Egal wie der neue Chef heißt: Wenn die CDU den Unionskanzlerkandidaten stellt, kommt der aus Nordrhein-Westfalen. Die Grünen als möglicher Partner haben sich intern wohl schon festgelegt. Offiziell wird bei Union und Grünen aber bis Ostern abgewartet.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn fehlt es an einem bestimmt nicht: an Sendungs- und vor allem Selbstbewusstsein. Das bewies er schon auf dem letzten CDU-Wahlparteitag Anfang Dezember 2018 in Hamburg. Eigentlich völlig aussichtslos, bewarb auch er sich neben Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz auf den Parteivorsitz. Bereits nach dem ersten Wahlgang war er auch schon raus, aber „ein Versuch war es wert", so der damals 38-Jährige gegenüber FORUM. Nicht wenige Beobachter werteten seine Bewerbung als Investition für höhere Aufgaben in der Zukunft.
Umso größer war im März vergangenen Jahres die Enttäuschung, vor allem in der Jungen und Frauen Union, als Spahn nicht noch mal als Kandidat zum CDU-Parteivorsitz antreten wollte. Er trat lieber einen Schritt zurück, ließ NRW-Ministerpräsident Armin Laschet den Vortritt und bildete als zweiter Mann mit ihm ein Kandidaten-Tandem. Das war kurz vor dem Ausbruch der Pandemie. Schon damals hielten viele in der CDU diese Tandem-Kandidatur für einen genialen strategischen Schachzug. Laschet, vor knapp einem Jahr in den Umfragen von den drei CDU-Kandidaten führend, wird Vorsitzender und Spahn womöglich der Unions-Kanzlerkandidat, so die Kalkulation.
Die Corona-Pandemie hat nicht nur das alltägliche Leben auf den Kopf gestellt, sondern auf der politischen Bühne aus Gewinnern auch mal ganz schnell Verlierer gemacht oder auch umgekehrt, was allerdings nicht so oft vorgekommen ist. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident hat in den letzten zehn Monaten coronamäßig kaum ein Fettnäpfchen ausgelassen und sich für die K-Frage damit selbst an den Rand gestellt. Als möglicher CDU-Chef würde ihm vermutlich die nötige Autorität innerhalb der eigenen Reihen fehlen, um als Kanzlerkandidat zu brillieren, auch wenn er mit Nordrhein-Westfalen einen starken Mitgliederblock hätte.
Er trat lieber einen Schritt zurück
Über Weihnachten soll Jens Spahn vergeblich versucht haben, Laschet von seiner Kandidatur um den CDU-Vorsitz abzubringen und ihm, den Jüngeren, den Vortritt für die CDU-Führung zu lassen. Wissend, dass in der CDU das ungeschriebene Gesetz gilt, das Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur zusammengehören. Und das umso mehr, da das Trennungs-Experiment mit Angela Merkel als Kanzlerin und Annegret Kramp-Karrenbauer als Parteichefin als gescheitert angesehen wird.
Nun also Plan B, oder besser Plan K. Jens Spahn will Kanzlerkandidat werden. Zwar haben seine Umfragewerte nach dem rumpligen Impfstart etwas gelitten, aber trotzdem liegen seine Beliebtheitswerte weit über denen seiner potenziellen Konkurrenten, inklusive CSU-Chef Markus Söder. Und Spahn könnte es CDU-intern tatsächlich schaffen. Die Frauen Union würde er wohl klar an seiner Seite haben. Die hatte sich im internen Ringen um den CDU-Vorsitz gegen Friedrich Merz aufgestellt und damit Front gemacht für Laschet und somit indirekt auch für Jens Spahn als möglichen Kanzlerkandidaten.
Die K-Frage wird in den Wochen vor Ostern noch eine ganz eigene Dynamik entwickeln. Niemand vermag zu sagen, ob Markus Söder seine Ambitionen auf das Kanzleramt noch verstärkt oder aber doch in München so glücklich ist, dass er von Berlin nichts wissen will.
Es gibt allerdings auch noch einen weiteren Westfalen in der CDU, der sich ebenfalls Kanzlerkandidat zutraut: Ralph Brinkhaus, Unionsfraktionschef im Bundestag. Der 52-jährige CDU-Mann aus Rheda-Wiedenbrück erfreut sich im mächtigen NRW-Landesverband ebenfalls großer Beliebtheit und am Ende werden die Parteifreunde aus dem mächtigen Landesverband Nordrhein-Westfalen entscheidende Kanzlerkandidatenmacher.
