Zehn Jahre sind im Fußball eine kleine Ewigkeit. Fast eine gesamte Spieler-Karriere. Die Frage ist dennoch spannend: Wie sah die deutsche Fußball-Welt vor einer Dekade aus? Und wie könnte sie in weiteren zehn Jahren aussehen?
Auf den ersten Blick haben sich die Kräfteverhältnisse gar nicht so sehr geändert. Nehmen wir die Bundesliga, so fällt zunächst einmal auf, dass sich bei der Besetzung nicht so wahnsinnig viel geändert hat. Von den 18 damaligen Erstligisten spielen heute 13 immer noch (oder wieder) dort. Nicht mehr ganz oben sind Hannover, der Hamburger SV, Nürnberg, St. Pauli (alle heute in der 2. Liga) und vor allem der 1. FC Kaiserslautern (heute 3. Liga). Neu sind dafür RB Leipzig, Union Berlin, Arminia Bielefeld, der FC Augsburg und Hertha BSC. Schon etwas extremer sieht das Ganze in der seit jeher als Durchgangs-Liga betrachteten 2. Liga aus. Dort spielen nur sieben Vereine damals wie heute: Aue, Fürth, Bochum, Düsseldorf, Paderborn, Karlsruhe und Osnabrück. Neben den vier heutigen Bundesligisten (alle eben aufgezählten außer Leipzig) sind einige der damaligen Zweitligisten aber übel abgestürzt. Cottbus, Aachen, der FSV Frankfurt oder Oberhausen stecken in der Regionalliga fest. Und zwar nicht unbedingt mit der Aussicht, bald nach oben zu kommen. In der 3. Liga spielten heutige Oberligisten wie die TuS Koblenz oder Rot-Weiß Erfurt zusammen mit den inzwischen etablierten Zweitligisten Heidenheim und Sandhausen. Mit Offenbach, Jena, Aalen, Burghausen, Ahlen und den 2. Mannschaften von Stuttgart und Bremen spielen sieben weitere Mannschaften heute nicht mehr in einer Profiliga.
Zu den großen Aufsteigern zählt natürlich vor allem RB Leipzig. Mitte Dezember belegte RB Leipzig Rang vier in der Oberliga Nord und hatte sich gerade zu einem 0:0 beim TSV Havelse gemüht. Nun ist Leipzig Zweiter in der Bundesliga und stand im Vorjahr im Halbfinale der Champions League. Aber natürlich ist Leipzig kein normaler Verein. Von Red Bull strategisch aufgebaut, mit einem Quasi-Farmteam in Salzburg im Rücken. Leipzig zeigt aber eben auch, was passiert, wenn Geld und eiskaltes Kalkül auf ein gutes Konzept und gute Arbeit treffen. Spieler wie Yussouf Poulsen, Timo Werner, Emil Forsberg oder zuletzt Dani Olmo oder Christopher Nkunku hätten auch andere entdecken und bezahlen können. Und niemand weiß, ob sie sich woanders ebenso entwickelt hätten. Auch bei anderen Aufsteigern stehen Geldgeber oder Mäzene dahinter. So beim 1. FC Heidenheim, damals ein Mittelklasse-Club in der 3. Liga, in diesem Sommer erst in der Relegation am Bundesliga-Aufstieg gescheitert. Oder beim SV Sandhausen, damals dicht vorm Absturz in die Regionalliga, nun etabliertes Mitglied in der 2. Liga. Heidenheim spielt nun im siebten Jahr in Folge zweitklassig und landete in den vergangenen vier Jahren dreimal unter den ersten Sechs. Sandhausen spielt sein neuntes Zweitliga-Jahr in Folge.
RB Leipzig spielte vor zehn Jahren in der Oberliga
Aber große Aufstiege gehen auch anders. So bei Borussia Mönchengladbach. Zum Jahreswechsel 2010/2011 waren die Gladbacher als Letzter mit sieben Punkten Rückstand auf das rettende Ufer ein vermeintlich hoffnungsloser Fall. Lucien Favre wurde zwei Monate später schon mit der Devise geholt, den direkten Wiederaufstieg anzupeilen. Doch er schaffte die Rettung in der Relegation und führte die Borussia in die Champions-League-Quali. Gladbach scheiterte dort, schaffte nun aber den dritten Einzug in die Gruppenphase und dort in einer Vorrunden-Gruppe mit Real Madrid und Inter Mailand das erstmalige Weiterkommen. Neben den Grundlagen Favres ist vor allem die Arbeit von Manager Max Eberl das Geheimnis. Sie lässt sich mit der Devise „Werte schaffen" umfassen. In den vergangenen acht Jahren hat die Borussia siebenmal Spieler für zweistellige Millionen-Summen verkauft. Und fand dafür Leute wie Marcus Thuram für neun Millionen, die eine hohe Rendite versprechen. Und manchmal reicht auch eine Person, um einen ganzen Verein durchzurütteln. Wie Jürgen Klopp, der Borussia Dortmund als einen am Boden liegenden Club übernahm, aufpäppelte und bald zur Meisterschaft, zum Double und ins Champions-League-Finale führte. Und auch dort klappt es so gut, dass der BVB viel Geld ausgibt, auch für junge Spieler, und sie nicht selten wieder mit (hohem) Gewinn veräußert.
Lässt sich also absehen, wie der Fußball in zehn Jahren aussehen wird? Dies hängt grundsätzlich zum einen damit zusammen, ob die 50+1-Regel fällt und demnach die Übernahme der Vereine durch Inhaber ermöglicht wird. Das könnte das Gefüge komplett durcheinanderbringen und mehreren Leipzigs den Weg ebnen. Doch dass eine komplette Abhängigkeit von einem Investor nach hinten losgehen kann, mussten zum Beispiel 1860 München oder zuletzt der KFC Uerdingen erfahren. Auch bei Hertha BSC, wo viele Millionen von außen zufließen, zeigt sich, dass Erfolg nicht einfach kaufbar ist. Wagen wir trotzdem die ein oder andere Prognose:
Wird der FC Bayern in den kommenden zehn Jahren noch zehnmal Meister?
