Seit Jahren sucht Borussia Dortmund einen würdigen Nachfolger für Ikone Jürgen Klopp. Doch die Ansprüche sind hoch. Denn der BVB-Super-Trainer muss in den Augen vieler nicht nur erfolgreich sein, sondern auch nahbar, emotional und greifbar. Aber vielleicht hat Dortmund seinen neuen Trainer auch längst gefunden.
Thomas Tuchel, Peter Bosz, Peter Stöger und Lucien Favre sind im Kern grundverschiedene Menschen. Und auch grundverschiedene Trainer. Sie haben nur zwei Gemeinsamkeiten. Erstens: Sie alle waren Trainer von Borussia Dortmund. Zweitens: Sie alle sind nicht Jürgen Klopp. Und wegen Zweitens hat das erste nicht oder nur bedingt funktioniert. Tuchel war erfolgreich, aber menschlich passte es nicht zusammen. Bosz startete stark und wurde dann nach einem Absturz (zu) schnell entlassen. Stöger rettete halbwegs die Saison, ließ für viele aber zu bieder spielen. Und Favre wurde trotz der besten Punkte-Ausbeute aller BVB-Trainer zum Verhängnis, dass er in den entscheidenden Spielen, vor allem gegen den FC Bayern, oft zu sehr zauderte und der BVB möglicherweise auch dadurch keinen Titel gewann.
Würde man eine Schnittmenge aus allen vieren nehmen, wäre man vielleicht wieder halbwegs dran am idealen BVB-Trainer. Dann wäre man aber auch schnell wieder irgendwie bei Jürgen Klopp. In Dortmund sind sie einerseits genervt von dem dauernden Gespräch, sie würden dem heutigen Liverpool-Coach nachhängen, der den BVB im Jahr 2008 quasi wiederbelebte, 2011 Meister wurde und 2012 Double-Sieger. Der dann 2013 im Champions-League-Finale stand und 2015 ging. Auf der anderen Seite geben sie den Berichten über dieses verklärende Nachhängen und die ständigen Vergleiche des aktuellen Amtsinhabers mit Klopp des Öfteren neue Nahrung.
Favre wurde zögerliches Verhalten zum Verhängnis
Besonders extrem war das im Herbst 2019. Da stellte BVB-Boss Hans-Joachim Watzke sein Buch „Echte Liebe" vor. An seiner Seite saß, als Freundschaftsdienst extra aus Liverpool eingeflogen, Klopp. Die beiden warfen sich bei der Buch-Präsentation die Bälle zu. Watzke bemühte sich, dass die dort augenscheinliche Harmonie nicht gegen Amtsinhaber Favre interpretiert wurde, aber das war schwierig. „So ein Verhältnis, wie ich es mit Jürgen über sieben Jahre hatte, hat es vorher nicht gegeben. Und das wird es wohl auch nie wieder geben. Das war schon fast ein Unikat", meinte Watzke: „Jürgen baut sich wie ein Gebirge auf, dahinter kann man mal zwei Tage durchschnaufen. Wir fühlten uns zusammen sehr stark. Und wir waren auch sehr stark." Er habe Klopp sogar angerufen und versucht, zur Rückkehr zu bewegen, aber das habe er nur gemacht, „um mit diesem Anruf meine Zukunft abzusichern. Wenn Jürgen später erzählt hätte, nachdem wir mit dem BVB wieder in Trainernot geraten waren, dass ihn keiner gefragt hätte, wäre ich in Dortmund entlassen worden", sagte er lachend.
All dies traf auf fruchtbaren Boden bei vielen Fans und Beobachtern und machte Favre das Leben noch schwerer. Im Dezember 2020 hat sich der Verein schließlich vom Schweizer getrennt und ist wieder auf der Suche nach einem neuen Trainer. Und irgendwie nach einem neuen Klopp. Notfalls sicher auch nach einem, der sich einfach nur von dessen Schatten befreien könnte. Doch das scheint, „nur" sechs Jahre nach dessen Abschied, irgendwie sehr ambitioniert.
Rose erlebte tolle Zeiten mit Klopp bei Mainz 05
Doch vielleicht ist die Suche nach einem „Klopp-Klon" ja auch gar nicht so schwer. Denn schließlich ist der seit fast 20 Jahren Trainer, und längst sind von ihm geprägte ehemalige Spieler in seine Fußstapfen getreten. Einer davon trainiert auch gerade eine Borussia, aber die aus Mönchengladbach: Marco Rose. Der 44-Jährige, der in Mainz sieben Jahre Spieler unter Klopp war, hat die Gladbacher im Vorjahr in die Champions League geführt und besiegte mit ihnen kürzlich als erster zum zweiten Mal in der Amtszeit von Trainer Hansi Flick den FC Bayern. Vor allem aber hat Rose die Gabe, die zwei Punkte zu vereinen, die Klopp zum aktuell vielleicht komplettesten seiner Zunft machen: Er paart nämlich taktische Finesse mit einer sympathischen Menschenfänger-Aura. „Ich traue Marco alles zu. Marco kann jeden Job haben und könnte auch jeden Job machen", hatte Klopp im Sommer 2019 gesagt, als gefühlt die halbe Bundesliga um den damaligen Salzburger warb und er sich letztlich für Gladbach entschied. Er wisse nicht, ob Klopp ihm damit geholfen habe, sagte Rose dann bei seiner Vorstellung in Gladbach. Er sei „eine eigenständige Persönlichkeit, die einen eigenen Weg gegangen ist". Doch die Verbindung zu Klopp sei natürlich da. „Ich hatte eine großartige Zeit mit Kloppo. Er hat uns alle irgendwo geprägt. Man nimmt fußballerisch einiges mit, aber auch, wie Kloppo mit Menschen umgeht", sagte er. Und stellte auch klar: „Meine Spielidee basiert auf Emotionalität, auf Gier, auf Aktivität." Das hätte auch Klopp sagen können.
