Wirtschaftlich wird die Fußball-Bundesliga die derzeitige Pandemie wohl überleben. Viele Verantwortliche befürchten aber, dass sich die Fans abwenden könnten. Zudem reißen die Spiele ohne Zuschauer ein riesiges Loch in die Kassen.
Als im November des vergangenen Jahres die Corona-Infektionszahlen dramatisch zu steigen begannen, spielte die derzeit eher unbeliebte deutsche Nationalmannschaft in Leipzig gegen Tschechien. Bei den Tschechen und auch den Ukrainern, dem darauffolgenden Gegner, gab es einige Corona-Fälle. Gespielt wurde trotzdem. Die Nationalmannschaft gewann ohne Glanz mit 1:0 gegen die Tschechen, mehr in Erinnerung bleibt aber die Mimik und Gestik von Ilkay Gündoğan nach diesem Spiel. Der Deutsch-Türke war vor wenigen Wochen selbst an Covid-19 erkrankt und schaute an diesem Abend mit nachdenklichem Blick in das weite Rund des Stadions. Aus den Lautsprechern dröhnte laute Musik, doch auf den Rängen feierte niemand. Logisch –
es war ja niemand da. Der Profi von Manchester City kam sich vor wie in einer anderen Welt. „Das Umfeld eines Fußballspiels wirkt manchmal echt sehr absurd", sagte Gündoğan und marschierte mit hängendem Kopf in die Kabine, als hätte er soeben verloren. Mit dieser anderen Welt hatte er damals schon nicht unrecht – im Gegenteil. Der Profifußball genießt seit Ewigkeiten andere Privilegien als andere Sportarten. Was Gündoğan damit aber eigentlich meinte, war Folgendes: Covid-19 hat dem Spektakel Fußball den Stecker gezogen.
Der Pay-TV-Sender Sky war hingegen entzückt, bezogen auf den Spielplan in den europäischen Top-Ligen. Beinahe täglich rollt in irgendeiner leergefegten Arena der Ball. Bundesliga, Champions League, Premier League. Wobei in England wieder eine Handvoll Fans ins Stadion dürfen. Und Spiele in der Champions League beispielsweise in Russland vor einem halbvollen Stadion stattfinden durften. Dennoch, in der heimischen Bundesliga sind die Vereine davon noch weit entfernt. Dass die Spiele überhaupt stattfinden, sorgt dafür, dass die Vereine diese Pandemie finanziell überleben. Denn durch die Übertragung der Spiele sind zumindest die Millionen aus der Medienvermarktung gesichert.
Watzke beklagt deprimierende Atmosphäre
Das Überleben der Vereine ist dadurch gesichert – finanzielle Löcher reißen die fehlenden Zuschauer trotzdem in die Kassen. So unter anderem bei Borussia Dortmund. Vorstandschef Hans-Joachim Watzke sagte dazu gegenüber dem „Kicker": „In Europa gibt es keinen anderen Verein, dem im Schnitt 81.365 Zuschauer weggebrochen sind. Die Bemühungen, an die noch größeren Clubs wirtschaftlich heranzurücken, sind damit erst einmal passé." Glücklicherweise hatte der BVB keinerlei Verbindlichkeiten zum Start der Pandemie – das hilft jetzt zumindest, sauber über die Runden zu kommen. Neben den finanziellen Schwierigkeiten hat der 61-Jährige aber ein weiteres großes Problem: „Mittlerweile deprimiert mich die Atmosphäre von Monat zu Monat mehr. Jetzt sitzt du in dieser sterilen Atmosphäre. Mit Abstand, mit Masken. Grauenvoll. „Als wir zwischendurch gegen Gladbach und Freiburg jeweils um die 10.000 Zuschauer im Stadion hatten, hatte ich vor Freude Tränen in den Augen – und viele andere auch."
Weiter unten in der Tabelle und in einer sportlich wesentlich prekäreren Situation befindet sich derzeit der 1. FC Köln. Finanzchef Alexander Wehrle hat bei dem finanziell sowieso schon angeschlagenen Club auch mit den fehlenden Geldern zu kämpfen. „Wir haben unsere erste Kalkulation im Herbst aufgrund der Entwicklungen sehr schnell korrigiert und gehen aktuell davon aus, dass wir im Januar, Februar und März keine Zuschauer mehr haben werden", sagte Wehrle der „Bild". Die Größenordnung der Verluste ist dabei immens: „Das hängt natürlich wesentlich davon ab, ab wann und in welcher Größenordnung Zuschauer zugelassen werden. Man muss aber von März 2020 bis zum Saisonende mit Umsatzverlusten von mindestens 40 Millionen Euro rechnen." Die Hoffnung aufgeben will er aber noch nicht: „Ich hoffe sehr, dass die Mischung aus Schnelltests und Impfungen es 2021 möglich macht, dass wir noch in dieser Saison eine Teilöffnung der Stadien hinkriegen", sagte der Kölner Finanzchef. „Wir haben mit unseren Banken Gespräche über die nötige Liquidität aufgenommen und sind deshalb zuversichtlich, dass wir die Saison zu Ende spielen können", hofft Wehrle: „Wenn alle Spiele stattfinden, dann droht keine Insolvenz, und die Liquidität ist gesichert. Auch bei Geisterspielen."