Die letzten acht Titel gewannen die Münchner in Folge. In diesem Jahr wird es ein hartes Stück Arbeit, weil die vergangene Saison Kraft gekostet hat. Doch den Umbruch, mit dem sie sich zunächst schwertaten, haben die Münchner nun gut gemeistert. Mit Leroy Sané, Kingsley Coman (beide 24), Niklas Süle, Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Serge Gnabry (alle 25) steht ein gutes Gerüst. Mit Alphonso Davies (20) oder Jamal Musiala (17) steht zudem eine neue Generation vor dem großen Durchbruch. Entscheidend wird sein, wie die Bayern irgendwann das Karriere-Ende der immer noch überragenden und prägenden Thomas Müller (31), Robert Lewandowski (32) und Manuel Neuer (34) auffangen. Gelingt ihnen das halbwegs, werden sie vielleicht nicht alle zehn Titel in den kommenden zehn Jahren holen, aber doch die meisten. Finanziell ist das Gerüst auch in Corona-Zeiten unerschütterlich.
Wer wird den Bayern am ehesten Paroli bieten?
Während Dortmund aktuell etwas durchhängt, bieten in dieser Saison vor allem Leverkusen und Leipzig den Bayern die Stirn. Diese drei und vielleicht Gladbach und ganz eventuell Wolfsburg werden auf Sicht die Konkurrenten sein. Entscheidend wird bei den Verfolgern sein, ob sie ihre vielen Talente wie Florian Wirtz (17), Edmond Tapsoba und Moussa Diaby (beide 21) in Leverkusen, Dani Olmo (22), Dayot Upamecano und Christopher Nkunku (beide 23) in Leipzig oder Youssoufa Moukoko (16), Jude Bellingham (17), Giovanni Reyna (18), Erling Haaland und Jadon Sancho (beide 20) in Dortmund wieder für teures Geld verkaufen können. Und zwar nicht an die Bayern. Und für das Geld wieder entsprechende Talente finden und entwickeln. Noch größer wäre der Schritt zum dauerhaften Bayern-Rivalen aber, wenn sie nicht mehr nur als Durchgangs-Station gesehen würden. Denn das ist der größte Unterschied zu den Bayern. Sie sind keine Durchgangs- sondern eine Endstation.
Welcher Emporkömmling kündigt sich an?
In Heidenheim vereinen sich Geld und gute Arbeit, da könnte noch mehr gehen. Allerdings scheint die Entwicklung im Umfeld begrenzt. Würzburg hat einen engagierten Geldgeber und Meister-Trainer Felix Magath als Guru hinter sich, erlebt aber gerade nach dem Zweitliga-Aufstieg eine ganz bittere Saison. In Kiel, Aue oder Fürth wird gut gearbeitet. Alle Standorte sind im Umfeld limitiert, aber Rollen wie Mainz, Freiburg oder Augsburg sind ihnen zuzutrauen. In der 3. Liga bleibt spannend zu sehen, wie weit es für Türkgücü München noch nach oben geht. Der Investor hat jedenfalls die Nase schon wieder voll. Auch Viktoria Köln ist ambitioniert, aber der 1. FC Köln ist, obwohl etwas taumelnd, immer noch der ganz klare Platzhirsch in der Stadt.
Heidenheim auf dem Sprung
Wer könnte sich sonst noch stark verbessern?
Beim Hamburger SV ist entscheidend, ob in dieser Saison endlich die Rückkehr in die Bundesliga gelingt. Wenn ja, könnte der HSV als Riese wieder richtig in Fahrt kommen und die Bundesliga auf Sicht aufrollen. Wenn nicht, wird es mit jedem Jahr schwieriger, aus der 2. Liga rauszukommen. Ähnliches gilt auf etwas kleinerem Niveau für Fortuna Düsseldorf. In der Bundesliga hat der VfB Stuttgart im Moment das vielleicht spannendste Team mit vielen jungen und außergewöhnlichen Spielern, die zudem lange gebunden sind. In der 3. Liga könnten Vereine wie das erholte 1860, Dresden oder Saarbrücken beim Aufstieg in die 2. Liga irgendwann durchaus auch nach oben durchstarten.
Wem droht der Absturz?
Im Moment ganz akut Schalke. Die Königsblauen, vor knapp zwei Jahren noch im Achtelfinale der Champions League, spielen nicht nur eine unfassbar schlechte Saison. Ein Abstieg wäre für den mit über 200 Millionen Euro verschuldeten Verein auch finanziell eine Katastrophe. Viele Chancen, wieder hochzukommen, hat Schalke nicht, sonst droht das Schicksal von Kaiserslautern. Auch für Bremen wäre ein Abstieg aufgrund angespannter finanzieller Lage ein Desaster. Heikel ist die Entwicklung von Hannover, das nicht aus der 2. Liga rauskommt und sich auch sehr an Präsident Martin Kind gebunden hat. Bei Lautern steht natürlich vieles Spitz auf Knopf. Auch für die ständig mit der Insolvenz kämpfenden Duisburger könnte ein Abstieg in die Regionalliga Folgen haben. Und in Uerdingen tobt nach dem Ausstieg des Investors das Chaos. Viele Zahlungen sollen ausstehen, der Verein ist zudem stadion- und damit quasi heimatlos. Sollte kein starker Investor einsteigen, sieht es in Krefeld ganz finster aus.