Zum Hinrunden-Abschluss warten auf Union Berlin zwei ganz dicke Brocken. Doch der bisher sensationelle Saisonverlauf gibt den Eisernen viel Selbstvertrauen.
Und noch ein Vereinsrekord! Durch das 2:2 zu Hause gegen den VfL Wolfsburg ist Union Berlin seit sieben Heimspielen ungeschlagen. Außerdem hielten die Eisernen die punktgleichen Wölfe auf Distanz und verteidigten ihren Europapokalplatz erfolgreich. Wie er das Gerede vom internationalen Geschäft verhindern wolle, wurde Urs Fischer nach dem Spiel gefragt. Der Trainer antwortete verschmitzt: „Stellen Sie mir nicht immer diese Frage, dann sind wir das Thema los."
Fragen nach Europa an einen Tabellenfünften sind legitim, doch Union ist nach eigener Ansicht kein „normaler" Tabellenfünfter. Andere in der Branche sehen das mittlerweile anders. „Ich denke, dass sie noch länger in diesen Regionen bleiben können", sagte Wolfsburgs Trainer Oliver Glasner. Der Österreicher hat großen Respekt vor den Rot-Weißen: „Sie haben eine gute Spielanlage, sehr laufstarke Außen, ein unglaublich physisch starkes Zentrum und zwei brandgefährliche Spitzen. Da musst du immer auf der Hut sein." Auch Trainer Julian Nagelsmann von RB Leipzig sieht in Union einen „direkten Konkurrenten um den Europacup-Startplatz".
Besteht Union auch in seinen letzten Hinrundenspielen am Freitag (15. Januar, 20.30 Uhr) gegen Bayer Leverkusen und am Mittwoch (20. Januar, 20.30 Uhr) in Leipzig, wäre das Tiefstapeln des Aufsteigers von 2019 kaum noch glaubwürdig. „Wir geben immer unser Bestes, machen uns aber auch nicht verrückt", sagte Robert Andrich. Das Erfolgskonzept sei die gute Mischung aus Erfolgsgier und Lockerheit, so der Mittelfeldspieler: „Die Mannschaft kann sich vom Druck ganz gut freimachen und sich auf das nächste Spiel konzentrieren. Dann ist sie auf den Punkt auch da."
„Wir geben immer unser Bestes, machen uns aber nicht verrückt"
In der Person von Andrich lässt sich der fast schon sensationelle Aufstieg der Köpenicker gut symbolisieren. Der unermüdliche Kämpfer hat bei Union und speziell unter Fischer einen Riesensprung nach vorne gemacht, das technisch blitzsaubere Freistoßtor zum 2:1 gegen Wolfsburg hätten ihm nur die wenigsten zugetraut. Bei Stadtrivale Hertha BSC, wo er zwölf Jahre im Nachwuchsleistungszentrum ausgebildet worden war, trauten sie ihm nicht einmal den Sprung in den Profifußball zu. Sein einstiger Traum, im blau-weißen Trikot einmal im Olympiastadion aufzulaufen, blieb unerfüllt. „Ich kenn’s nur als Balljunge", sagte Andrich. Vielleicht war er deshalb etwas übermotiviert, als er im jüngsten Derby im Olympiastadion die Rote Karte gesehen und damit die Niederlage eingeleitet hatte. Nach drei Spielen Sperre führt Andrich nun Union aus dem zentralen Mittelfeld heraus wieder an. Als wäre nichts gewesen. „Ich freue mich, dass es momentan so gut läuft", sagte Andrich, der seinen Leistungssprung selbst nur schwer erklären kann: „Es ist ein bisschen was von allem, ein bisschen reifer, ein bisschen cleverer." Laut Trainer Fischer hat der gebürtige Potsdamer „in allen Belangen zugelegt". Auch in Sachen Torgefahr: Vier Treffer aus zwölf Spielen sind eine stolze Bilanz für einen Defensivspieler, der große Kampfkraft, eine feine Technik und eine gute Übersicht vereint. Solche Spieler sind sehr gefragt im modernen Profifußball – auch in der Nationalmannschaft. Das eine oder andere mal ist der Name Robert Andrich schon gefallen, wenn es um mögliche neue Spieler im DFB-Team nach dem 0:6-Auswärtsdebakel in Spanien ging.
