Für viele Experten ist Oliver Ruhnert der Vater des Erfolgs bei Union Berlin. Mit seinen Entscheidungen auf dem Trainer- und Spielermarkt lag der Manager erstaunlich oft richtig.
Bei all den Tätigkeiten von Oliver Ruhnert kommt selbst Wikipedia nicht mehr hinterher. In der freien Online-Enzyklopädie wird Ruhnert als „deutscher Fußballtrainer, Lokalpolitiker und Sportmanager" beschrieben. Doch der 49-Jährige ist auch Schiedsrichter, in seiner raren Freizeit leitet er mitunter Spiele im Amateurfußball. Ruhnert ist ein Mann mit vielen Talenten, aber seine Berufung ist der Aufbau einer Fußballmannschaft.
Als Geschäftsführer Profifußball hat Ruhnert entscheidenden Anteil am fast schon sensationellen Aufstieg von Union Berlin. Seit er 2017 bei den Eisernen angeheuert hat, zuerst als Chefscout und dann eine Funktionärs-Ebene höher, geht es steil bergauf mit dem Club. Erst der Bundesliga-Aufstieg, dann der Klassenerhalt, jetzt die Europacup-Hoffnungen – all das wäre ohne Ruhnert wohl nicht möglich gewesen. „Dieser Mann steckt hinter dem unheimlichen Union-Erfolg", titelte kürzlich die „Sport Bild" mit großen Buchstaben.
Ruhnert verantwortet bei Union die Bereiche Trainer- und Funktionsteam, Leitung der Scouting-Abteilung und Kaderplanung – und hier landete er einen Volltreffer nach dem anderen. Ob der relativ unbekannte Schweizer Trainer Urs Fischer, der nicht gerade pflegeleichte Max Kruse, der beim VfL Wolfsburg verkannte Robin Knoche – Ruhnert hatte das richtige Gespür. In der Branche nennt man solche Manager „Perlentaucher".
Er würde sich deshalb aber selbst nie in den Himmel loben, stattdessen stellt er die Transfer-Erfolge als „gemeinsames Projekt" heraus. „Wir haben eine gute Scouting-Abteilung. Und wir haben Leute, die mit den Spielern sprechen und sie davon überzeugen, was wir ihnen bieten können", sagte Ruhnert bei seinem jüngsten Besuch im ZDF-Sportstudio, „das sind ein richtig gutes Umfeld, ein gutes Trainerteam und ein großer Zusammenhalt."
Mit diesen Argumenten konnte Union trotz schmalen Budgets eine schlagkräftige Truppe zusammenstellen, die selbst Spitzenteams wie Bayern München und Borussia Dortmund im direkten Duell Paroli bietet. „Spieler können sich nur entwickeln, wenn sie sich wohlfühlen", weiß Ruhnert. Doch die passenden Spieler zu verpflichten, ist vor allem sein Job. Und den erledigt er nach Meinung vieler Experten herausragend. Um Spieler wie Flügel-Flitzer Sheraldo Becker, Abwehr-Chef Marvin Friedrich oder Shooting-Star Marius Bülter haben sich andere Clubs erst gar nicht bemüht. Jetzt sind sie heiß begehrt.
„Oliver ist ein Fußball-Fachmann und extrem gut vernetzt" – das sagt einer, der es wissen muss: Horst Heldt hatte 2011 als damaliger Sportvorstand von Schalke 04 Ruhnert vom Scout zum Leiter der Nachwuchs-Abteilung befördert. „Zu seinen besten Fähigkeiten zählt es, klar zu analysieren und schnell Entscheidungen zu treffen", verriet der heutige Manager des 1. FC Köln. „Er wankt nie in der Entscheidungsfindung oder ist sich gar unsicher, sondern er hat meist sofort eine klare Meinung."
Ruhnert schreckte nicht davor zurück, den Aufstiegskader einer Generalüberholung zu vollziehen oder den Vertrag mit Publikumsliebling Rafal Gikiewicz auslaufen zu lassen, weil die Gehaltsvorstellungen zu weit auseinanderlagen. Im persönlichen Umgang ist der Manager aber umgänglich, „er macht es einem einfach", verriet Offensivspieler Bülter.
