kerntugenden perfekt ins E-Zeitalter übersetzt hat und dabei von den technischen Implikationen sogar noch profitiert, denn die 630 Kilo schwere Traktionsbatterie zieht den Fahrzeugschwerpunkt tiefer als im 911. So gesehen könnten Bestandskunden ohne Sorge auf den Taycan umsatteln.
Strom tanken geht ratzfatz – theoretisch
Der 4S wird regulär mit einer Batterie mit einem Energiegehalt von real nutzbaren 71 Kilowattstunden ausgeliefert. Unseren Testwagen beschwert die 6.520 Euro teurere „Performance Plus"-Batterie, die netto 83,7 kWh fasst, aber neben dem Batteriegewicht (50 Kilogramm plus) auch Drehmoment (10 Nm plus) und maximale Motorleistung (21 PS plus) steigert. Zudem steigt die Reichweite laut Werksangaben auf maximal 463 Kilometer mit einer Akkufüllung, obwohl der Verbrauch (25,6 kWh/100 Kilometer nach WLTP) auf dem Blatt um eine Kilowattstunde höher liegt. Die Reichweite gibt Porsche in Abhängigkeit von der Konfiguration an, bei unserem Testwagen mit 414 Kilometern.
Wie unrealistisch selbst die Berechnungen mit dem alltagsnäheren WLTP-Messverfahren immer noch sind, lässt gleich der Kommentar des Fahrers erkennen, der uns den Testwagen bringt (immerhin fährt er ihn, früher wurden Elektrotestwagen mit dem Hänger angekarrt): „400 Kilometer habe ich noch nie geschafft." Aber 300 Kilometer und mehr, das sei kein Problem. Auf der Strecke Stuttgart – Berlin beispielsweise, rund 630 Kilometer, genüge es, zweimal nachzuladen.
Auch darin ist der Taycan schnell. Ausgestattet ist er mit einem 800-Volt-Bordnetz, anders als Tesla, das bei seinen Autos auf 400 Volt setzt. Die höhere Spannung sorgt laut ADAC für eine außergewöhnlich hohe Dauerleistung und verringert das Gewicht sowie den notwendigen Bauraum für die Verkabelung im Fahrzeug. Größter Vorteil ist das damit beschleunigte Nachladen an der Stromzapfsäule.
270 Kilowatt Ladeleistung sind an einer Gleichstrom-Schnellladesäule laut Porsche möglich, doch die sind noch rar, und oft sind 50 kW das Optimum. Schöpft der Taycan übers Ladekabel aber aus den Vollen, hat er nach fünf Minuten wieder Saft für weitere 100 Kilometer in den von LG Chem beigesteuerten Zellen. In 22,5 Minuten kann der Akku von fünf auf bis zu 80 Prozent Ladezustand aufgefrischt werden – womit der Taycan schneller tankt als der neue Tesla Roadster, der bis zu 250 kW schafft. Künftig soll die Ladeleistung beim Porsche sogar auf bis zu 350 kW gesteigert werden, sobald technologisch optimierte Batterien an Bord sind. Zu Hause an der Steckdose ist der Akku mit Wechselstrom in immerhin neun Stunden vollgeladen.
Vor allem aber mit der Schnellladeoption reklamiert Porsche einen gehörigen Schuss mehr Alltagstauglichkeit für sein erstes E-Auto, als der E-Mobilität mit Ausnahme von Tesla aufgrund schleppender Ladezeiten bis vor Kurzem noch zugestanden wurde. Zwar finden sich 270-kW-Säulen selten, doch als wir am Berliner Autobahnring das Ladekabel einer Säule vom Ladenetzwerkbetreiber Ionity in die CCS-Buchse vor der Beifahrertür einstecken, fährt sich die Ladeleistung sukzessive immerhin auf 150 kW hoch, um dann wieder leicht abzufallen. Das Display im Porsche zeigt den Ladevorgang mit mehr Praxisbezug an: Dort steht zwischenzeitlich „11 km/min" –
beim Laden ist der Taycan in diesem Moment also umgerechnet 660 km/h schnell, dieser Rechenscherz sei erlaubt.
