Bad Religion verknüpfen Punk mit Protestmusik – und das seit nunmehr 40 Jahren. Ihre Klassiker „Punk Rock Song" oder „American Jesus" sind heute noch aktuell, weil ihre sarkastischen Botschaften mit so ziemlich allem korrespondieren, was gegenwärtig passiert. Im Interview spricht Sänger und Evolutionsbiologe Dr. Gregory „Greg" Graffin über die Bandbiografie.
Mister Graffin, vor genau 40 Jahren gründeten Sie in Los Angeles die Band Bad Religion. Ihre erste offizielle Show fand am 11. November 1980 in „Joey Kills Bar" in Burbank statt. Als im Februar 1981 mit „The Bad Religion EP" Ihre erste Platte erschien, waren Sie 16 Jahre alt. Hat Punk Ihnen als Teenager dabei geholfen, Unsicherheiten zu überspielen?
(lacht) Ich glaube nicht. Egal welche Aktivitäten du als Teenager entwickelst – du fühlst dich immer unsicher. Für mich war diese Band sofort eine Art Heimat. Dank Bad Religion wurde ich zu einem produktiven Teil einer größeren Gemeinschaft. Und das gab mir ein gutes Gefühl.
Waren Sie ein wütender Teenager?
Ich war damals überhaupt nicht wütend, sondern eher nervös, weil ich als Elfjähriger mit der Familie von Milwaukee nach Kalifornien gezogen war. Ich passte nicht zum südkalifornischen Lifestyle mit Skaten und Surfen. Ich kam mir lange fehl am Platz vor.
Wann änderte sich dieses Gefühl?
Als ich mit 14 andere Punks kennenlernte, fühlte ich mich endlich zugehörig. Punks waren anfangs sehr untypisch für Südkalifornien, weil sie sich für Kunst und Musik interessierten und ins Nachtleben stürzten. Kurioserweise wurden die Skater und Surfer später alle Punkrocker. Ich schaue es mir gern an, aber ich stand wirklich noch nie auf einem Surfbrett.
War die Ramones-Show, die Sie 1980 im Hollywood Palladium sahen, eine lebensverändernde Erfahrung?
Dieses Konzert war für mich eher lebensverändernd, weil ich da Brett Gurewitz kennenlernte, mit dem ich direkt nach diesem Abend eine Partnerschaft besiegelte. Das Konzert selbst war ziemlich krachig, aber wir hatten Spaß. Die Ramones waren Bretts Lieblingsband.
Wo konnten Punkbands 1980 auftreten?
Die Ramones waren damals schon sehr wichtig, weshalb sie im Hollywood Palladium auftreten durften. Die meisten Punkgruppen spielten aber in ihren Garagen. Es gab kaum Clubs, die Punkrocker bei sich auftreten ließen, weil es bei deren Shows immer zu Gewaltausbrüchen kam. Es wurden Drogen konsumiert. Die Polizei beendete viele Punkshows vorzeitig.
Was war der Grund für diese Gewalt?
Das waren eigentlich immer nur kleine Gruppen aus einer bestimmten Szene, die einer anderen Gang Ärger machen wollten. Wie in dem Film „West Side Story". Die wissen da auch nicht, weshalb sie sich prügeln.
Wie kam es, dass Sie sich nicht mit anderen prügeln wollten, sondern lieber für Bad Religion düstere Songs wie „Fuck Armageddon … This is Hell" schrieben?
Unser Blick auf die Welt war nicht dunkel, wir waren ziemlich unbeschwert und hatten viel Spaß zusammen. Brett und ich waren vom Existenzialismus fasziniert. Diese philosophische Strömung hat uns zu Songs wie „Fuck Armageddon …
This is Hell" inspiriert. Niemand würde Südkalifornien mit der Hölle in Verbindung bringen. Für viele ist Los Angeles der beste Ort der Welt. Aber wir haben für ein Albumcover ein Foto von Hollywood verwendet und darauf folgenden Satz gedruckt: „Wie kann die Hölle schlimmer sein als dies?"
Wie kam das Album an?
