Alba Berlin musste wochenlang ohne seine Cheftrainer auskommen. Der Assistent machte aber einen guten Job und gilt nun mehr denn je als designierter Nachfolger.
Loyalität ist eine der wichtigsten Eigenschaften für einen Co-Trainer – und in dieser Hinsicht hätte Aíto García Reneses keine bessere Wahl treffen können, als Israel Gonzalez zu seinem Assistenten zu ernennen. Der 45-Jährige vertrat den an Covid-19 erkrankten Cheftrainer des deutschen Basketball-Meisters Alba Berlin erfolgreich – und ohne jede persönliche Ambitionen auf den Trainerstuhl. „Aito ist der beste Coach. Ich bin sehr glücklich, dass ich mit ihm arbeiten kann", sagte Gonzalez der „Berliner Morgenpost". In den vergangenen Wochen, in denen sich Reneses in Quarantäne befand, waren die Rollen des Chefs und des Assistenten klar verteilt. „Wir sprechen zwei-, dreimal am Tag, tauschen eine Menge Text über Whatsapp aus", berichtete Gonzalez. Er würde Reneses „über alles informieren", und dieser würde „viele Vorschläge" machen. Gonzales betonte: „Er führt das Team."
Während der Spiele trug aber Gonzalez die alleinige Verantwortung, so wie beim jüngsten 76:82-Auswärtserfolg in der Bundesliga bei den Löwen Braunschweig – dem neunten Sieg im zehnten Spiel. Am Tag danach kehrte Reneses endlich zurück. „Heute trainiere ich wieder bei Alba", twitterte der Spanier und löste damit große Erleichterung aus. Gonzalez hat in Abwesenheit seines Landsmannes dennoch reichlich Werbung für sich gemacht. Im Schnitt gewann er zwei von drei Spielen, er motivierte das stressgeplagte Team mit einer guten Ansprache, er strahlte in der schwierigen Phase Zuversicht und Energie aus. Es wäre nur konsequent, würde Gonzalez bei Alba irgendwann die Nachfolge seines Lehrmeisters antreten, der mit 74 Jahren und von Corona geplagt am Ende der Saison abtreten könnte. Vielleicht sogar schon davor. „Ich hoffe, dass das noch nicht so bald geschehen wird", sagte Sportdirektor Himar Ojeda. „Aber wenn Aíto irgendwann aufhört, ist Israel Stand jetzt meine Nummer-eins-Option für seine Nachfolge."
„Ein Coach, der in bestimmten Situationen die Leitung übernimmt"
Für diese Erkenntnis hatte es aber nicht erst die jüngsten Wochen gebraucht. Alba verfolgt schon länger den Plan, Gonzalez in dem Moment auf den Chefposten zu befördern, indem Reneses seinen Abschied verkündet. Nicht umsonst ist die Stelle von Gonzalez offiziell nicht als „Co-Trainer", sondern als „Associate Headcoach" ausgeschrieben. Dieser Begriff ist in Europa relativ neu, in den nordamerikanischen Profiligen aber schon weit verbreitet. „Es ist ein Coach", erklärte Ojeda, „der in bestimmten Situationen die Leitung übernimmt." Schon vor der Saison, als Reneses nach langem Zögern doch noch seine Bereitschaft für eine weitere Spielzeit gegeben hatte, war mit allen Parteien vereinbart worden, dass der 74 Jahre alte Cheftrainer aufgrund der enormen Reisestrapazen nicht mehr alle Auswärtsspiele bestreiten müsse. Dass Gonzalez aufgrund der Corona-Erkrankung über mehr als vier Wochen einspringt, war zwar nicht eingeplant. Doch er bestand den Stresstest mit Bravour.
Die Spieler, von denen viele auch wegen des exzellenten Rufes von Trainer-Ikone Reneses nach Berlin gekommen waren, sind auch von Gonzalez begeistert. „Wir vertrauen ihm sehr als Headcoach", sagte Luke Sikma. Albas Führungsspieler lobte den „großartigen Job", den Gonzalez an der Seitenlinie verrichtete: „Alle haben großen Respekt vor ihm." Auch, weil er seine persönlichen Ansprüche komplett hinten anstellt.
