Joe Biden wird der US-amerikanischen Politik einen neuen Anstrich verleihen. Wie dieser aussieht, verraten bereits seine Nominierungen für die wichtigsten Positionen. Bidens Versprechen: „Meine Regierung wird aussehen wie Amerika".
Zölle, Handelskriege, Drohungen – die „Starker Mann"-Politik von Donald Trump dürfte spätestens am 20. Januar Geschichte sein. Dann übernimmt Joe Biden das Ruder von seinem Vorgänger. Und jede Menge offener Baustellen. Zum zweiten Mal in seinem politischen Leben, nach dem Finanzcrash 2008/2009 in der Amtszeit Präsident Obamas, wird er die Vereinigten Staaten durch eine massive wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Krise führen.
In den vergangenen vier Jahren bestimmte das Trumpsche „America first" die US-amerikanische Politik. Schon nach den ersten Besetzungen politischer Top-Positionen Joe Bidens zeichnet sich ab, dass sich ein Teil dieser Politik ändert –
aber eben nicht alles. Der 46. Präsident setzt vor allem auf ausgewiesene Expertise und Diversität im Angesicht einer immer stärker grassierenden Pandemie, die große Teile der US-Wirtschaft und Millionen Arbeitsplätze bedroht. Das Defizit der USA verdreifacht sich in diesem Jahr wegen der Corona-Hilfen auf 3,2 Billionen Dollar. Dass er die starke Haltung gegenüber dem größten wirtschaftlichen Konkurrenten China beibehalten wird, hat Joe Biden bereits deutlich gemacht. Der Ton aber wird sich ändern: Bidens Personalentscheidungen zeigen, dass er nach außen das genaue Gegenteil der Trump-Regierung sein will, dabei aber oft auf Nummer sichergeht. Er bedient sich auffallend oft aus dem Politiker- und Beraterpool seines Freundes Barack Obama.
Vizepräsidentin Kamala Harris gehörte zwar nicht zu Obamas Regierungsstab, dafür machte sie im Schatten des beliebten Demokraten Karriere. Die ehemalige Generalstaatsanwältin von Kalifornien hat in ihrem Leben mehrere scheinbare Karrieredeckel gesprengt, war die erste nicht-weiße Justizministerin des Staates, die zweite Afroamerikanerin im Senat. Als sie ihre Präsidentschaftskandidatur bekanntgab, erhielt sie innerhalb weniger Stunden 1,5 Millionen Dollar von Kleinspendern – eine Hoffnungsträgerin der Demokratischen Partei. Nun wird Harris als erste weibliche afroamerikanische Vizepräsidentin der USA ins Amt eingeführt. Ihre Eltern stammen aus Jamaika und Indien, beide Wissenschaftler. In ihrer Zeit als Staatsanwältin galt sie als unnachgiebig, als Senatorin als eloquent und scharfsinnig, eine Verfechterin der Schusswaffenkontrolle und der gleichberechtigten Bezahlung von Frauen. Weil sie den „Green New Deal" der progressiven Linken unterstützte, könnte sie zur Brückenbauerin der demokratischen Linken ins Weiße Haus werden.
Die Agenda bleibt, der Ton ändert sich
Für das Wiedereinfangen der außenpolitischen Stürme, die Donald Trump seinerzeit entfachte, wird Antony Blinken verantwortlich sein. Der smarte 58-jährige Karrierediplomat ist das Gegenteil des rauen Mike Pompeo. Biden und Blinken haben bereits in der Obama-Administration zusammengearbeitet, damals war er der Nationale Sicherheitsberater des ehemaligen Vizepräsidenten. Den Staatsdienst verließ Blinken wie viele seiner Kollegen kurz nach Amtseinführung Donald Trumps, der das State Department regelrecht aushöhlte und zahlreiche Positionen nicht nachbesetzen ließ. Jetzt obliegt es Blinken, diplomatisches Geschick wieder an Bord zu holen und die deutlich multilateralere Außenpolitik des neuen Chefs im Weißen Haus umzusetzen. Die Baustellenliste ist lang: ein neues Atomabkommen mit dem Iran, die Nato bleibt ein Thema, Nordkorea eine Bedrohung, Taiwan unter Druck durch die Volksrepublik China, um nur einige zu nennen.
Dass China weiterhin im Fokus der US-Politik bleibt, zeigt die Nominierung von Katherine Tai als Nationale Handelsbeauftragte. Die ausgewiesene China-Expertin plädiert im Umgang mit der fernöstlichen Wirtschaftsmacht vor allem für einen strategischen Ansatz – und damit eben weniger für kurzfristige Schnellschüsse wie Zollbarrieren. Tai brachte Subventionen für US-Betriebe ins Gespräch, um die Abhängigkeit von chinesischen Produkten zu verringern.
