Die Corona-Pandemie fördert die Schattenwirtschaft. Ökonomen rechnen mit einem weiteren Zuwachs im laufenden Jahr 2021.
Immer wenn die Wirtschaft einbricht, blüht die Schwarzarbeit. Das war auch zu Zeiten der Finanzkrise 2009 so. Wem durch Kurzarbeit oder Jobverlust große Teile seines Einkommens wegfallen, der sucht nach alternativen Einnahmequellen – und findet sie in der Schattenwirtschaft. Der Anteil des Schattensektors an der deutschen Wirtschaft könne 2020 von rund neun (2019) auf elf Prozent gewachsen sein. Das ergaben Berechnungen des Wirtschaftswissenschaftlers Friedrich Schneider von der Johannes-Kepler-Universität in Linz. Allein im Hotel- und Gaststättengewerbe werde das Ausmaß der Schwarzarbeit voraussichtlich von rund 55,2 Milliarden Euro auf 60,7 Milliarden Euro zulegen, schreibt Schneider. Offenbar haben die Eigentümer von Restaurants und Kneipen im vergangenen Jahr bei der Bezahlung ihrer Mitarbeiter sparen wollen und sie schwarz beschäftigt. Umso härter wurden Spüler, Putzkräfte und Aushilfsköche dann vom Lockdown getroffen. Um ihr Arbeitslosen- oder Wohngeld nicht zu riskieren, arbeiten sie lieber für Billiglöhne, die sie Cash auf die Hand ausgezahlt bekommen.
Wenn ein Handwerker fragt: „Brauchen Sie eine Rechnung?", ist das in den meisten Fällen ein Angebot für Schwarzarbeit, also für eine Rechnung ohne Steuern und Abgaben. Gerade in der Baubranche, dem größten Sektor der Schwarzarbeit, werden Dienst- oder Werkleistungen unter Verstoß gegen Steuerrecht, gegen die Sozialversicherungspflicht, unter Umgehung von Mitteilungspflichten gegenüber den Behörden und Sozialträgern und ohne Gewerbeanmeldung angeboten. Schwarzarbeit wird in der Regel mündlich vereinbart und das Entgelt bar gezahlt. Keine Schwarzarbeit sind Hilfeleistungen durch Angehörige oder Lebenspartner sowie Nachbarschaftshilfe oder Gefälligkeiten, wenn sie nicht auf Gewinnerzielung gerichtet sind.
„Brauchen Sie eine Rechnung?"
Zuständig für die Bekämpfung von Schwarzarbeit ist der Zoll. Ob ein Transportunternehmer seine Fahrer illegal beschäftigt oder ein Gastwirt Löhne schwarz oder gar nicht auszahlt, ob ein Bauunternehmer illegal Arbeitskräfte aus Georgien beschäftigt oder polnische Vermittlungsstellen ukrainische Pflegekräfte nach Deutschland schleust, die keinerlei Genehmigung oder Absicherung haben – die Zollämter sind auf vielen Gebieten aktiv. In ganz Deutschland sind rund 43.000 Zöllnerinnen und Zöllner zuständig für die Sicherung der Staatsfinanzen, den Schutz der Sozialsysteme sowie den Umwelt- und Verbraucherschutz.
Dennoch beklagt zum Beispiel die IG Bau, dass der Zoll während der Corona-Pandemie weniger Kontrollen gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung macht. Bis Ende Oktober sei die Zahl der Kontrollen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 16 Prozent zurückgegangen. Das geht aus einer Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke hervor. Im Baugewerbe, das knapp ein Drittel aller Prüfungen ausmacht, sei die Zahl der Kontrollen am stärksten gesunken. Am Rande vermerkt: Die Friseur-Innung hat sich über die überaus korrekten Frisuren der Bundesliga-Fußballer beschwert – das deute buchstäblich auf Schwarzarbeit hin, während sonst überall die Coiffeure ihr Geschäft schließen mussten.
„Es ist klar, dass die Pandemie an der Finanzkontrolle Schwarzarbeit nicht spurlos vorbeigeht. Bei Visiten auf Baustellen müssen Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden", sagt IG BAU-Chef Robert Feiger. Der Zoll könne dadurch nicht so effektiv agieren wie zu anderen Zeiten. Er müsse allerdings alles daransetzen, das Kontrolllevel zu halten. „Firmen, die Löhne prellen oder Steuern hinterziehen, dürfen keine Profiteure der Krise sein", sagt Feiger. Schwarzarbeit schade durch hinterzogene Steuern und Sozialabgaben nicht nur dem Staat, sondern auch allen sauber wirtschaftenden Unternehmen. Auf bis zu 300 Milliarden Euro schätzt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) die Umsatzverluste der Unternehmen durch Schwarzarbeit.
Schwarzarbeit als „Puffer"
Bund und Ländern wiederum entgehen durch die Schattenwirtschaft nach Angaben der Deutschen Steuergewerkschaft jedes Jahr zusammen etwa 30 Milliarden Euro Steuereinnahmen (2019). Auch die Steuergewerkschaft macht sich für mehr Kontrollen stark und plädiert vor allem dafür, viele der illegal ausgeübten Jobs endlich „aus der Schmuddelecke" herauszuholen. Nicht nur Handwerksleistungen, sondern auch die Kosten für Kinderbetreuung, Gartenarbeit, Bügelservice oder Putzhilfen werden häufig am Finanzamt vorbei abgerechnet. Knapp 90 Prozent der deutschen Haushalte mit einer Reinigungskraft lassen einer 2019 veröffentlichten Studie zufolge ihre Wohnung schwarz putzen. „Geht man von rund 41 Millionen Haushalten insgesamt aus, beschäftigten im Jahr 2017 über 3,3 Millionen Haushalte gelegentlich oder regelmäßig eine Hilfe – und knapp 2,9 Millionen Haushalte ließen schwarz reinigen und einkaufen", erläutert Dominik Enste vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Die Gefahr, erwischt zu werden, ist gering. Aber die Strafen, die drohen, sind hoch.
Dennoch finden manche Ökonomen den Anstieg der Schattenwirtschaft in der Krise nicht schlimm. Im Gegenteil. Sie verhindere, dass die Rezession noch schärfer ausfalle und noch mehr Menschen in die Armut stürzten. Schwarzarbeitssexperte Friedrich Schneider bezeichnet die Schattenwirtschaft sogar als „Puffer für noch höher zu erwartende Einkommensverluste". Zwar entgingen den sozialen Sicherungssystemen und der Staatskasse durch Schwarzarbeit viel Geld, aber das schwarz verdiente Geld fließe auch wieder in den Konsum und erzeuge dann auch über die Mehrwertsteuer wieder staatliche Einnahmen.
Auch der Chef der Wirtschaftsweisen Lars Feld hält die Zunahme der Schwarzarbeit in einer Krise wie jetzt für hilfreich. „Die Schattenwirtschaft ist ein Ventil, das die Auswirkungen der Krise für die Betroffenen etwas abmildert", sagte er der „Welt am Sonntag". Viele Menschen seien froh, wenn sie überhaupt arbeiten könnten. Häufigere Prüfungen und höhere Strafen hält Feld in der Corona-Krise für kontraproduktiv. Der Staat sollte die krisenbedingte Zunahme der Schattenwirtschaft erst mal hinnehmen – und erst gegen sie wieder vorgehen, wenn die Krise überstanden sei.