Mariama Jamanka stieg nach ihrem Wechsel vom Hammerwerfen in den Bobsport bis zur Olympiasiegerin auf. Doch in der aktuellen Saison muss sie um den Anschluss an die Spitze kämpfen.
Mit dem Wintersport können nur die wenigsten Berliner etwas anfangen, und so gut wie kein Hauptstädter rast jemals in seinem Leben in einem Bobschlitten den Eiskanal hinunter. Auch Mariama Jamanka hätte sich das vor einiger Zeit nicht träumen lassen. Doch nun ist sie Olympiasiegerin im Bobsport.
Die gebürtige Berlinerin wuchs in Reinickendorf auf, besuchte das Friedrich-Engels-Gymnasium, in ihrer Freizeit probierte das Sporttalent viele Sachen aus: Karate, Tennis, Cheerleading und schließlich Hammerwerfen bei der LG Nord Berlin. 2013 kam ihr Leichtathletiktrainer mit der Idee, vom Ring in den Eiskanal zu wechseln. „Für das Hammerwerfen zu klein und eh so ein Adrenalin-Junkie" – so lautete sein Urteil über Jamanka. Die Tochter eines Gambiers und einer Deutschen traute ihren Ohren kaum. „Ich habe mir Bobfahren nie vorher im Fernsehen angeguckt", erinnerte sie sich zurück. „Ich hatte absolut keinen Bezug dazu." Ihre erste Fahrt im Zweierschlitten hat die heute 30-Jährige noch sehr lebhaft in Erinnerung: „Es ging rechts, links, hoch, runter. Ich glaube, wir hätten während der Fahrt einen Salto schlagen können, ich hätte das nicht registriert." Doch die Verantwortlichen im thüringischen Oberhof erkannten Potenzial, Jamanka brachte die für den Bobsport essenzielle Athletik mit. An den Lenkseilen brauchte sie aber viel Geduld, das Bahngefühl wollte sich anfangs überhaupt nicht einstellen. „Manchmal bin ich verzweifelt und konnte nicht immer alles zeigen", sagte sie rückblickend.
Nicht mehr automatisch für den Weltcup gesetzt
Jamanka wagte dennoch das Abenteuer, zog von der Metropole Berlin in die Provinz nach Oberhof, um dort eine Karriere als Bobfahrerin zu starten. Als farbige Nicht-Wintersportlerin. Es hatte etwas von „Cool Runnings", dem Kultfilm aus den 90er-Jahren über ein jamaikanisches Bob-Team. „Klar, ich werde schon mal auf den Film ‚Cool Runnings‘ angesprochen, aber wenn es weiter nichts ist", sagte Jamanka einmal gelassen. Dass sie auffällt, sei ihr bewusst: „Ich habe durch meine Hautfarbe vielleicht in Deutschland einen höheren Wiedererkennungswert, vor allem im Wintersport."
Doch auch sportlich fiel Jamanka nach ihrem Seitenwechsel auf, vor allem bei ihrem fast schon sensationellen Olympiasieg 2018 in Pyeongchang mit Anschieberin Lisa Buckwitz. Ein Jahr später kürte sich Jamanka im kanadischen Whistler zur Weltmeisterin, und sie gewann den Gesamt-Weltcup. Doch sich oben zu halten, ist nicht einfach. Jamanka ist sogar nicht mehr automatisch für den Weltcup gesetzt. In den ersten drei Weltcup-Rennen durfte sie mit Anschieberin Annika Drazek zwar starten, in Innsbruck machte sie jedoch absprachegemäß für Pilotin Stephanie Schneider Platz. Jamanka musste tatenlos dabei zusehen, wie ihre Konkurrentin auf Anhieb gewann.
Beim anschließenden Weltcup in Winterberg, der auch als Europameisterschaft ausgetragen wurde, durfte Jamanka zwar wieder an den Start. Als Dritte war sie jedoch die schlechtplatzierteste deutsche Pilotin hinter Siegerin Laura Nolte und Silbermedaillen-Gewinnerin Kim Kalicki. „Es geht in die richtige Richtung. Wir konnten am Start drauflegen und ich hoffe, dass wir uns noch weiterentwickeln", sagte Jamanka dennoch zufrieden. Ihr Ticket für die Weltmeisterschaft im Februar im sächsischen Altenberg hat sie aber noch nicht ganz sicher – und das als amtierende Olympiasiegerin!
