Francesco Friedrich dominiert seit Jahren den Bobsport. Auch bei der Weltmeisterschaft in Altenberg geht er als haushoher Favorit an den Start. Auf seiner Heimbahn kann der Sachse zum alleinigen Rekord-Weltmeister aufsteigen.
Der Bobsport wird gern als „Formel 1 des Winters" bezeichnet. Im Eiskanal sind die Höchstgeschwindigkeiten zwar nicht so rasant wie auf dem Asphalt, aber auch hier kommt es auf das Material und das Können eines Piloten an. Kein Wunder, dass sich Bob-Dominator Francesco Friedrich schon immer auch für die Formel 1 interessiert hat, und hier ganz besonders früher für Michael Schumacher. „Ich habe bei Schumacher dieselbe Mentalität wie bei mir selbst gesehen. Er wollte immer gewinnen, hat aus jedem Teammitglied das Optimale herausgeholt", sagte Friedrich der „Sächsischen Zeitung". Genau wie sein großes Idol zu aktiver Zeit ist der zweimalige Olympiasieger erfolgs- und detailbesessen: „Da bin ich wie Schumi. Wenn man diese Mentalität nicht hat, ist man kein Siegfahrer, dann ist man immer nur gut dabei."
Und wenn einer in seinem Sport ein Siegfahrer ist, dann ist es „Friedrich, der Große". Mit dem Sieg im Vierer bei der jüngsten Europameisterschaft in Winterberg holte der 30-Jährige auch die Trophäe, die ihm noch gefehlt hatte. Nun hat Friedrich alles gewonnen, was man in der Eisrinne gewinnen kann. In Winterberg überflügelte er mit dem Doppel-Triumph im kleinen und großen Schlitten zudem Bob-Ikone André Lange als erfolgreichsten Piloten der Weltcup-Geschichte.
Der erfolgreichste Pilot der Weltcup-Geschichte
Friedrichs Erfolgshunger ist aber noch längst nicht gestillt. Bei der Weltmeisterschaft auf seiner Heimbahn in Altenberg (5. bis 14. Februar) geht er in beiden Disziplinen als haushoher Favorit an den Start, die WM-Titel Nummer zwölf und 13 sind fest eingeplant. Die nordamerikanischen Teams um den Kanadier Justin Kripps stiegen coronabedingt erst spät in die Saison ein, und aus dem deutschen Lager braucht Friedrich auch kaum etwas zu befürchten. In Winterberg distanzierte Deutschlands bester Bobfahrer seinen Rivalen Johannes Lochner im Zweier (+0,67 Sekunden) und Vierer (+1,21) klar. Vor allem im großen Schlitten hätte sich der Dauersieger etwas mehr teaminterne Konkurrenz gewünscht. „Das kann man hier nicht so anbieten als amtierender Europameister", kritisierte Friedrich, der vor allem Lochners Anschieber aufgrund der extrem schwachen Startzeiten im zweiten Durchgang bei der Ehre packte: „Dass sich die Jungs aber nicht in den Arsch beißen und sagen: ‚Kommt, jetzt zeigen wir es noch mal.‘" Das Aufgeben im zweiten Lauf sei „einfach peinlich", wetterte Friedrich, „das hat nichts mit Ehrgeiz oder mit sportlichem Kampfgeist zu tun."
Scharfe Worte – doch Friedrich kann sie sich erlauben. Und Lochner war gut beraten, die Kritik anzunehmen und nicht zu kontern. Und das tat er dann auch. Man sei vom Team Friedrich „vorgeführt" worden, gab der Stuttgarter zu. Die Startzeiten seien „ziemliche Grütze" gewesen. Bundestrainer René Spies wollte sich nicht in die Angelegenheit einmischen. „Franz und Hansi verstehen sich gut, die werden das intern klären", sagte Spies. Die scharfe Kritik seines Top-Piloten findet der Bundestrainer aber keineswegs überzogen: „Francesco ist so ein Typ. Er spricht auch intern Sachen deutlich an, wenn es nicht läuft."
Lochner kündigte vor der WM eine „harte Analyse" an – doch es darf bezweifelt werden, dass er Friedrich auf dessen Heimbahn gefährlich werden könnte. Der Topfavorit ist in Altenberg auf einer speziellen Mission unterwegs: Er will zum alleinigen Rekord-Weltmeister aufsteigen. Bislang teilt er sich diesen Titel mit dem Italiener Eugenio Monti (neun WM-Siege). „Mich faszinieren Rekorde für die Ewigkeit", sagte Friedrich. „Daran arbeite ich, die möchte ich setzen. Ich möchte etwas erreichen, woran sich andere die Zähne ausbeißen." Genau wie einst Schumi.
Auf der Bahn im Osterzgebirge kennt der Pirnaer zwar jeden Zentimeter aus dem Effeff, doch aufgrund der fehlenden Zuschauer sieht er dennoch „keinen Heimvorteil". Schlimmer sei aber die fehlende Stimmung in der Bob-Blase. „Ohne meine Fans", sagte Friedrich, „gibt es nicht dieses Heimflair."