Die Lage ist dabei durchaus düster: „In dieser Saison müssen wir nahezu mit einem Gesamtausfall der Zuschauereinnahmen rechnen", hatte Christian Seifert, Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga, Anfang Dezember gesagt. Das entspreche einem Verlust von 650 Millionen Euro. Die aktuelle Spielzeit soll mit dem 34. Spieltag am 22. Mai enden. Lieber schlimmer planen und freuen, wenn es dann doch besser läuft. Hoffnung ist da, sichere Planung absolut nicht.
Seriöses Management ist wichtiger denn je
Hoffnung haben aber dennoch alle. Zu Jahresbeginn hat Heiko Herrlich, Trainer des FC Augsburg, sich auch diesbezüglich geäußert. „Ich hoffe, dass wir die Pandemie in den Griff bekommen, die Impfungen wirken und wir irgendwann wieder Fußballspiele in einem vollen Stadion erleben können, ohne dass man sich Sorgen machen muss. Ich weiß, das ist noch in weiter Ferne, aber die Hoffnung habe ich", sagte Herrlich im Interview mit der „Augsburger Allgemeinen". Herrlich ist seit März Trainer des Fußball-Bundesligisten, hat das Augsburger Stadion noch nie mit vollen Rängen erlebt – zumindest nicht als Heimtrainer. „Bisher habe ich hier in Augsburg nur das Spiel gegen Borussia Dortmund mit Zuschauern erlebt. Da haben sich die 6.000 Fans wie ein volles Stadion angefühlt. An den Zustand ohne Fans möchte man sich nicht gewöhnen", sagte der frühere Nationalstürmer. Neben den finanziellen Schwierigkeiten bringen die Geisterspiele aber eine weitere interessante Erkenntnis mit sich: Der Heim-Nimbus schwindet. Der vierte und achte Spieltag der Saison 2020/2021 sind Paradebeispiele dafür. An beiden Spieltagen gelang es keiner der Heimmannschaften, drei Punkte einzufahren. Auch die anderen Spieltage waren vorwiegend durch Unentschieden und Auswärtssiege geprägt. An der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport befassten sich Wissenschaftler ebenfalls mit diesem Phänomen. Kurz zusammengefasst: Fans haben einen enormen Einfluss auf das Spiel und auch auf den Schiedsrichter. So lassen sich Daten finden, dass Schiedsrichter bei Geisterspielen mit den Heimmannschaften strenger umspringen, als sie es noch mit Fans taten. Böser Wille sollte dabei nicht unterstellt werden. Vielleicht ist es einfach menschlich, eine Gelbe Karte stecken zu lassen, während 60.000 Menschen pfeifen.
Allgemein hat die Corona-Pandemie an vielen Stellen Einfluss auf den Profisport. Finanziell ist es ein Fiasko, nur aufgrund der hohen Medieneinnahmen geht nicht ein Verein nach dem anderen kaputt. Doch die andere Seite der Medaille ist, dass in den vergangenen Jahren innerhalb der Bundesliga nur von der Hand in den Mund gelebt wurde. Sich jetzt einmal mehr mit vernünftigerer Finanzpolitik zu beschäftigen, schadet den wenigsten. Bis Fans wieder ins Stadion dürfen, wird noch sehr viel Zeit vergehen. Zwar hoffen einige Verantwortliche, dass nach Ostern wieder sukzessive Fans in die Stadien gelassen werden, jedoch ist es ein Hoffen – und kein Stützen auf Fakten. Vielleicht hat die Geisterspiel-Ära aber auch einen positiven Einfluss auf die handelnden Personen: Fans gehören zu diesem Sport wie das Salz in der Suppe. Vielleicht findet dann in den Gremien der Vereine oder der DFL ein Umdenken statt. Denn das Premiumprodukt Fußball-Bundesliga ist ohne Fans nichts als eine leere Hülle. Aber es gibt dennoch weitere Bedenken: Viele Fans, die TV-Abonnements abgeschlossen haben, könnten sich an den Fußball-Nachmittag auf der Couch gewöhnen. „Wenn die Fans sich dauerhaft abwenden, wird es problematisch", sagt Watzke.