Lothar Matthäus war ein überragender Fußballer und prägte den nationalen und internationalen Fußball. In Deutschland wurde er nach seiner Karriere mehr als einmal verrissen. Aber auch davon hat er sich freigemacht – und ist nun angesehener TV-Experte.
In anderen Ländern sind die Sport-ikonen unantastbar – unabhängig von ihren privaten Eskapaden. Der kürzlich verstorbene Diego Armando Maradona war in Argentinien trotz seiner Drogen-Exzesse und anderweitigen Verfehlungen bis zu seinem Tod und darüber hinaus der gefeierte Star des Landes.
Stammgast in den Boulevard-Blättern
In Deutschland ist das anders. Dieses Phänomen spielt sich hierzulande nicht nur im Fußball ab, nachzufragen ist das bei Boris Becker oder Jan Ullrich. Aber auch zwei der besten Fußballer, die Deutschland je hervorgebracht hatte, mussten den öffentlichen Spießrutenlauf über sich ergehen lassen: Franz Beckenbauer und Lothar Matthäus. Beckenbauer holte die Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland, mittlerweile wurde sogar seine Unschuld in den vorgeworfenen Bestechungsfällen bewiesen. Und doch zeigte sich die „Lichtgestalt", der „Kaiser des deutschen Fußballs" seit einer beispiellosen Kampagne nicht wieder in der Öffentlichkeit. Auch über Lothar Matthäus wurde viel gelacht nach seiner Karriere. Manchmal auch schon währenddessen. Als er in Amerika vorgestellt wurde und stolz verkündete „I hope, we have a little bit lucky", überschlugen sich die deutschen Medien. Doch das war nichts gegen die ganzen Geschichten über seine Hochzeiten mit jüngeren Frauen. Keine Folge von Stefan Raabs Late-Night-Show „TV-Total" ging ohne einen Witz über den Weltfußballer über die Bühne. Und viele taten es ihm gleich. Matthäus war Stammgast in den Boulevard-Blättern dieses Landes, von seinen sportlichen Erfolgen war keine Spur mehr in der Öffentlichkeit. Aus Lothar, dem Weltstar wurde „Loddar", der Bundesliga-Clown. Dabei gab es wahrscheinlich nie einen deutschen Spieler, der ein Fußballfeld so beackern konnte wie Matthäus. Er war zu Beginn seiner Karriere weder klassischer Spielmacher noch Vorstopper noch Flügelflitzer. Am ehesten vereinte er alle Qualitäten eines heutigen Achters. Oft ging er mit seinem unglaublichen Tempo in die Tiefe, um dann mit Ballkontrolle und Dribbelfähigkeiten zu glänzen. Dynamik war schon früh das Attribut, das eng mit seinem Namen verknüpft wurde. Durch seine 1,74 Meter und seine saubere Technik behielt er aufgrund seines niedrigen Körperschwerpunkts bei kleinen Remplern die Balance. Im robusten und körperbetonten Fußball der 80er-Jahre war das ein enormer Vorteil. Sinnbildlich für seine Spielweise und seine starke Physis war sein Fallenlassen in die Abwehrkette, um dann nach Ballgewinn sofort die Offensive einzuleiten.
Kaum einer polarisiert wie er
Matthäus glänzte in Deutschland und danach auch in der italienischen Serie A, der damals besten Liga der Welt. Auch für die Nationalmannschaft wird er wohl noch lange Rekordnationalspieler bleiben – seine 150 Einsätze mit dem Adler auf der Brust sind weiterhin unerreicht. Ebenso unerreicht sind seine 25 Spiele bei einer WM-Endrunde. Bis auf die Champions League hat er alle Titel gewonnen, die es zu gewinnen gibt. Der bereits erwähnte kürzlich verstorbene Maradona bezeichnete Matthäus als besten Gegenspieler, den er je hatte. Mehmet Scholl nannte ihn den besten Fußballer, mit dem er je zusammengespielt hat.
Doch dieses Bild hat sich durch die privaten Eskapaden ein wenig verzerrt – zumindest in Deutschland. Im Ausland ist sein Ansehen deutlich höher als in seiner Heimat. Für die hoch angesehene englische „Sun" schrieb er lange eine Kolumne, die mit Begeisterung von den englischen Fans gelesen und bewertet wurde. Und mittlerweile erlebt Matthäus auch in Deutschland eine kleine Renaissance. Seine ersten Auftritte beim Pay-TV-Sender Sky wurden belächelt und alle Kritiker, die es dem Herzogenauracher niemals zugetraut hätten, sahen sich bestätigt. „Wäre, wäre, Fahrradkette" war dabei nur die Spitze des Eisbergs von Matthäus‘ unvergesslichen TV-Auftritten. Die eigenwillige Aussprache gewisser Namen der deutschen und internationalen Stars sorgte anfangs für viele Lacher. Mittlerweile ist es Kult – auch weil Matthäus einen kleinen Wandel durchlaufen hat. Vor der Kamera kamen die Souveränität und die Erfahrung, dann wurde der Fußballsachverstand nicht mehr ständig von lustigen Versprechern überstrahlt. Natürlich sitzen in den großen TV-Anstalten Experten und Trainer auch hinter der Kamera, die für die Protagonisten vor der Kamera die Analysen anfertigen. Trotzdem scheint in Fußballdeutschland niemand prädestinierter für den Job als Experte vor der Kamera als der polarisierende Weltfußballer Matthäus. Matthias Sammer mal ausgenommen, der aufgrund seiner Rhetorik wohl nicht mit anderen Experten zu vergleichen ist. Die Meinung über Matthäus hat sich in der Öffentlichkeit wieder zu drehen begonnen. Kleine Versprecher werden ihm verziehen, seine eigene Art, im TV aufzutreten, hat Kultstatus erhalten. Seit fast neun Jahren sitzt er nun bei Sky fest im Sattel und besitzt dort einen hochdotierten Vertrag. Sky weiß auch, was sie mittlerweile an Matthäus haben. Über Lothar Matthäus wurde viel geschrieben und erzählt, es wurde sich lustig gemacht und teilweise auch gespottet. Derzeit sind seine Analysen auf den Punkt und viele Zuschauer erfreuen sich an seinen klaren Worten.
Googled der Fußballfan Matthäus‘ Namen wird schnell deutlich, dass es wohl kein Thema gibt, zu dem er nicht seine Meinung kundtut. Mittlerweile wird sie auch gehört und akzeptiert – sogar gewertschätzt. Zudem war er wohl der beste Fußballer, den Deutschland nach der Ära Beckenbauer zu bieten hatte. In Deutschland wird es Zeit, verdiente Sportler auch Menschen sein zu lassen, die Fehler machen. Im Fußball wird er immer einer der Größten des Landes bleiben.