Bei den Eisbären Berlin haben drei sehr junge Talente die Chance genutzt, um auf sich aufmerksam zu machen und verhältnismäßig viel Eiszeit zu bekommen. Dieser Trend ist ligaweit zu beobachten.
In jeder Krise liegt auch eine Chance. Die Corona-Pandemie hat die Deutsche Eishockey Liga (DEL) zwar extrem hart getroffen, doch auch hier lässt sich der eine oder andere positive Aspekt für diese Phase finden. Durch den enormen Spardruck bei den Clubs bekommen deutsche Talente viel mehr Eiszeit – und das kann sich nachhaltig für das deutsche Eishockey als großer Gewinn herausstellen.
Mit Moritz Elias, Roman Kechter (beide Nürnberg Ice Tigers) und Leo Hafenrichter (Kölner Haie) laufen in dieser sehr speziellen Corona-Saison sogar drei 16-Jährige auf. Doch auch bei den Eisbären Berlin, die gut in die Mitte Dezember begonnene Spielzeit gestartet sind, haben sich ein paar „Young Guns" ins Blickfeld gespielt. „Das ist der Weg, den wir gehen. Wir wollen wieder mehr junge Spieler heranführen, sie aufbauen für die nächsten Jahre", sagte Sportdirektor Stéphane Richer. FORUM stellt drei Eisbären-Teenager vor.
Tobias Ancicka (19)
Auf der Torhüterposition erreichen Profis in der Regel erst im reiferen Alter Höchstleistungen, weil Erfahrung hier eine noch größere Rolle spielt als im Feld. Deshalb ist Ancickas Konkurrent Mathias Niederberger (28), der vor der Saison aus Düsseldorf zu den Eisbären zurückgekehrt war, auch die klare Nummer eins. Mit einem sehr guten Gegentorschnitt von 1,86 aus seinen ersten sieben Spielen rechtfertigte Niederberger diesen Status.
Doch auch Ancicka bekam zum Start zweimal eine Bewährungschance – und er nutzte sie. Zuerst brachte er die Grizzlys Wolfsburg 60 Minuten mit starken Paraden zur Verzweiflung – nur im Penaltyschießen wurde der Youngster überwunden. Dann war der Sohn des ehemaligen Nationalspielers Martin Ancicka mit einer erneut starken Leistung ein Garant für den 2:5-Auswärtssieg bei den Krefeld Pinguinen. Nach den beiden Partien führte er sogar die wichtigsten Torhüter-Statistiken in der gesamten DEL an: Gegentorschnitt (0,96 pro Spiel) und Fangquote (96,3 Prozent). „Tobi hat gezeigt, dass er reif genug für die DEL ist", sagte Sportdirektor Richer. Sein Plan, als Back-up für Niederberger keinen gestandenen Profi zu verpflichten, sondern auf den jungen Ancicka zu setzen, geht auf. Der gebürtige Heilbronner kann in jedem Training und Spiel von Niederberger lernen und perspektivisch zur Nummer eins aufsteigen.
So lautet die Theorie, doch Trainer Serge Aubin weiß natürlich genau, dass auf dem Weg dahin viele Stolpersteine auf das große Talent warten. Vor allem für Torhüter können Rückschläge, aber auch zu viel Lob Gift für die Entwicklung sein. Aubin redet daher nicht so gern über Ancickas gute Leistungen: „Es ist noch früh, er hat noch nicht viele Spiele gemacht."
Ancicka ist für sein Alter mental sehr stark. Dies ist auch in seinem Werdegang begründet, der U20-Nationaltorwart ging in seiner Karriere bislang oft den schwierigsten Weg. Bei den Eisbären wurde er in der Schüler-Bundesliga und im DNL-Team ausgebildet, doch dann wechselte er nach Finnland, um dort neue Erfahrungen zu sammeln, um als Persönlichkeit zu reifen. Beim finnischen U20-Team von Lukka Rauma wurde er von Petri Vehanen trainiert, der Torhüter-Ikone der Eisbären. Als man ihm dort keine Zusage für einen Wechsel zu den Profis geben wollte, schlug Berlin zu. Für beide Seiten war das die richtige Entscheidung.