Seine Loyalität hatte er schon bei der gemeinsamen Arbeit beim spanischen Club BC Gran Canaria (2014 bis 2016) bewiesen, als er für den damals gesundheitlich angeschlagenen Reneses für ein paar Spiele als Chefcoach eingesprungen und danach wieder freiwillig und ohne zu murren ins zweite Glied gerückt war. „Mein Ziel ist es, so viel von Aíto zu lernen, wie ich kann. Und zu versuchen, mein Bestes zu geben, um dem Team zu helfen", sagte Gonzalez. Seine Arbeit als Chef ähnelt nicht zufällig der von Reneses, unter dem er seit sechs Jahren arbeitet und lernt. Und den er als Trainer bewundert. „Inhaltlich gibt es viele Ähnlichkeiten", sagte Geschäftsführer Marco Baldi, „aber die Art der Vermittlung ist unterschiedlich." Gonzalez wirkt emotionaler auf die Spieler ein, während Reneses ihnen fast schon väterlich begegnet. „Wesentlich ist, dass die Leute zuhören und merken, dass sie was davon haben", so Baldi. Und das trifft auf Reneses wie auch auf Gonzalez zu.
„Er hat 50 Jahre Erfahrung als Basketball-Coach"
Aktiv am Stuhl seines Mentors zu sägen, würde Gonzalez nicht einmal im Traum einfallen. Dafür profitiert er selbst noch viel zu sehr von der Zusammenarbeit mit Reneses, der in Spanien alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt. „Er hat 50 Jahre Erfahrung als Basketball-Coach", sagte Gonzalez, der vor allem von der Wissbegierde seines Chefs erstaunt ist: „Aíto bleibt ja nicht auf dem Standard, den er hat. Er interessiert sich für alles Neue." Auch deshalb wagte sich Reneses vor dreieinhalb Jahren in sein erstes Auslands-Abenteuer – für Alba war es ein Glücksgriff. Die Verantwortlichen freuen sich über die Rückkehr des Cheftrainers, denn die Krankheit verlief bei ihm leider nicht symptomfrei.
Corona hat Alba fest im Griff. Es gibt immer wieder Erkrankungen im Team, alleine im Oktober des vergangenen Jahres waren es sieben. Das Team musste bereits in Quarantäne, was die Probleme im Spielplan noch größer werden ließ. Alba muss nahezu jeden dritten Tag ein Spiel in der Bundesliga, im Pokal oder in der Euro League bestreiten. Zahlreiche Verletzungen sind die Folge, Alba ging zuletzt auf dem Zahnfleisch. Bei den Niederlagen in der Euro League gegen Armani Mailand (70:84), Anadolu Efes Istanbul (76:84) und Maccabi Tel Aviv (73:85) war von körperlicher Frische kaum etwas zu sehen. Die Albatrosse kamen oft einen Schritt zu spät – und im Angriff fehlte die Konzentration.
Die schlimmste Phase könnte nun vorbei sein, denn viele angeschlagene Spieler sind wieder dabei. Gegen Braunschweig feierte Marcus Eriksson nach Knöchelproblemen sein Comeback, dem Schweden gelangen dabei sogar acht Punkte. Spielmacher Peyton Siva hat seine Oberschenkelprobleme überwunden, Power Forward Sikma befindet sich nach einer ähnlichen Verletzung auch wieder auf dem Weg zu alter Form. Doch das Wichtigste bei Alba ist, dass es Aíto Garcia Reneses wieder besser geht. So sehr sich sein Assistent auch bewährt hat, in Berlin wissen sie ganz genau, dass Reneses eine ganz andere Qualität und Erfahrung mitbringt. Von der soll auch sein designierter Nachfolger noch eine Weile profitieren.