Oliver Ruhnert ist Schalke-Mitglied und Schiedsrichter in NRW
Einen solchen Mann könnten sie derzeit bei Schalke 04 gut gebrauchen. Ruhnert, der gehörigen Anteil am exzellenten Ruf von Schalkes Knappenschmiede hat, bat 2017 um eine Vertragsauflösung und wechselte kurze Zeit später zu Union. Hinter vorgehaltener Hand wurde von einem getrübten Verhältnis mit dem damaligen Sportvorstand Christian Heidel gemunkelt. Ruhnerts Herz hängt nach wie vor an Schalke, die aktuelle Krise lässt ihn nicht kalt. „Wenn man die Menschen kennt, die hinter diesem Club stehen, dann leiden die. Das geht mir als Mitglied auch so", sagte Ruhnert. Eine künftige Rückkehr zu seinem Herzensclub, dem er schon seit Kindheitstagen die Daumen drückt, will er nicht ausschließen.
„Trotzdem ist es gut", sagte Ruhnert, „dass man das, was man gerade macht, aus voller Überzeugung tut. Das tue ich." Deshalb verlängerte er kürzlich auch seinen Vertrag bei Union, dem Vernehmen nach bis 2023. Die Zusammenarbeit habe sich als „ausgesprochen erfolgreich für den 1. FC Union Berlin erwiesen", sagte Club-Präsident Dirk Zingler. Auf der Basis begrenzter wirtschaftlicher Möglichkeiten seien „sehr ambitionierte sportliche Ziele" erreicht worden. Ruhnert bezeichnet Union als „spannende Aufgabe, die mich herausfordert und reizt". Und wer weiß, vielleicht darf Ruhnert in der kommenden Transferperiode gar an einem Europacup-Kader basteln. Der Club lässt sich im Rennen um die internationalen Ränge nicht abschütteln, was auch Ruhnerts Arbeit tangiert. „Es ist schon so, dass wir auf einmal Spieler angeboten bekommen, die vorher für uns nicht denkbar gewesen wären", sagte der Sportchef. Mittlerweile hätten auch die Berateragenturen mitbekommen, „dass Union Teil der Bundesliga ist und es gar nicht so schlecht macht". Doch Union will seinen eingeschlagenen Weg nicht verlassen, nur weil links und rechts ein paar „Früchte" zum Greifen nahe sind. „Wir haben unseren Plan, machen unsere Dinge", betonte Ruhnert. „Wir lassen uns Spieler nicht aufdrängen." Konsequenz ist eines der wichtigsten Arbeitsprinzipien von Unions Sportchef: „Das Nein ist das einfachste Wort."
Das Nein zu Zuschauern im Stadion Alte Försterei tut Ruhnert dagegen weh. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu viele Zuschauer verlieren und nicht zu viele Mannschaften im Amateurbereich", warnte Ruhnert. Er weiß, wovon er spricht: In NRW leitet er mitunter Amateurspiele als Schiedsrichter. Doch Ruhnert kann die Corona-Debatte auch aus dem Blickwinkel der Politik bewerten, er ist Fraktionsvorsitzender der Linken im Stadtrat Iserlohn. „Wir hoffen", sagte er, „dass der positive Fußball-Virus irgendwann wieder die Oberhand über das Katastrophen-Virus bekommt."
Bis dahin muss Ruhnert ohne Zuschauereinnahmen auf dem Transfermarkt nach Verstärkungen suchen. Mit Extra-Millionen aus der Europa League oder gar der Champions League plant Union nicht, ein Platz unter den besten Sechs am Ende der Saison wäre „eine Sensation", so Ruhnert. Genau wie Trainer Fischer predigt er das Mantra vom Klassenerhalt als einziges Ziel. „Wir wissen, wo wir herkommen, und wir wissen auch, wie schnell es anders geht", sagte Ruhnert. „Das Beispiel Schalke 04 haben wir alle vor Augen." Das Schalke-Mitglied ganz besonders.