Mit seiner Ladeleistung und der großen Batterie eignet sich der Taycan durchaus als Reiseauto, zumal er im top verarbeiteten Innenraum vor allem auf den hinteren beiden Sitzen mehr Platz und Kopffreiheit bietet und anders als der Elfer ein vollwertiger Viersitzer ist. Beim Ladevolumen übertrifft er den (allerdings einen halben Meter kürzeren) Sportwagenklassiker um fast das Dreifache und liegt in etwa gleichauf mit dem Oberklasse-Viertürer Panamera. Zum Stauraum hinten gesellen sich 81 Liter unter der Fronthaube, wo das Ladekabel lagert.
Sportlich gefahren sinkt die Reichweite rapide
Allerdings geht man mit dem Taycan noch immer nicht so unbeschwert auf Reisen wie mit einem Verbrenner. Das Netz der Ladesäulen, vor allem entlang der Autobahnen, wird zwar immer dichter. Das Ladesäulenregister des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) weist derzeit 33.107 öffentliche Ladepunkte aus, jeder zehnte davon ein Schnelllader. Doch minutiöse Etappenplanung ist immer noch wichtig. Schade ist da, dass das Taycan-System zwar Schnellladestationen im Umkreis anzeigt, sich nach Ladeleistung jedoch nicht filtern lässt. Dumm auch, wenn Ladesäulen außer Betrieb sind – was uns einmal passiert. Dann heißt es umplanen und Umwege in Kauf nehmen.
Auf dem Rückweg drücken wir noch mal auf den Pin – 250 Sachen, und laut Tacho sogar noch ein Schwung mehr, sind schnell erreicht. Der Spoiler hat sich längst ausgefahren, als das System in den stromsparenden Range-Modus schaltet, weil es errechnet hat, dass bei unserer gerade etwas ausufernden Fahrweise die Stromladung nicht genügen würde, um das eingegebene Ziel zu erreichen. Für den Rest des Weges ist das Tempo damit bei 150 km/h gedeckelt.
Hier zeigt der Stromer seine konzeptionellen Grenzen auf: Bewegt man ihn so sportlich wie er gemeint ist, schrumpft die Reichweite doch wieder auf eher inakzeptable Werte. Und das, obwohl sich Porsche einer Wärmepumpe bedient, die die Abwärme des Antriebs der Innenraumheizung bereitstellt und damit den Stromvorrat schont, oder einer leistungsmächtigen Rekuperation, die bis zu 265 Kilowatt generiert, wenn man auf die Bremse drückt.
Schon der durchschnittliche kombinierte Stromverbrauch liegt mit 25,6 kWh auf 100 Kilometer etwa doppelt so hoch wie beim Kompaktwagen Hyundai Ioniq Elektro – zugegeben ein ganz anderes Auto, aber eines, das unter den ökologischen Aspekten, die auch Porsche hochhält, indem es die CO₂-neutrale Produktion des Taycan betont, doch eher überzeugt. Andererseits, und diesen Vergleich kann man berechtigter finden, schneidet der viersitzige Stromer aus Zuffenhausen in der Ökobilanz besser ab als der 911er, dessen Tugenden er in die E-Mobilität übersetzen soll.
Dass der Taycan während der Fahrt keinerlei Abgase ausstößt, ist klar. Aber selbst in der CO₂-Well-to-wheel-Betrachtung über die ganze Wirkungskette von der Energiegewinnung bis zu deren Umwandlung in Bewegung schlage er den Klassiker – auch unter Einbeziehung des CO₂-lastigen Kohlestroms im Netz, betont der ADAC.
„Könnte man sich nur ein Auto kaufen, wäre es dann der Porsche Taycan?", fragt uns ein Bekannter, der am nächsten Tag auf dem Beifahrersitz Platz genommen hat. Porsche kann derartige Skepsis egal sein: Der Taycan, auch dank der Einstiegsversion 4S, verkauft sich derzeit besser, als selbst Porsche das erwartet hätte.