Was den öffentlichen Bekanntheitsgrad angeht, hat allerdings Jens Spahn klar die Nase vorn. Wer mit ihm zuvor wenig anzufangen wusste, hat ihn in den nunmehr über zehn Monaten Pandemie kennengelernt. Selbst die graue Eminenz in der CDU, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, hat sein anfängliches Engagement für Friedrich Merz erheblich zurückgefahren und hegt jetzt offenbar deutlich mehr Sympathien für Jens Spahn als Kanzlerkandidaten. Das kommt bei Schäuble nicht von ungefähr. Mit über 50 Jahren Zugehörigkeit gilt Deutschlands dienstältester Bundestagsabgeordneter als knallharter Realpolitiker. Und der hat dann auch schon mal die Zeit nach dem 26. September, dem Bundestagswahltag, im Blick.
Die Zeichen stehen momentan klar auf Schwarz-Grün, und da würde ein Jens Spahn mit den Grünen vermutlich ganz passabel harmonieren. Ralph Brinkhaus ist zwar als Fraktionschef an einer mächtigen politischen Schaltstelle, ihm fehlt aber Regierungserfahrung im Amt. Im Übrigen hat Wolfgang Schäuble nicht vergessen, dass es Brinkhaus war, der seinen alten Freund Volker Kauder vor beinahe drei Jahren als Unions-Fraktionschef im Bundestag zur Überraschung vieler aus dem Amt gedrängt hat. Und Schäuble sagt man nach, dass er nichts vergisst.
Spahn würde mit Grün harmonieren
Die nun scheidende CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer antwortete auf Jens Spahns Chancen angesprochen, knapp: „Alles ist möglich." Das ist nicht so weit hergeholt, denn in München lauert ja noch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der sich als der entschlossenste aller Corona-Krisenmanager inszeniert. Und Söder betont in den letzten Wochen nicht mehr ganz so laut, dass sein Platz im Freistaat ist, wie er es noch im FORUM-Interview im Oktober noch getan hat. Meinungsforscher sehen Söder als aussichtsreichsten Kanzlerkandidaten der Union, wobei Jens Spahn noch nicht explizit abgefragt wurde.
Doch kann Söder mit den Grünen? Eher nicht, nach allem, was bislang von ihm zu der Partei zu hören war. Erschwerend kommt hinzu: Für die Grünen wird nach FORUM-Informationen Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin ins Rennen gehen. Hinter ihr steht der Grünen-intern sogenannte Weiberrat um die Ex-Vorsitzende Katrin Göring-Eckardt, die die politische Richtung bei den Grünen maßgeblich prägt. Übrigens ein Grund, warum sich der Grünen-Hoffnungsträger aus Schleswig-Holstein, Robert Habeck, in den letzten Monaten medial völlig zurückhält und mit „doppelt angezogener Handbremse", so ein Parteifreund, operiert. Seinen letzten großen öffentlichen Auftritt hatte Habeck im Herbst ausgerechnet mit CSU-Chef Markus Söder. Die beiden können miteinander. Aber Söder und Baerbock sind zusammen deutlich schwerer vorstellbar. Darum scheint aus Unionssicht taktisch eher ratsam, einen Jens Spahn aufzustellen, der mit seiner moderaten Art die grüne Frauenriege in den Griff bekommen könnte, ohne zu viele Unionspositionen aufgeben zu müssen.
Eine erste, wohlgemerkt unfreiwillige, Übereinkunft zwischen Union und Grünen gibt es bereits in diesen Januartagen. Sowohl Union als auch Grüne haben sich unabhängig voneinander darauf verständigt, ihre jeweiligen Kanzlerkandidaturen erst nach Ostern, also in der zweiten oder dritten Aprilwoche bekannt zu geben. Wobei sowohl CDU/CSU als auch Grüne keine eindeutige Koalitionsaussage treffen wollen. Nach Stand der Umfragen ist derzeit eigentlich nur Schwarz-Grün möglich, andere Konstellationen fallen mangels Masse aus oder kommen alle Arithmetik zum Trotz politisch nicht infrage.