Haakon Hänelt (17)
Die Fußspuren für den Stürmer sind groß bei den Eisbären. Der gebürtige Berliner wird clubintern als ähnlich talentiert eingeschätzt wie Lukas Reichel, der bei den Eisbären Spielpraxis gesammelt hat und beim jüngsten NHL-Draw bereits an 17. Stelle von den Chicago Blackhawks gezogen wurde. Den Sprung in die beste Eishockeyliga der Welt trauen sie auch Hänelt zu. In seinen ersten acht DEL-Spielen blieb der Angreifer zwar ohne Scorerpunkt, doch er hat großes Potenzial angedeutet. „Er ist ein sehr besonderer Spieler", sagte Trainer Aubin. Hänelt sei für sein Alter „sehr kraftvoll", auch an der Bande lasse er sich von den Haudegen der Liga nicht den Schneid abkaufen. „Das macht nicht jeder in diesem Alter", meinte Aubin.
Darüber hinaus ist der Coach von der Lernwilligkeit seines Schützlings begeistert. Der Youngster ist ein ehrgeiziger Typ, der sein Elternhaus und den Eisbären-Nachwuchs schon früh verließ, um in der Hockey-Akademie von Red Bull einen neuen Impuls zu setzen.
Nino Kinder (19)
In der vierten Sturmreihe läuft neben Hänelt der nur zwei Jahre ältere Nico Kinder auf. Physisch ist der Angreifer, der ebenfalls in Berlin geboren wurde, noch etwas weiter als sein Sturmpartner. Trainer Aubin schwärmt von der „Körperlichkeit, die er in unser Team bringt" und seiner „Entschlossenheit".
Diese kommt nicht von ungefähr, der Junioren-Nationalspieler hat sich in der Western Hockey League (WHL) bei den Winnipeg Ice gegen sehr talentierte Jungprofis durchgesetzt. Dort erzielte der 19-Jährige in 49 Partien elf Tore und gab zehn Vorlagen. „Ich hatte eine gute Saison in Winnipeg und habe viel gelernt", sagte Kinder. Sportdirektor Richer fordert nun aber den nächsten Schritt auf der Karriereleiter: „Nino hat sich in Kanada gut entwickelt. Jetzt muss er sich bei den Profis beweisen."
Schon jetzt hat Kinder mehr Einsätze auf dem Konto als bei seiner Premieren-Saison für die Eisbären 2018/19. Und die Chance auf den großen Durchbruch in der DEL steht gut. „Sie arbeiten leidenschaftlich und bringen eine neue, spannende Energie mit", sagte Trainer Aubin über die Talente in seinem Kader. „Sie könnten mal die Anführer dieses Teams werden."
Der Trend zum jungen deutschen Spieler freut die Liga. „Vor drei Jahren war ein Spieler schon ein Exot, wenn er unter 20 war", erinnert sich DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke. Das „Fünf-Sterne"-Nachwuchsprogramm, das die Clubs vor ein paar Jahren ins Leben gerufen haben, trage nun Früchte. „Von daher ist das ein sehr positiver Trend der letzten Jahre, der durch Corona aber noch mal verschärft wurde", so Tripcke. Auch er warnte davor, zu schnell zu viel von den Youngstern zu erwarten: „Die darf man nicht verheizen, von denen darf man nicht zu viel erwarten." Der DEL-Boss hofft, dass die Verantwortlichen in den Clubs nicht sofort wieder auf mittelmäßige Ausländer zurückgreifen, wenn die Corona-Krise beendet ist und das Geld durch die Zuschauereinnahmen wieder fließt. „Jedes Spiel, das die Jungen gut spielen, ist Druck auf die Trainer und Sportlichen Leiter, dass sie umdenken", meinte Tripcke. „Aber ein Überangebot an Talenten wird es leider nicht geben."