Klar, dass Rose in den Fokus der Dortmunder gerückt ist. Und wenn Manager Michael Zorc sagt, es gebiete sein Respekt „vor Borussia Mönchengladbach und auch vor anderen Vereinen, kein weiteres Wort mehr darüber zu verlieren", dann klingt dieses Dementi eher wie eine Bestätigung. Rose hat in Gladbach einen Vertrag bis 2022, aber offenbar im nächsten Sommer eine Ausstiegsklausel. Glaubt man den Medienberichten, ist er Dortmunds Top-Kandidat – und grundsätzlich nicht abgeneigt.
In Dortmund will man sich nicht zum Thema Rose äußern
Dennoch sind noch ein paar Fragen offen: Wie hoch ist die Ablösesumme, und wäre der BVB bereit, sie zu zahlen? Und wäre Rose in Dortmund besser dran als in Gladbach, wo Manager Max Eberl für ihn extra den gar nicht unerfolgreichen Dieter Hecking opferte? Und wo er mit geringeren Erwartungen in einem etwas ruhigeren Umfeld seine erfolgreiche Aufbauarbeit fortsetzen könnte? Und es keinen großen Klopp-Schatten gibt. Fakt ist: Rose ist maximal ehrgeizig. Er wird letztlich auf sein Bauchgefühl hören, aber vor allem das machen, wo er sich den größten Erfolg verspricht. Und der BVB hat schließlich das erklärte Ziel, ein möglichst ebenbürtiger Gegner für den FC Bayern zu sein.
Doch in Gladbach werden sie alles tun, ihn zu halten. „Marco Rose ist der Grund, weshalb Borussia Mönchengladbach wieder so erfolgreich Fußball spielt. Was er aus dieser Mannschaft gemacht hat, ist irre", sagte die Gladbach-Ikone Berti Vogts. „Sein Wechsel wäre für die Borussia bitterer als jeder Abgang eines Gladbacher Spielers", sagte der frühere Bundestrainer bei „t-online.de".
Bliebe noch die Frage der Dortmunder Alternativen. Der, den sie grundsätzlich vielleicht ähnlich gern hätten, werden sie sicher nicht bekommen. Denn der Leipziger Julian Nagelsmann hat keine Ausstiegsklausel. Aus demselben Grund landete er schon einmal nicht beim BVB, obwohl dieser sehr großes Interesse an ihm hatte. „Es gab bestehende Verträge, und deshalb hat sich die Zusammenarbeit nicht ergeben. Auch aus dem Grund, weil wir trainertechnisch versorgt waren", erzählte Zorc dieser Tage. Und Nagelsmann versicherte: „Es gibt für niemanden in Leipzig einen Grund, nervös zu werden. Die Situation mit Dortmund ist genauso wie damals in Hoffenheim. Es gibt keine Passung und auch keine Notwendigkeit. Ich habe meine Ziele mit Leipzig." Und da ist ja schließlich auch noch Edin Terzic. Der bisherige Favre-Assistent war nach der Trennung zum Chef befördert worden, offiziell bis zum Saisonende. Von den ersten fünf Pflichtspielen unter ihm gewannen die Dortmunder vier, darunter ein überzeugendes 3:1 in Leipzig. Zorc lobt die „gute Arbeit" des 38-Jährigen ausdrücklich. Und auch die Spieler sind begeistert von seiner Arbeit. „Wir haben auf jeden Fall einen großen Schritt nach vorn gemacht. Man sieht, dass wir einen Plan haben", sagte Torhüter Roman Bürki: „Es ist ein bisschen mehr Leben drin, das hat oft gefehlt. Wir haben es in den letzten Spielen enorm gut gemacht und Emotionen reingebracht. Vom Gefühl her sind wir wieder auf einem aufsteigenden Ast und finden wieder besser zu dem zurück, was Dortmund eigentlich ausmacht."
Bekommt Edin Terzic also doch eine Chance als Dauerlösung? Die Dortmunder Prioritätenliste scheint klar: Sollte Rose zu bekommen sein, wird man ihn holen, weil man ihm zutraut, entweder Klopp 2.0 zu sein oder sogar als Marco Rose so gefeiert zu werden, dass er den großen Klopp-Schatten hinter sich lässt. Da die Alternativ-Lösung Nagelsmann nicht zu bekommen ist und auf Anhieb kein anderer den Dortmunder Ansprüchen und Vorstellungen genügen dürfte, könnte Terzic im Fall einer Rose-Absage und weiter erfolgreicher Arbeit wohl bleiben.