Mit Janet Yellen wird eine ausgewiesene Fiskalpolitik-Expertin die Nachfolgerin des Unternehmensberaters Steve Mnuchin im Finanzministerium. Die 74-jährige Ex-Chefin der US-Notenbank Federal Reserve sorgte kurz nach ihrer Nominierung als Ministerin für Aufatmen an der Wall Street: Mit dem aktuellen Fed-Chef Jerome Powell liegt sie mit ihren Forderungen nach wirtschaftlichen Hilfen für die US-Ökonomie auf einer Linie. Sie steht für Stabilität und langjährige Erfahrung, hat sie doch die US-Wirtschaft als Fed-Chefin erfolgreich durch die Untiefen der Finanzmarktkrise manövriert (siehe auch Seite 34).
Cecilia Rouse, derzeit Dekanin der Princeton School of Public and International Affairs, soll dem ökonomischen Beraterstab des Präsidenten vorsitzen. Die Wahl der erfahrenen Arbeitsökonomin, die bereits in der Obama-Administration als Beraterin arbeitete, zeigt, dass Bidens Schwerpunkt vor allem auf den Schwierigkeiten des coronagebeutelten Arbeitsmarktes liegt. Derzeit liegt die Arbeitslosigkeit bei 6,9 Prozent, der seit 2010 deutlich erkennbare Abwärtstrend wurde durch die Pandemie abrupt gestoppt und erreichte im März mit 14,7 Prozent einen traurigen Rekord.
Neera Tanden soll Chefin der mächtigsten Bundesbehörde der Exekutive werden: dem Office of Management and Budget. Tanden beaufsichtigt damit die Budgetierung und Einhaltung der jeweiligen Bundesprogramme, sprich das Geld, das die Exekutive im Haushaltsjahr ausgibt. In Deutschland wäre diese Behörde in etwa vergleichbar mit dem Bundesrechnungshof. Tanden, die zuvor den linken Thinktank „Center for American Progress" leitete, ist allerdings nicht unumstritten. Sie hatte republikanische Politiker über Twitter immer hart kritisiert.
Als erster Latino überhaupt übernimmt Xavier Becerra das Gesundheitsministerium. Der derzeitige Generalstaatsanwalt von Kalifornien hat ein langes Register als Anwalt für bessere Gesundheitsversorgung und die Implementierung von „Obamacare". Und ihm wird die schwierige Aufgabe zuteil, die teils völlig verkorkste Antwort der Trump-Administration auf die Corona-Pandemie auf solidere Beine zu stellen. Mit ihm arbeiten werden Anthony Fauci, jener Top-Infektiologe, der ob seiner Popularität bei Donald Trump in Ungnade gefallen war, und Vivek Murthy, der bereits unter Präsident Obama Chef des öffentlichen Gesundheitsdienstes war.
Expertenwissen und Erfahrung
Ein weiteres, wenn auch eher unbekanntes Gesicht aus Zeiten der Obama-Administration: Lloyd Austin. Der ehemalige Kommandeur der amerikanischen Streitkräfte im Nahen Osten wäre erneut, nach James Mattis, ein Ex-Vier-Sterne-General auf dem zivilen Posten des Pentagon. Dies bedarf einer Ausnahmegenehmigung des Kongresses: Laut Gesetz müssen zwischen dem aktiven Militärdienst und einer Regierungsposition mindestens sieben Jahre Zivilleben stehen. Austin war erst 2016 in den Ruhestand getreten, der damalige Präsident Obama hatte Austin ausdrücklich für seinen Verdienste im Kampf gegen den „Islamischen Staat" gelobt. Mattis hatte ebenfalls eine solche Ausnahmegenehmigung erhalten.
Den Job des Nationalen Sicherheitsberaters übernimmt Jake Sullivan, eines der jüngsten Mitglieder in Bidens Team. Der 44-jährige Politikwissenschaftler hatte diese Position schon einmal für anderthalb Jahre als Sicherheitsberater des Vizepräsidenten Joe Biden inne. Seit dieser Zeit setzt sich Sullivan dafür ein, die amerikanische Mittelklasse in den Fokus von Sicherheits- und Außenpolitik zu stellen: außenpolitisches Engagement mit Vorbildcharakter, ob im Klimaschutz oder in der Politik gegen China müsse immer daran gemessen werden, welchen Einfluss dieses Engagement auf den Durchschnittsamerikaner habe, so Sullivan in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Sender NPR.
