Felix Sturm meldete sich nach fünf Jahren Zwangspause mit einem Sieg gegen Timo Rost als Profiboxer zurück. Der Ex-Champion kämpft im Ring um eine WM-Chance – und vor Gericht gegen seine Haftstrafe.
Fünf Jahre sind eine lange Zeit, erst recht im Leistungssport. Nur wenige Spitzenathleten halten sich so lange ganz oben, und kaum jemand schafft es nach einer so langen Pause zurück zu alter Stärke. Auch Felix Sturm musste bei seinem Comeback einsehen, dass die Zeit gegen ihn gearbeitet hat. Körperlich wirkte der Boxprofi zwar austrainiert wie eh und je, aber der Kopf spielte nicht so mit. Da konnte der 41-Jährige im Vorfeld noch so cool tun. „Plötzlich war die Aufregung doch da, das hat mich 40 bis 50 Prozent meiner Leistung gekostet", sagte Sturm nach seinem wenig glanzvollen Comeback-Sieg Mitte Dezember in Hamburg gegen Timo Rost. Sturm setzte sich gegen den Außenseiter, der auf Platz 164 der Weltrangliste gelistet wird, nach zehn Runden mit einem einstimmigen Punktsieg durch. Es war sein 41. Sieg im 50 Profikampf – doch Spektakel geht anders. Die wahre Show lag in Sturms Geschichte.
Der frühere Champion, der zwischen 2013 und 2016 insgesamt fünfmal Weltmeister war, boxte quasi auf Bewährung. Ihm droht weiterhin eine dreijährige Haftstrafe, Sturm hat gegen das Urteil des Kölner Landgerichts aus dem April 2020 Revision eingelegt. Der Fall wird vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe neu verhandelt. Der Faustkämpfer war wegen Steuerhinterziehung, Verstoß gegen das Anti-Doping-Gesetz und Körperverletzung verurteilt worden. Von den Vorwürfen gibt der Leverkusener lediglich die Steuer-Verfehlungen zu, „für diesen Fehler stehe ich gerade". Den Doping-Vorwurf und die damit einhergehende Körperverletzung streitet er jedoch ab. Das war geschehen: Nach seinem Kampf im Februar 2016 gegen den Russen Fjodor Tschudinow wurde in Sturms Körper die anabole Substanz Hydroxy-Stanozolol nachgewiesen.
Für den Boxer fühlte sich das Urteil wie ein K.o.-Schlag an, er hatte fest mit einer Bewährungsstrafe gerechnet. Doch der Steuerschaden, den das Gericht auf knapp eine Million Euro bezifferte, und der Verstoß gegen die Anti-Doping-Richtlinien führten zur Verurteilung. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Sturm von Dezember 2015 bis Januar 2016 in Österreich „bewusst" und „planmäßig" eine Stanozolol-Kur gemacht habe – in der Hoffnung auf „eine erhöhte Schlag- und Schnellkraft" im Duell gegen Tschudinow. Dadurch sei der Tatbestand der Körperverletzung erfüllt, meinte Richter Marc Hoffmann. „Beim Boxen gibt es zwar immer Körperverletzung", sagte Hoffmann, doch durch die Verwendung von Dopingmitteln sei die gegenseitige Abmachung mit Tschudinow gebrochen worden: „Also haben wir keine Einwilligung von Tschudinow mehr, es liegt eine Körperverletzung vor."
„Natürlich hat mich das geprägt"
Die Nationale Anti-Doping-Agentur, die den Fall 2017 zur Anzeige gebracht hatte, jubelte anschließend über das Urteil, das „einen wichtigen Meilenstein für das Anti-Doping-Gesetz und richtungsweisend auch für zukünftige Strafverfahren" sei. Beim Bund Deutscher Berufsboxer (BDB) sah man das gänzlich anders, vor allem weil Sturms Dopingprobe damals von der Agentur Voluntary Anti-Doping Association aus Las Vegas entnommen worden war. „Wegen eines Tests aus den USA von einem auf Profit orientierten Unternehmen wird ein deutscher Sportler ins Gefängnis geschickt", sagte BDB-Präsident Thomas Pütz, „das ist eine heiße Nummer".
Für Sturm ist es der blanke Horror. Nach acht Monaten Untersuchungshaft weiß er, wie hart das Leben hinter Gittern ist. „Natürlich hat mich das geprägt. Das ist nichts, was ich in meinem Leben noch einmal wiederholen möchte", sagte Sturm der „Sport Bild". Damals hielt er sich strikt an einen Plan: „Man muss mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben, nicht am Rad drehen. Dann kommt man klar." Eine Sonderrolle, weil er ein bekannter Sportstar ist, bekam Sturm im Gefängnis nicht. „Da bekommt niemand eine Suite. Meine Zelle war genauso groß wie die Zellen aller anderen", sagte er bei n-tv. Dass er keine Extra-Wünsche einforderte, habe ihm im Zusammenleben mit den anderen Insassen geholfen: „Viele kamen zu mir und meinten: ‚Wir hätten gedacht, du bist total abgehoben. Aber du bist ja total normal.‘"
Normal wurde es für Sturm aber erst, als er 2019 einen Tag vor Heiligabend gegen Kaution vorläufig wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Neben 300.000 Euro musste der Boxer auch seine Reisepässe hinterlegen, es bestand dringende Fluchtgefahr. Für die vorzeitige Haftentlassung hatten Sturms Anwälte lange gekämpft, unter anderem argumentierten sie mit den deutlich besseren Trainingsbedingungen in Freiheit, durch die Sturm wieder Boxkämpfe bestreiten und damit seine Steuerschuld begleichen könne.
