Neuzugang Mattéo Guendouzi ist trotz ungünstiger Vorzeichen schnell in die Führungsrolle bei Hertha BSC geschlüpft – seine Zukunft liegt aber nicht in Berlin.
Real Madrid, FC Barcelona, Paris Saint-Germain oder Inter Mailand – sie alle wurden im Sommer 2020 mit der Verpflichtung von Mattéo Guendouzi in Verbindung gebracht. Am Ende aber sollte der französische U21-Nationalspieler auf Leihbasis zu Hertha BSC wechseln.
Dabei war der Grund, weshalb Guendouzi von seinem Arbeitgeber FC Arsenal überhaupt angeboten wurde, alles andere als ein Bewerbungsschreiben. In der zweiten Partie nach dem Re-Start der Premier League verloren die Gunners in der Nachspielzeit auswärts beim FC Brighton mit 2:1, und Guendouzi ließ sich in den hochkochenden Emotionen zu einer Handgreiflichkeit gegen den Siegtorschützen Neal Maupay hinreißen. Während der Partie war er bereits durch viel Trash-Talk auf dem Platz aufgefallen, am Ende aber brannten dem Arsenal-Jungstar die Sicherungen durch: Er packte Maupay mit einer Hand am Hals und brachte ihn im weiteren Verlauf noch zu Boden. Verblüffend, dass der erfahrene Schiedsrichter Martin Atkinson in der Situation nicht zur Roten Karte griff. Für Guendouzi sollte es aber trotzdem das vorerst letzte Spiel im Dress der Londoner gewesen sein – denn für Trainer Mikel Arteta war es die Aktion, die das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hatte. Der Spanier warf den damals 21-Jährigen aus dem Kader – der musste sich in der Folge mit Einzeltraining fithalten. Immerhin waren sich beide Seiten in dem Konflikt einig darüber, dass sich die Wege trennen müssen.
In der Jugend von Paris Saint-Germain ausgebildet
Die Ablösesumme, die Arsenal für den eigentlich noch bis 2022 unter Vertrag stehenden Mittelfeldspieler aufrief, verdeutlichte allerdings, wie hoch man dennoch seine Qualitäten einschätzte: Bis zu 40 Millionen Euro wurden als Kaufpreis kolportiert. Diese Forderung führte letztlich jedoch dazu, dass Real, PSG und Co mitten in der auch finanziell schwierigen Corona-Zeit die Finger von einem Deal ließen. Der Weg wurde so frei für ein Leihgeschäft und für Hertha BSC: Auf der Zielgeraden des Transferfensters Anfang Oktober konnten sich die Blau-Weißen – allerdings ohne Kaufoption – die Dienste Guendouzis für die Spielzeit 2020/21 sichern. „Mit Mattéo bekommen wir einen Spieler, der trotz seiner jungen Jahre mit der Erfahrung von bereits knapp 60 Spielen in der Premier League unser Mittelfeld noch flexibler macht", ließ Geschäftsführer Michael Preetz nicht ohne Stolz über den überraschenden Coup verlautbaren.
Kein Wunder, wurde der vor den Toren der französischen Hauptstadt geborene Guendouzi doch in der Jugend von Paris Saint-Germain ausgebildet. Später wechselte er in die U19 des FC Lorient und gab dort im Oktober 2016 mit 17 Jahren und sechs Monaten sein Debüt in der Ligue 1. Nach einer weiteren Saison mit dem bretonischen Verein in der Zweiten Liga wurde der gerade 19-Jährige von Arsenal London getestet und gut genug für die Premier League befunden. Ein großer Sprung für Guendouzi, der das Vertrauen auf Anhieb mit Leistung zurückzahlte: Innerhalb von zwei Jahren im Norden der englischen Hauptstadt brachte er es in allen Wettbewerben zusammen sogar auf über 80 Einsätze für Arsenal. Zu Beginn war der Spanier Unai Emery sein Förderer, der Trainer setzte ihn sogleich an der Seite von Petr Cech, Granit Xhaka, Henrikh Mkhitaryan oder Pierre-Emerick Aubameyang ein. Der Wechsel auf Arsenals Bank zu Emerys Landsmann Mikel Arteta im Dezember 2019 änderte an seinem Status zunächst nichts. Im Trainingslager in Dubai, während der coronabedingten Unterbrechung der Premier League im Frühjahr 2020, bekam das Verhältnis allerdings erste Risse: Guendouzi war dort zunächst mit Mitspieler Sokratis Papastathopoulos aneinandergeraten, später im Teamhotel sei es dann deshalb zu einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen Arteta und dem Jungstar vor dem Team gekommen. Trotz alledem stand der Mann mit der Lockenmähne beim Re-Start wieder in Arsenals Startelf – doch nach dessen Blackout in Brighton war das Tischtuch endgültig zerschnitten.
