„A Black Jesus" hat einen Verleih und wird somit ins Kino kommen. Nun wurde mit dem Film das 42. Filmfestival Max Ophüls Preis eröffnet. Die Filmemacher
Luca Lucchesi und Hella Wenders im Gespräch.
Herr Lucchesi, „A Black Jesus" führt den Zuschauer nach Siculiana, den sizilianischen Heimatort ihres Vaters, und wird als „Dokumentarische Form" apostrophiert. Worin liegt der Unterschied zum Dokumentarfilm?
Luca Lucchesi: Ich glaube nicht an den Unterschied von Filmformaten – Spielfilm oder fiktionaler Film und Dokumentarfilm. Jeder Film ist ein Weg, eine Geschichte zu erzählen. Mein Wunsch war, „A Black Jesus" nicht als Dokumentarfilm oder in Form einer Reportage zu erzählen. Ich wollte in der Sprache des Spielfilms eine echte Geschichte erzählen, deshalb heißt es „dokumentarische Form".
Hella Wenders: Luca hat bei diesem Film Cinemascope als Kameraformat benutzt, das ist eigentlich eher ein Format für einen Spielfilm – ein Format, das für die Kinoleinwand gedacht ist.
Wie funktioniert das Zusammenspiel von Regisseur und Kameramann in Personalunion?
Lucchesi: Anfangs habe ich gedacht, als Regisseur des Films muss ich mir einen Kameramann gönnen, aber dann habe ich gemerkt: Ich kann nur mit einer Kamera in der Hand denken. Ich kann nicht theoretisch im Kopf eine Szene visualisieren. Ich entwickle am Set und vor Ort meine Gedanken durch eine Kamera. Ich wollte aber auch nahe an meinen Protagonisten bleiben ohne einen anderen Menschen dazwischen.
Hella Wenders, wie geht man beim Drehbuchschreiben eines Dokumentarfilms oder eines Films in dokumentarischer Form vor?
Lucchesi: Bei Dokumentarfilmen, die nicht geplant sind, die situativ entstehen, ist ein Drehbuch im Vorhinein nicht zu schreiben. Was man schreiben kann, sind Fragen. Fragen, die man an dieses Dorf und die Protagonisten hat. Die Realität hat uns zudem immer neue Geschenke gegeben oder Herausforderungen gestellt. Darüber haben wir viel gesprochen und das Buch immer weiter entwickelt. Für die Finanzierung muss man aufschreiben, was in unseren Köpfen passieren könnte. Anfangs hat man eine Vision, wie der Film sein könnte, und er entwickelt sich dann zu dem, was er sein wird.
Wie sehr sind Sie vom Moment des Augenblicks, den das Gegenüber schenkt, abhängig?
Lucchesi: Ja, sehr, sehr muss ich sagen. Die Menschen, die in Siculiana wohnen, kenne ich, seit ich ein Kind bin. Ich bin einer von diesem Dorf, ich war sozusagen der Siculianeser mit der Kamera.
Einige der Bewohner von Siculiana äußern sich zur Migration kritisch. War das deshalb möglich, weil man Ihnen Vertrauen entgegenbrachte?
Lucchesi: Ich war Teil der großen Familie, aber ich wollte neutral bleiben. Anfangs haben die Menschen gedacht, du bist Teil von uns und denkst wie wir – das wollte ich eher vermeiden. Ich habe gesagt: Ich mache einen Film über uns – ich muss neutral bleiben.
Wieso haben Sie die Rede eines Siculianesen in der Untertitelung mit N* zensiert?
Lucchesi: Guter Punkt. Ein formaler Grund sind die Fernsehanstalten oder Festivals. Bei einigen werden „schlimme Worte" nicht abgenommen. Die Firma, die die Untertitelung übernommen hat, hat gesagt, das könnte bei manchen Sendern ein Problem sein. Ein anderer Grund ist: So ist es stärker, so fällt es mehr auf – glaube ich.
Sie möchten den Film als „Parabel über den schmalen Grat hin zu Gleichheit und Brüderlichkeit unter allen Menschen" verstanden wissen. Ist das nicht etwas hoch gegriffen? „Gleichheit" ist vor Gott und dem Gesetz in demokratischen Staaten zu erwarten. „Brüderlichkeit" sollten sich Individuen entgegenbringen, lässt sich aber, ebenso wenig wie Liebe, erzwingen.
Lucchesi: Ja, ich glaube es kommt auf das Wort Parabel an, eine Art von Märchen – eine Lehre, wie ein Gesetz oder Gott. Wir sind Eltern, wir erzählen unseren Kindern oft Märchen. In einer Parabel sind Werte, die wir spüren möchten. Warum nicht auch die Zuschauer? Mit dem Film wollte ich keine 1:1-Geschichte, eine Reportage, erzählen, die die Migrationskrise oder Schickale einzelner Menschen aufgreift.
Und da kommen wir zurück auf das Thema der dokumentarischen Form: ich wollte eine Metapher bauen, ich wollte, dass dieses Dorf als Stellvertreter für die Gesellschaft steht. Oder für Europa.
Frau Wenders, Ihr Onkel Wim Wenders, hat den Film produziert. Vergab er die Carte blanche? Oder musste er überzeugt werden?
Wenders: Road Movies, seine Firma, hat den Film produziert – Luca und ich mussten den Film vorstellen. Er kannte auch den Ort, er war schon mit uns in Siculiana. Der NDR hatte auch schon, ganz zu Anfang, zugesagt.
Wir hatten eigentlich nur eine Seite Synopsis. Wir mussten nicht viel Überzeugung leisten.