Gabriel Clemens aus Saarwellingen gehört nun zu den 30 besten Darts-Profis der Welt. Der derzeit beste Deutsche sorgte mit nervenaufreibenden Auftritten und einem Rekord bei der WM in England für Furore und Top-Einschaltquoten.
Noch nie war die Aufmerksamkeit für einen saarländischen Darts-Profi so groß wie Ende Dezember 2020. Das liegt vielleicht auch daran, dass es vor Gabriel Clemens aus Saarwellingen keinen gab. Jedenfalls hat der 37-jährige aktuell beste Deutsche bei der Weltmeisterschaft im Londoner Darts-Mekka Alexandra Palace, genannt Ally Pally, das Achtelfinale erreicht. Vor ihm hat dies noch kein anderer deutscher Profi geschafft. Das mediale Echo war gewaltig – vor allem nach seinem sensationellen Sieg über den Titelverteidiger Peter Wright aus Schottland in der Runde davor. „Mittlerweile ist das alles abgehakt", findet Clemens, der die Spitznamen „Gaga" und „The German Giant" –
der deutsche Riese – trägt. „Es bringt ja nichts, immer zurückzuschauen. Wir haben 2021, und ich bereite mich auf die nächste Saison vor", stellt die Nummer 29 der Weltrangliste klar. Nüchterner kann man das, was internationale Medien unter anderem als „unglaublich", „furios" und „eines der größten Dramen der WM-Geschichte" beschrieben haben, nicht abhaken. Außer, man ist Gaga. „Direkt nach dem Spiel – und das hat man glaube ich auch bei den Interviews gesehen – war ich abends schon ein bisschen überwältigt. Es ist schon etwas Besonderes, bei einer WM den Weltmeister rauszuwerfen", gibt Clemens dann doch zu: „Noch dazu in der dritten Runde – so weit kam ich zuvor noch nie."
Direkt nach seinem hochspannenden 4:3-Drittrundenerfolg über Wright kämpfte der Weltmeister-Besieger noch mit den Tränen, als er der versammelten Weltpresse sagte: „Im Moment fühle ich mich gerade ziemlich leer. Leer – ich weiß nicht, ob das positiv ist. Mir fehlen so ein bisschen die Worte. Ich bin natürlich total glücklich." Am nächsten Morgen war all dies schon wieder vergessen. Oder besser: abgehakt. „Ich musste mich ja auf den nächsten Gegner vorbereiten", erklärt Clemens. Mit dem Polen Krzysztof Ratajski, der in seinem Drittrunden-Duell den Australier Simon Whitlock deutlich mit 4:0 besiegte, war dies einer, gegen den er bis dato noch nicht hatte gewinnen können. Und das bleibt auch vorerst so. In einem an Hochspannung nicht zu überbietenden Match ließ der Saarländer sieben Matchdarts ungenutzt – sein Gegenüber zehn. Am Ende brauchten beide die Doppel-Eins, die in der Fachsprache als Madhouse (Irrenhaus) bezeichnet wird. Nach seinem erfolgreichen elften Matchdart ging Ratajski vor Freude in die Knie und sagte später: „Dieses Ende war furchtbar. Es war verrückt. Normalerweise verliere ich solche Matches."
Erster Saisonhöhepunkt Mitte März in England?
Clemens stellte später fest: „Man denkt einfach: Wirf ihn rein, wirf ihn rein. Er ging aber nicht rein." Millimeter entschieden letztlich über den Einzug in das WM-Viertelfinale. Ein Glück, dass der Riese aus dem Saarland sich weder mit Erfolgen noch Misserfolgen lange aufhält: „Ich habe mir das Spiel nicht noch einmal angeschaut. Das mache ich eigentlich nie. Ich weiß ja, dass ich verloren habe, weil ich die Doppel nicht getroffen habe. Das reicht mir dann auch schon als Analyse", versichert er und relativiert: „Grundsätzlich kann so etwas immer mal passieren. Es sollte nicht passieren, das ist auch klar. Aber ich arbeite mit meinen Trainern ja auch weiter daran, dass es möglichst nicht mehr vorkommt." Ein Vorteil seiner Sportart ist, dass internationale Wettkämpfe wie die WM jährlich stattfinden und es im Leben eines Profis viele Chancen gibt, daran teilzunehmen. Anders als beispielsweise im Fußball, wo Welt- und Europameisterschaften nur alle vier Jahre stattfinden und Kicker in Clemens‘ Alter in der Regel schon in den sportlichen Ruhestand eingetreten sind. „Trotzdem ist jede WM etwas ganz Besonderes und das Event, auf das man direkt nach der vergangenen WM schon wieder hinarbeitet", stellt der gelernte Schlosser klar und hofft, dass bis dahin wieder Zuschauer erlaubt sind: „Es wurden zwar eine entsprechende Geräuschkulisse und Soundeffekte eingespielt, aber das ist natürlich nicht das Gleiche, wie vor echtem Publikum zu spielen. Irgendwie haben wir uns schon alle daran gewöhnt. Es ist zur traurigen Realität geworden." Von den Millionen weltweiten Zuschauern an den Fernsehern und Livestreams bekam Gaga im Ally Pally erst einmal nichts mit. Allein in Deutschland verfolgten über zwei Millionen Darts-Fans das Achtelfinale auf dem Sender Sport1 – Rekord für ein Darts-Spiel mit deutscher Beteiligung. Der große Trubel um seine Person und die unzähligen Anfragen von Medien aus aller Welt sind nicht so sein Ding, „aber es gehört einfach dazu. Letztlich sind die vielen Anfragen ja eine Bestätigung für die gezeigte Leistung", sagt Clemens.
So spektakulär und mitreißend seine Auftritte waren, so ruhig waren die Tage danach. Auf den Medienrummel folgte die Stille. Zwangsläufig. Vor der Rückreise nach Deutschland waren Gabriel Clemens und seine Freundin Lisa nämlich zu zwei Wochen Quarantäne im Hotel verdonnert. Weihnachten und Silvester waren dort „trostlos. Zwar konnte meine Freundin bei mir sein, aber wir durften nicht einmal das Hotel verlassen und haben die meiste Zeit auf unserem Zimmer verbracht", berichtet Clemens. Die Atmosphäre im Hotel trug darüber hinaus wenig zu einer festlichen Grundstimmung bei: „In einer Ecke stand ein kleiner geschmückter Weihnachtsbaum, das war’s." Zurück im Saarland gönnte sich Clemens keine weiteren freien Tage. Nach dem Jahreswechsel folgte gleich der Wiedereinstieg ins Training. Die Intensität will er langsam steigern, um rechtzeitig vor den ersten Turnieren wieder auf sein tägliches Pensum von bis zu fünf Stunden zu kommen. Zwar hält er sich immer von acht bis 16 Uhr in seinem Trainingszentrum auf, doch dort erledigt er neben den Einheiten an der Scheibe auch weitere Aufgaben, die ein Darts-Profi erledigen muss.
Wann und wo es sportlich weitergeht, steht noch nicht fest. Der Rahmenterminkalender 2021 wurde noch nicht veröffentlicht – klar, wegen der Corona-Pandemie, die auch hier die Planungen erschwert. „Wir hoffen mal, dass wir Mitte Februar wieder mit Turnieren loslegen werden", sagt Clemens und blickt als Weltmeister-Besieger dem ersten Höhepunkt der neuen Saison entgegen. Üblicherweise sind dies Ende März die UK Open in England. Die hat übrigens noch nie ein Deutscher gewonnen. Wer weiß, vielleicht macht wieder ein Saarländer den Anfang und schreibt Darts-Geschichte …