Die Republikaner müssen sich vom System Trump lösen und neu positionieren
Amerikas Partei der Demokraten fährt nun das ganz große politische Geschütz auf: Noch-Präsident Donald Trump soll entweder noch vor dem 20. Januar aus dem Weißen Haus katapultiert oder für immer von Bundesämtern ausgeschlossen werden. Der juristische Instrumentenkasten bietet dafür entweder den Zusatzartikel 25 der US-Verfassung oder ein Impeachment-Verfahren. Für beides sind die Hürden extrem hoch. Es wäre eine Zweidrittelmehrheit im Kongress nötig – ein eher unwahrscheinliches Szenario.
Aber selbst wenn es gelänge, Trump von der politischen Bildfläche verschwinden zu lassen, stellt sich die Frage: Was passiert mit der Partei des Ex-Präsidenten, den Republikanern? Niemals in der Geschichte Amerikas hat sich eine politische Gruppierung derart in die Gefangenschaft eines Regierungschefs begeben wie die „Grand Old Party" unter Trump.
Führende Vertreter der Republikaner haben eine so heuchlerische Kehrtwende vollzogen, dass einem schwindelig wird. Senator Ted Cruz aus Texas hatte Trump vor dessen Wahl noch als „pathologischen Lügner" und „völlig unmoralisch" bezeichnet. Sein Kollege Lindsey Graham aus South Carolina hängte ihm das Etikett „rassenhetzerischer, fremdenfeindlicher, religiöser Fanatiker" an.
Beide Politiker hatten in grellen Farben vor einer Katastrophe im Weißen Haus gewarnt. Und beide entpuppten sich später als wichtige Steigbügelhalter des Präsidenten. Je selbstherrlicher dieser im Amt auftrat, desto duckmäuserischer verhielten sie sich. Zu groß war die Angst, von Trump an den digitalen Pranger gestellt zu werden. Fast die ganze Partei zuckte vor der Macht des Präsidenten zurück, der blitzschnell Millionen seiner Anhänger mobilisieren und damit Wahlen beeinflussen konnte.
Die verbalen Distanzierungen, mit denen Cruz, Graham und andere von Trump nun abrücken, klingen halbherzig. Keiner will mit der Mob-Attacke auf das US-Kapitol in Verbindung gebracht werden, die von Trump provoziert wurde und einen Tabubruch in der politischen Geschichte Amerikas darstellt. Die Kritik am scheidenden Präsidenten ist in Watte gepackt und wenig glaubwürdig. Und sie reicht nicht aus.
Was die Republikaner jetzt brauchen, ist eine völlige Neu-Positionierung. Das hat zunächst mit Stil zu tun: Die Debatte muss an die Stelle von Aufwiegelung und Hass treten, Pluralismus an die Stelle von Autokratie, Fakten an die Stelle von Verschwörungstheorien. Und es geht um Inhalte. Mit ihrem Profil – stabile Haushaltspolitik, Wirtschaftswachstum, konservative Werte, Schulterschluss mit Verbündeten – haben die Republikaner in der Vergangenheit Wahlen gewonnen und sich auch international Respekt erworben.
Mit einer derartigen Kehrtwende könnte die Partei für eine Katharsis – eine politische Reinigung – sorgen, die das Land jetzt so dringend benötigt. Die Führung müsste deutlich machen, dass sie mit dem Trump-System nichts mehr zu tun hat. Das hat den Preis, sich von rechtsextremistischen Sektierern und Verschwörungstheoretikern zu trennen, die möglicherweise eine eigene Partei gründen wollen. Diese Stimmen würden die Republikaner verlieren. Dafür könnten sie mehr die Mitte umwerben, wo Wahlen entschieden werden.
Die wichtigste Aufgabe aber ist eine tiefschürfende Ursachenforschung: Warum haben mehr als 74 Millionen Amerikaner ihr Kreuz bei Trump gemacht? Warum konnte der Milliardär aus New York die Vielzahl der „Vergessenen" und „Abgehängten", die im Zuge der Globalisierung ihre Jobs verloren haben, auf seinen Feldzug gegen das Washingtoner Establishment einschwören? Und: Wie kann man sie wieder zurückholen? Das sind die neuen Schicksalsfragen für die Republikaner. Auf die sollten nun aber auch die Demokraten eine Antwort haben. Ohne eine ausbalancierte Sozialpolitik, mehr Chancengleichheit und eine Einebnung der Gegensätze zwischen Arm und Reich geht das nicht.
Die USA stehen am Scheideweg. Die Versuchung ist groß, dass die Republikaner bei der von Trump elektrisierten Wählerbasis auf Stimmenfang gehen. Es wäre der Weg in eine weitere Polarisierung – mit der Gefahr, dass die Demokraten politisch zurückschlagen würden. Amerika wäre noch mehr von einer Kultur der Feindschaft erfüllt. Entweder das Land besinnt sich. Oder Trump war erst der Auftakt für eine politische Abwärtsspirale.