Die hohe Leistungsdichte im deutschen Team, die sich auch in zahlreichen Dreifachsiegen in dieser Saison zeigt, sei zwar „eine schöne Entwicklung bei uns im Frauen-Bobsport", sagte Jamanka. „Das macht es für uns einzelne aber nicht leichter." Die Umsteigerin ist es aber gewohnt, sich von Problemen nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Sie sieht in der aktuellen Situation auch eine neue Herausforderung. „Natürlich pusht das einen auch", sagte Jamanka. „Die meisten Sportler sehen es als Herausforderung, wenn sie sich gegen andere durchsetzen müssen. Ich gehe gut mit Druck um und mag ihn auch."
Die Unbekümmertheit und Nervenstärke haben Jamanka zur Olympiasiegerin geformt. Einen Triumph in Pyeongchang hatte ihr damals nicht einmal der eigene Verband zugetraut. Als unumstrittene Nummer eins war Stephanie Schneider gesetzt, ihren Bob durfte daher auch Deutschlands beste Anschieberin Annika Drazek auf Geschwindigkeit bringen. Drazek hatte zuvor noch in Jamankas Schlitten gesessen, die Pilotin musste sich wenige Wochen vor Olympia dann aber mit einer neuen Partnerin (Lisa-Marie Buckwitz) einspielen. Siegchancen? Eigentlich kaum vorhanden. Doch Jamanka raste im Alpensia Sliding Centre der Konkurrenz davon. „Vielleicht hat mir meine Fassungslosigkeit geholfen", sagte sie etwas später. „So konnte ich mich gar nicht mit der Perspektive beschäftigen, eventuell Olympiasiegerin zu sein."
Sich gegen jede Widerstände durchzubeißen – das hat sie von ihrer Mutter gelernt. Die alleinerziehende Krankenschwester musste immer aufs Geld achten, versuchte aber dennoch, ihren Kindern viel zu ermöglichen. „Meine Mama hat sich immer durchgebissen. So bin ich auch geworden", sagte Jamanka. Sie beschreibt sich selbst als stur, willensstark und leidensfähig: „Wenn es schwer wird, nehme ich den Kopf runter und arbeite mich durch."
Bei den Olympischen Spielen 2022 will sie nochmal starten
Die Bodenhaftung verlieren solche Menschen in der Regel nicht. Bei ihrem Aufstieg hätte „auch eine Form des Selbstzweifels eine Rolle gespielt", erklärte Jamanka. Der beschleiche sie auch heute noch: „Ich habe nie sagen können: Keiner schlägt mich! Das geht mir heute noch so." In die Demut mischt sich aber immer auch der Wille, es den anderen und vor allem sich selbst zu beweisen. „Mir ist wichtig zu zeigen, dass der Olympiasieg kein Zufall war", sagte Jamanka. „Ich will kein One-Hit-Wonder sein." Bei den Olympischen Spielen 2022 in Peking wolle sie noch mal an den Start gehen, um dann mit 31 Jahren „den Absprung zu schaffen". Vielleicht ja mit einem zweiten Olympiagold in der Vitrine.
Beim ersten Coup in Südkorea war Jamanka plötzlich ein Star. Die Medien interessierten sich nicht nur für ihre Cinderella-Story, auch als wohl erste schwarze Wintersport-Olympiasiegerin Deutschlands gehörten ihr damals die Schlagzeilen. Sie selbst findet die Hautfarbe „nicht so wichtig", doch sie sei auch „stolz darauf, dass schwarze Frauen Wintersport betreiben können". Sie hätte auch sagen können: schwarze Frauen aus Berlin.
Im Reinickendorfer Bezirksamt wurde die Nachricht vom überraschenden Olympiasieg mit viel Freude aufgenommen. „Dass eine junge Frau aus Reinickendorf im Eiskanal von Pyeongchang den Zweierbob zum Olympiasieg steuert, macht uns stolz und glücklich", hatte sich Bürgermeister Frank Balzer damals geäußert. Dank Jamanka können Berliner nun auch etwas mit Bobfahren anfangen.