Und damit fing Sturm gegen Rost an. Viel Geld konnten er und sein Promoter Ismail Özen-Otto mit dem Kampf zwar nicht verdienen, weil die Zuschauer fehlten und die TV-Anstalten auf eine Übertragung verzichteten. Ein WM-Fight würde die Aufmerksamkeit allerdings schlagartig erhöhen – doch so weit ist der Rückkehrer längst noch nicht. Er habe „noch viel Luft nach oben", gab der Supermittelgewichtler zu. Özen-Otto hat Geduld mit seinem Schützling: „Es war erst einmal wichtig zu sehen, wie Felix drauf ist. Ich denke, er braucht noch ein bis zwei Kämpfe bis zu einem WM-Fight."
Steuerschuld durch Boxkämpfe begleichen
Das wäre allerdings schon der Schnellkurs. Klar ist: Angesichts seines Alters läuft Sturm die Zeit davon. Er habe zwar etwas Rost angesetzt, aber das Boxen liege ihm nach wie vor im Blut. Das sei wie mit dem Fahrradfahren, verglich Sturm, „das verlernt man nicht". Er fühle sich „wieder total als Boxer", auch die acht harten Monate in der JVA Köln-Ossendorf hätten ihn nicht komplett aus dem Trainingsrhythmus gebracht. „In Freistunden bin ich gelaufen. Auf der Zelle habe ich Schattenboxen gemacht." Zweimal am Tag habe er trainiert, „das war den Umständen entsprechend ganz okay".
Das Attribut „ganz okay" wird aber für einen WM-Kampf nicht reichen. Ein anderes Duell ist da schon realistischer – und womöglich sogar lukrativer für alle Seiten: Felix Sturm gegen Arthur Abraham. Während der besten Jahre der beiden Boxer hatten die Fans stets auf diesen Kampf gewartet, zustande gekommen ist er nie. „Dass große Namen gegeneinander antreten, war in Deutschland schon immer schwer zu realisieren", sagte Sturm. Zwei Boxställe, zwei TV-Partner, zwei große Egos. „Jetzt ist die Situation eine andere", so Sturm. Er schiebt den Ball zu Abraham herüber. „King Arthur" hat zwar längst seinen Rücktritt vom Profisport erklärt, aber das richtige Angebot und der richtige Gegner könnten auch ihn in den Ring zurückkehren lassen. „Wenn, dann geht es gegen Felix Sturm. Ich habe sonst alles, was ich mir im Leben gewünscht habe", sagte Abraham jüngst. Der 40-Jährige genießt zwar das Leben als Box-Rentner mit seiner großen Familie, doch gänzlich ausschließen wolle er ein Comeback nicht. „Natürlich fehlt mir das Boxen", sagte Abraham, „ein Sportler vermisst seinen Sport immer." Er halte sich nach wie vor fit, rauche und trinke nicht. Den möglichen Kampf gegen Sturm hat er dabei immer im Hinterkopf: „Wenn er bereit ist, gegen mich zu boxen, bin ich das auch."
„Er kann es noch mal nach oben schaffen"
Das Sturm-Lager spekuliert aber auch mit einem möglichen Rückkampf gegen Oscar de la Hoya, der Sturm im Juni 2004 in Las Vegas die erste Niederlage im Profibereich zugefügt und als WBO-Weltmeister entthront hatte. „Das ist eine offene Rechnung", sagte Sturms Promoter Özen-Otto. „Wir sind in Kontakt mit de la Hoya." Grundsätzliches Interesse sei auch beim inzwischen 47-Jährigen vorhanden. Altherrenboxen, spotten Kritiker. Doch gerade in Deutschland, wo die Talente entweder enttäuschen oder kaum Charisma besitzen, gibt es für Namen wie Sturm, Abraham oder de la Hoya einen Markt. „Wir brauchen Menschen, die die Hallen vollmachen und über die die Medien gerne berichten. Die Klitschkos, Henry Maske, Graciano Rocchigiani, Dariusz Michalczewski, Markus Beyer – das waren Typen. Die haben die Menschen innerhalb und außerhalb des Rings begeistert", sagte Sturm. „Wir brauchen Helden."
Ob der Boxer aufgrund seiner Lebensgeschichte tatsächlich zum Helden taugt, darf bezweifelt werden. Aber zumindest können die Menschen von ihm lernen, niemals aufzugeben. Als junger Mann zerschlug Adnan Catic, wie der Sohn bosnischer Eltern gebürtig heißt, die Zweifel an einer erfolgreichen Box-Karriere mit eiserner Selbstdisziplin, viel Fleiß und großem Ehrgeiz. Diese Tugenden ruft er auch jetzt ab, „und technisch ist er einer der Besten", schwärmte sein Promoter. „Er kann es noch mal ganz nach oben schaffen."
Doch es droht immer auch der Absturz nach ganz unten. Bei einer juristischen Niederlage im Revisionsverfahren wäre das Comeback schnell vorbei. Der WM-Traum würde in der harten Realität Gefängnis brutal platzen. „Es kommt, wie es kommt", sagte Sturm, um Gelassenheit bemüht. Sollte die Revision abgewiesen werden, „werde ich die Haft antreten. Dann habe ich das auch irgendwann hinter mir." Seine Box-Karriere allerdings auch.