„Man ist immer ein bisschen aufgeregt"
Eigentlich hätte die WM in Lake Placid stattfinden sollen, doch aufgrund der Ein- und Anreisebeschränkungen in den USA wurde das Event nach Altenberg verlegt. Die Organisationsmaßnahmen hielten sich in Grenzen, schließlich fanden hier schon 2020 die Titelkämpfe statt. Doch Corona ist auch in Deutschland ein Problem, im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge erst recht. Der deutsche Bob-Tross kam ohne Infektionen durch die Vorbereitung, doch die vielen Tests sind auch mental eine Herausforderung. „Man ist immer ein bisschen aufgeregt kurz bevor das Testergebnis kommt", sagte Friedrich. Er weiß: „Niemand ist vor dieser Krankheit gefeit." In einer Zeit, in der Sportevents keineswegs gesichert sind, sei er „froh, dass wir überhaupt Wettkämpfe und eine WM fahren dürfen". Persönlich hätte Friedrich aber „liebend gerne die Herausforderung Lake Placid angenommen". Auf der Suche nach Herausforderungen schaut Friedrich längst mehr auf die Eisbahnen als auf die Konkurrenten, die diese Bezeichnung meist nicht verdienen.
Friedrich fährt seit Jahren in seiner eigenen Liga. Das wohl Ernüchterndste für die Rivalen: Das beste Bob-Alter kommt für den 30-jährigen Friedrich erst noch. Und an die Bob-Rente denkt der Überflieger noch lange nicht. „Ich werde das so lange machen, bis es nicht mehr geht", sagte er. Den Eiskanal hinunterzusauen sei nicht nur sein Job, „sondern auch meine Leidenschaft". Diese Einstellung hebt den früheren Leichtathleten noch stärker von den anderen Piloten ab, als die Klasse an den Lenkseilen oder die Explosivität am Start. Sein Schützling sei „in jedem Detail professionell", sagte Bundestrainer Spies, und das „mehr als jeder andere". Für Heimtrainer Gerd Leopold ist Friedrich „ein Ausnahmekönner", der seinen Sport „noch lange dominieren kann".
Nach seinem Umstieg von der Leichtathletik in den Bob stellte sich Friedrichs Ausnahmetalent früh heraus. Schon im Alter von 22 Jahren kürte er sich auf der legendären Natureisbahn in St. Moritz zum jüngsten Zweierbob-Weltmeister der Geschichte. Im kleinen Schlitten fühlte sich Friedrich auf Anhieb wohl, in der Königsdisziplin Vierer zeigte er dagegen immer mal wieder Wackler. Doch auch das hat er abgestellt, mit Fleiß, Akribie und Lernfähigkeit. Auch vom Olympia-Debakel 2014 im russischen Sotschi, wo er aufgrund von Defiziten am Material und Streitigkeiten im Team als Achter (Zweier) und Zehnter (Vierer) völlig indiskutable Plätze belegte, ließ sich Friedrich nicht von seinem Weg abbringen. „Ich habe mir geschworen, dass mir so etwas nie mehr passieren soll", sagte er rückblickend, „und seitdem geht es eigentlich nur bergauf." Außerdem „weiß ich, was ich eigentlich kann".
„Die perfekte Fahrt gibt es nur selten"
Wer aus diesem Satz Überheblichkeit herausliest, kennt Friedrich nicht. Der Athlet ist nie zufrieden, auch nicht, wenn mal wieder die Goldmedaille um seinen Hals baumelt, er Start- und Streckenrekorde aufstellt und der Konkurrenz um Welten enteilt ist. „Die perfekte Fahrt gibt es eigentlich nur ganz selten", sagte er. Er habe „diesen Ehrgeiz", es allen beweisen zu wollen, „dass wir mit Absicht da oben stehen, dass es keine Zufälle gibt". Selbst er, der zweimalige Olympiasieger, elfmalige Welt- und sechsmalige Europameister könne sich noch überall verbessern: „Es gibt bei der Entwicklung keine Grenzen."
Was es aber in seinem Sport gibt, sind Unfälle. Und ein Unfall hätte Friedrich fast zum Aufgeben gezwungen, noch bevor seine große Karriere überhaupt ins Rollen gekommen war. Sein Bruder David verunglückte vor 16 Jahren im Altenberger Eiskanal schwer und lag zwei Wochen im Koma. Schädeltrauma dritten Grades – ein Schock auch für Bruder Francesco. „Damals habe ich gezweifelt", gab Friedrich einmal zu, „ob dies der richtige Sport für mich werden könnte." Sein Bruder erholte sich, und er selbst besiegte seine Zweifel. Heute fühlt er sich ganz sicher, weil er im Training und Wettkampf die Dinge Tausende Male durchgespielt hat. Bobfahren sei „so ein Trial and Error", also ein Versuch-Irrtum-Prinzip, „du kannst nicht alles vorher am Computer simulieren. In der Realität ist dann vieles doch anders", sagte Friedrich.
In der Realität ist aber seit Jahren eine Sache (fast) immer gleich: Francesco Friedrich gewinnt. Er selbst fühlt den Flow: „Wenn man gut vorbereitet in die Rennen geht, weil man weiß, die Kufe sitzt, der Bob ist gut, die Athletik stimmt und ich kenne mich in der Bahn blind aus, dann kann ich entspannt das abrufen, was der Körper all die Jahre erarbeitet hat."
Läuft alles normal, kürt er sich bei der WM zum alleinigen Rekord-Weltmeister. Dann braucht er bei den Winterspielen 2022 in Peking „nur" noch zwei Goldmedaillen, um als viermaliger Olympiasieger auch hier das Ranking anzuführen. Dann ist „Friedrich, der Große" endgültig der erfolgreichste Bobfahrer der Geschichte.