Die Spritze ist zum Symbol für den Start in das zweite Corona-Jahr geworden. In Rekordtempo von nur einem Jahr sind Impfstoffe entwickelt und zugelassen worden. Aber die bislang größte Impfkampagne ist mit mehr Anlaufschwierigkeiten gestartet als erwartet.
Für die einen ist es das Projekt Hoffnung schlechthin, die anderen sehen sich in ihrer Vorhersage eines „ruckligen" Starts bestätigt. Gleichzeitig steht der Vorwurf im Raum, die Atempause vor der erwarteten zweiten Welle nicht ausreichend genutzt zu haben, um sich auf alles vorzubereiten. Mit dem Ergebnis, dass sich statt hoffnungsvollem Aufbruch Unverständnis und Verärgerung breitmachen. Die eigentlich berechtigte Anerkennung über die globale Kraftanstrengung und die Erfolge im eigenen Land, die wissenschaftliche Leistung bei Forschung und Entwicklung eines Impfstoffs gerät darüber fast schon zur Nebensache. Und das völlig zu Unrecht.
Das allgemeine Bild, das die Tage und Wochen seit dem 27. Dezember, dem Impfstart in einigen Bundesländern wie dem Saarland, zeichnen, ist allerdings nicht so einheitlich frustrierend, wie es der Eindruck der täglichen Schlagzeilen nahelegt.
Vieles ist tatsächlich schiefgelaufen und ruft umso mehr Verärgerung hervor in einem Land, das ansonsten im Ruf steht, alles perfekt, zuweilen sogar überperfekt zu regeln und zu organisieren. Tatsächlich zeugen die detaillierten Pläne zum Aufbau der Impfzentren mit minutiösen Berechnungen der Abläufe viel von diesem organisatorischen Perfektionstalent. Das wird selbst von den Kritikern anerkannt. Allerdings muss man erst einmal einen Termin ergattert haben, um sich davon selbst überzeugen zu können.
Völlig unverständlich kommt es in der Bevölkerung an, wenn sich Verantwortliche überrascht zeigen ob der anfänglich enormen Nachfrage nach Impfterminen. Der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung hat genau auf diesen Startschuss sehnlich gewartet, auch wenn eine lautstarke Minderheit immer wieder versucht, den gegenteiligen Eindruck zu erwecken und Umfragen auf abnehmende Bereitschaft hingedeutet hatten.
Impfbereitschaft ist deutlich gewachsen
Zum Ärger über den zunächst verpatzten Impfstart gesellt sich Unverständnis über die koalitionsinternen Auseinandersetzungen. Zum Start ins Wahljahr kommt das vielen, die an Hotlines verzweifelt und Online-Eintragungen gescheitert sind, ziemlich durchsichtig vor. Dabei erweist sich das Volk einmal mehr als klüger als ihm von vielen zugetraut wird. Wer vermutete, dass die Wirrnisse um den Impfstart Impfgegnern Zustimmung und Impfskeptikern massiven Zulauf bringen würde, sieht sich durch die langen Listen widerlegt, die in einigen Ländern eingeführt wurden, um Impfwillige zu registrieren und Termine zu vergeben.
Bestätigt wird dieser Eindruck durch die jüngsten Umfragen, nach denen die Impfbereitschaft weiter ansteigt. Nach dem ZDF-Politbarometer steigt der Anteil derer, die sich impfen lassen wollen, auf über zwei Drittel (vor Weihnachten war es knapp über die Hälfte), rund 20 Prozent sind noch unschlüssig, und lediglich noch zehn Prozent lehnen Impfungen ab. Die Ablehnungsfront war schon mal doppelt so groß.
Die hohe Unzufriedenheit mit dem Verlauf des Impfstarts (knapp 60 Prozent) hat offenbar nichts an der vernünftigen Einsicht in den Sinn der Impfung geändert. Auch die Diskussion über die Bestellung und Beschaffung von Impfstoffen scheint in der Bevölkerung vielfach eher zu der Reaktion geführt haben: Hauptsache, wir kriegen genügend davon. Allerdings könnten weitere Meldungen über den Ausfall von erwarteten Lieferungen, wie zuletzt von Pfizer, das Vertrauen erheblich beschädigen.
Mit dem Impfstart haben auch Diskussionen Fahrt aufgenommen, ob es künftig nicht einen Unterschied machen soll, ob sich jemand hat impfen lassen oder eben nicht. Flüge, Bahnfahrten, Konzert- oder Stadionbesuche künftig nur mit Impfpass? Zuletzt hatte Bundesaußenminister Heiko Maas die Debatte beflügelt. Die Argumente der Befürworter scheinen zunächst durchaus nachvollziehbar. Allerdings werfen sie grundsätzliche Fragen auf, die bereits zur Überlegung für ein gesetzliches Diskriminierungsverbot geführt haben.
Einmal mehr wurde erwogen, den Deutschen Ethikrat um ein Votum anzugehen. Der hatte bereits entscheidend an der Priorisierung mitgewirkt, also der Festlegung, welche Gruppen zuerst, welche später geimpft werden sollen.
Aber auch dessen Mitglieder ringen noch mit sich selbst. Klar ist die bereits vor Corona formulierte Ablehnung einer allgemeinen gesetzlichen Impflicht. Stattdessen war die Rede von einer „moralischen Impfpflicht". Was aber wäre mit einer begrenzten Impfpflicht, beispielsweise für Personal im Gesundheits- und Pflegebereich? Und wie umgehen mit notorischen Impfgegnern, wenn die mit Corona auf der Intensivstation landen würden? Die grundlegenden ethischen Fragen werden nicht weniger.
Weiterer Lockdown nötig
Ungeachtet dessen hatte sich bereits mit dem Vorziehen der inzwischen hinlänglich bekannten Kanzlerin-Ministerpräsidenten-Runde abgezeichnet, dass der regelmäßig verlängerte und verschärfte ehemalige November-Lockdown weitergehen wird. Experten – aber auch zunehmend Stimmen aus der Politik – gehen schon seit Anfang des Jahres davon aus, dass sich die Situation wohl bis Ostern (Anfang April) kaum wesentlich verändern wird. Dazu kommt die Sorge vor bereits bekannten und möglichen zukünftigen Mutationen, die offensichtlich ein noch größeres Verbreitungspotenzial entwickelt haben. Alle bisherigen Maßnahmen haben zwar das weitere exponentielle Wachstum abgebremst, aber nicht zu einem Rückgang geführt. Das immer wieder betonte Ziel einer „50er-Inzidenz", also 50 Neuinfektionen in sieben Tagen pro 100.000 Einwohner, ist weiter in großer Entfernung.
Impfen bleibt die entscheidende Hoffnung. An der großen Bereitschaft dazu liegt es nicht. Es darf allerdings nicht mehr weiter so „ruckeln" wie in den ersten Wochen.