Nach seinem Debüt verpasste er keine Einsatzminute mehr
So zeigte sich Guendouzi dann vier Monate nach seiner Suspendierung voller Vorfreude auf die neue Aufgabe in der deutschen Hauptstadt. Dabei wurde der Beginn in Berlin ein echter Fehlstart: Kaum vorgestellt, entschwebte er schon wieder zur französischen U21 und konnte an der wichtigen Einführung in Training und Taktik von Coach Bruno Labbadia nicht teilnehmen. Dem noch nicht genug, wurde der Neuzugang nach seiner Rückkehr positiv auf das Coronavirus getestet und verlor weiter wichtige Eingewöhnungszeit durch die zehntägige Quarantäne. Danach wollte Guendouzi am liebsten sofort loslegen („Ich bin zu 200 Prozent bereit") – und dass Herthas Trainer ihn am 1. November nach nur einer gemeinsamen Übungswoche mit dem Team gegen den VfL Wolfsburg (1:1) einwechselte, beweist dessen Wertschätzung für den Franzosen. Denn Bruno Labbadia, der normalerweise eingespielte Profis bevorzugt, hatte schon bei den ersten Einheiten Guendouzis Qualitäten erkannt: „Ich finde ihn als Achter gut, da spielt er schwimmend – er lässt sich mal auf die Sechs fallen oder treibt den Ball." Nach seinem Debüt von der Ersatzbank verpasste er jedenfalls keine Einsatzminute mehr und wird in der Wertung des „Kicker"-Sportmagazins hinter Dedryck Boyata als notenbester Feldspieler im Hertha-Kader (Durchschnitt: 3,25) geführt. Nicht nur deshalb ist Guendouzi froh über seine Entscheidung, nach Berlin gewechselt zu sein: „Ich brauchte wieder Spaß auf dem Platz, um mein Selbstbewusstsein zurückzubekommen – und das bietet mir Hertha", verriet die Leihgabe im französischen TV-Kanal Téléfoot. Von Allüren, Arroganz oder ähnlichen Anwandlungen dazu bislang keine Spur.
Gut möglich also, dass Mickael Landreau durchaus recht hat, wenn er über seinen ehemaligen Schützling sagt: „Er hat mich schrecklich genervt, er ist sehr kompliziert zu trainieren." Der Trainer des FC Lorient fügte aber auch hinzu: „Er hat ein übergroßes Ego, aber er braucht es auf jeden Fall: denn er lässt nicht los, er ist ein Kämpfer." Guendouzi müsse in einer Mannschaft eben eine Führungspersönlichkeit sein – und diese Rolle hat der Mann mit dem „Chef-Gen" („B.Z.") nun bei Hertha BSC von Beginn an unumstritten inne. Trotzdem stehen die Zeichen im Sommer 2021 auf Trennung: Zu hoch ist den Berliner Verantwortlichen die Ablösesumme, ein Nachfolger wird bereits gesucht – und Guendouzi will sicher so schnell wie möglich wieder in der Champions League spielen. Bis dahin wird er bei der „Alten Dame" das Vertrauen genießen – die „große Zukunft", die ihm Arsenal-Mitspieler Mesut Özil mal prophezeit hat, wird jedoch nicht an der Spree liegen.