Robin Knoche ist seinem Teamkollegen in dieser Hinsicht einen kleinen Schritt voraus. Der Innenverteidiger wurde im November 2014 einmal von Bundestrainer Joachim Löw eingeladen, im Testspiel gegen Spanien kam er aber nicht zum Einsatz. Illusionen über eine erneute Berufung in den Kader macht sich Knoche keine mehr, auch wenn der Schritt von Wolfsburg nach Berlin seiner Karriere nochmals einen gehörigen Schub verlieh. Für den VfL war er 15 Jahre aufgelaufen, was zu dem Problem führte, „als Inventar angesehen zu werden", wie er nun sagte. Bei Union ist sein Standing ein anderes, hier darf und muss er führen. An dieser Aufgabe ist Knoche ohne Zweifel gewachsen. „Ich denke: Union profitiert von mir, ich profitiere aber genauso von Union", sagte Knoche. Auch gegen seinen Ex-Club überzeugte der Abwehrspieler mit klugem Stellungsspiel und seiner Kopfballstärke. Den besonderen Reiz des Duells konnte er „ganz gut ausblenden", verriet er, „jeder wollte das Spiel gewinnen, ich natürlich auch." Dass es am Ende trotz einer 2:1-Führung und einer langen Überzahlsituation (Rote Karte für Maximilian Arnold in der 50. Spielminute) nur zu einem Punkt gereicht hatte, ärgerte auch Knoche ein wenig: „Wir hätten den einen oder anderen Angriff besser ausspielen müssen." Das sah auch Fischer so. Die Phase zwischen dem 2:1 durch Andrich (52. Minute) und dem 2:2-Ausgleich durch einen verwandelten Handelfmeter von Wout Weghorst (65.) „hat mir nicht so gefallen", betonte Fischer. „Das ist etwas, das wir uns noch mal anschauen müssen." Der Trainer hätte gern „mehr Geduld und die eine oder andere Verlagerung" gesehen, „das Spiel war mir nicht breit genug".
„Union profitiert von mir, ich profitiere aber genauso von Union"
Union befindet sich eben noch im Lernprozess, auch wenn es Ergebnisse wie ein Spitzenteam liefert. „Ich freue mich über diesen Punkt", sagte Fischer daher gnädig gestimmt, „wieder einer mehr auf dem Konto." Seine Spieler wirkten dagegen eher enttäuscht. Sie suchten den Frust aber nicht bei Schiedsrichter Patrick Ittrich, der mit strittigen Entscheidungen die Gemüter erhitzte, sondern bei sich selbst. „Wir haben den einen Schritt zu wenig gemacht", haderte Andrich, „und um das 2:2 ein bisschen gebettelt."
In dieser Phase hätte ein Max Kruse mit seiner Ballsicherheit und seinem Spielverständnis sicher geholfen. Der verletzte Ex-Nationalspieler wird den Eisernen aber noch ein paar Wochen fehlen. „Ich hoffe natürlich, dass es so schnell wie möglich geht, aber er ist schon noch ein Stück weg", verriet Fischer. „Ich bin da immer etwas vorsichtig." Kruse absolviert nach wie vor seine Reha, in der er die Anforderungen langsam steigert. Der Muskelbündelriss im Oberschenkel, den sich der 32-Jährige im Derby bei der Hertha zugezogen hat, heilt nur langsam. Doch Kruse schuftet für sein Comeback, mit Videos von sich im Kraftraum und auf dem Ergometer lässt er seine Fans auf Instagram daran teilhaben. Natürlich fehlen auch die Kruse-typischen Kommentare nicht: „Wat willste machen – Maschine bleibt Maschine. Ne richtig schöne Waschmaschine."
Bleibt Union bis zur Rückkehr des Unterschied-Spielers Kruse oben dran, ist vieles möglich in dieser Saison. Auch wenn das bei den Verantwortlichen (noch) keiner hören will.