Innenministerin wird Deb Haaland – eine außerordentliche Überraschung für die indigene Bevölkerung Amerikas. Denn Haalands Mutter ist Laguna-Indianerin. Damit ist sie die erste Ministerin einer US-Regierung mit indigenen Wurzeln. Die Juristin war bis vor Kurzem Mitglied des Repräsentantenhauses und saß im Ausschuss für natürliche Ressourcen. Als Innenpolitikerin spielt sie eine tragende Rolle in Bidens Umweltschutz-Agenda, in der er sich für eine Abkehr von fossilen Brennstoffen ausgesprochen hat und die Naturschutzgebiete wiederherstellen will, die Donald Trump per Dekret zum Teil aufgehoben hat. Haaland besitzt große Unterstützung von Umweltschutzgruppen.
Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas ist der zweite Latino im Biden-Kabinett. Mayorkas hat die Unterstützung der landesweit größten Polizeigewerkschaft und wird auf einem schmalen Grat zwischen dem Wunsch nach innerer Sicherheit und menschenwürdiger Asylpolitik wandeln müssen. Politisch half er in der Obama-Administration, das „Dreamers"-Programm umzusetzen, das jungen undokumentierten Immigranten-Kindern legalen Aufenthaltsstatus in den USA verschaffen sollte.
Überraschung auch für alle Fans von „Mayor Pete": Der populäre Präsidentschaftskandidat und Ex-Bürgermeister von South Bend, Indiana, soll Verkehrsminister werden. Damit könnte er sich erste administrative Sporen für eine weitere Präsidenschaftskandidatur verdienen. Der 39-jährige Pete Buttigieg trat 2019 mit dem Argument an, die alternde Demokratische Partei müsse sich verjüngen. Bei der Basis war der erste offen homosexuelle Kandidat beliebt, zog aber nach der vierten Vorwahl seine Nominierung zurück.
Auch weitere bekannte Gesichter aus der Obama-Administration werden künftig prominente Rollen besetzen: Susan Rice, Ex-UN-Botschafterin und Nationale Sicherheitsberaterin von Präsident Obama, wird künftig den bislang eher farblosen Rat für Innenpolitik leiten und sich dort um Gesundheitspolitik und Rassismus kümmern. Eine ungewöhnliche Wahl für eine ausgewiesene Außenpolitikerin. Jedoch nicht, wenn, so mutmaßt der US-Politik-Thinktank Brookings Institute, man Innen- und Außenpolitik als voneinander abhängig und beeinflusst begreift – eine Neudefinition der US-Politik, worauf auch die Äußerungen des kommenden Sicherheitsberaters Jake Sullivan hinweisen.
Querschüsse von den Progressiven
Einst verlor John Kerry das Nominierungsrennen gegen Barack Obama und diente dann als US-Außenminister, in der Administration Biden soll er nun Klima-Sondergesandter werden. Biden will zurück ins Klimaabkommen von Paris, und zwar an Tag eins seiner Präsidentschaft. Dieser Schritt soll ein Zeichen pro Umweltschutz setzen, ebenso wie die Personalie Kerry: Zum ersten Mal in der US-Geschichte wird er als Klimaberater im Nationalen Sicherheitsrat sitzen.
Pikanteste Personalie: Justizminister wird Merrick Garland – eben jener, der ursprünglich seitens der Obama-Administration einen Richterstuhl am Obersten Gericht erhalten sollte. Doch der republikanisch dominierte Senat mauerte so lange, bis Trump im Amt war. Jetzt übernimmt Garland die Aufsicht über die Rechtsbehörden im Land, ein Ministerium, das unter Trump zunehmend zum persönlichen Anwaltsbüro des Präsidenten avancierte.
Noch müssen die Minister vom Senat bestätigt werden. Dennoch hat Biden das wohl bislang diverseste Kabinett in der jüngeren Geschichte vorgestellt – und muss sich mit Kritik aus den eigenen Reihen auseinandersetzen. Denn vor allem die jüngere Generation von Abgeordneten, angeführt von Alexandria Ocasio-Cortez und Ilhan Omar, wollen mehr progressive, liberale Politik sehen. Bernie Sanders als Arbeitsminister wäre ein Zeichen gewesn, mit dem die noch kleine, aber laute Minderheit in der demokratischen Partei, trotz seines Alters und vor allem wegen dessen Agenda, einigermaßen zufrieden wäre. Inwieweit Biden die Fliehkräfte zwischen dem moderaten Partei-Establishment und den Progressiven ausgleichen kann, wird sich zeigen. Klein beigeben werden die „jungen Wilden" nicht – egal, wie Joe Bidens Politik aussehen wird.