Die Songs liefen kaum im Radio. Aber der DJ Rodney Bingenheimer, der eine sonntägliche Show bei einem der größten Sender in Los Angeles hatte, spielte viel Punk, auch von unbekannten Bands wie uns. Er legte unsere Songs sogar regelmäßig auf.
Damals war Hollywood eine verwahrloste, von Kriminalität geprägte Gegend mit Strip-Clubs, Schnapsläden und heruntergekommen
Veranstaltungslokalen. Eine inspirierende Umgebung?
Hollywood war kein Ort, an dem man seine Kinder aufwachsen sehen will. Mithin perfekt für Teenager wie uns. Es war ein tolles Gefühl, solch gefährliches Terrain zu betreten: Drogen, Straßenprostitution, Überfälle, Gewalt. In den Zeitungen wurde regelmäßig über Morde berichtet. Man musste schon vorsichtig sein.
Während viele Punks ihr Image als Partylöwen pflegten, gingen Sie als Anthropologie-Student in der Wissenschaft auf. Waren Sie auch als Punk ein Sonderling?
Ich habe keine Erklärung dafür, weshalb ich mich nie für Drogen interessiert habe. Meine Neugier reichte einfach nicht so weit, dass ich wissen wollte, wie man seine Wahrnehmung verändern kann. Ich brauche keine Drogen, um meinen Erfahrungshorizont zu erweitern. Vielleicht verfüge ich ja nicht über das Gen, das einen wild auf chemische Substanzen macht.
Sie ängstigen mich eher, weil ich gesehen habe, was sie mit meinen Freunden angestellt haben. Ich interessiere mich halt für andere Dinge. Da ich nicht religiös erzogen wurde und die Bibelgeschichten für mich nie eine Rolle spielten, wollte ich eher wissen, wo ich herkomme. Wo ist unser aller Ursprung? Kein Wunder also, dass ich Evolutionsbiologie studiert habe. Ich wollte erfahren, wie Wissenschaftler über das Evolutionsgeschehen denken.
In Ihrer Heimat glauben viele nicht an die Evolutionstheorie Darwins. Finden Sie das als Wissenschaftler nicht merkwürdig?
(lacht) Ich könnte unendlich viele merkwürdige Dinge aufzählen, an die Leute glauben. Menschen sind sehr komische Tiere, so viel ist sicher. Viele Amerikaner werden in der Schule nicht vernünftig über Darwins Lehre unterrichtet. In Highschools (Gesamtschulen) gehört das Thema nicht zu den Pflichtkursen. Unglaublich, aber wahr! Du kannst also einen Highschool-Abschluss machen, ohne jemals Biologie gehabt zu haben.
Wollten Sie deshalb mit dem Bad Religion Fund das Interesse an Naturwissenschaften fördern?
Das war unsere Art, die Wissenschaft zu stärken. Wir gründeten in den 1990er-Jahren einen eigenen Forschungsfonds und unterstützten eine Zeit lang Studenten, die in Sachen Evolution forschten.
Betrieben Sie das Songschreiben von Anfang an genauso ernsthaft wie Ihre Forschungsarbeit?
Ich denke ja. Mit beiden Disziplinen konnte ich wichtige Ideen an die Gemeinschaft herantragen. Rückblickend möchte ich behaupten, dass beide Fächer sich gegenseitig stärkten. Die Denkarbeiten hielten mein Gehirn auf Trab. Dank der Wissenschaften wuchsen wahrscheinlich auch meine Fähigkeiten als Songschreiber. Und dass ich auch als Wissenschaftler kreativ sein konnte, hat wiederum etwas mit dem Musikmachen zu tun.
Dave Grohl von den Foo Fighters, damals noch Schlagzeuger bei der Band Scream, gab Ihnen einen Tipp: Ihr müsst nach Europa! Wie war es, das Album „Against The Grain" in der DDR vorzustellen?
Jeder, der in der Wendezeit in Berlin lebte, spürte wahrscheinlich, dass die Tage der DDR gezählt waren. Als wir dort spielten, war die Mauer bereits porös. Ich hatte den Eindruck, dass die Punkbands aus Westberlin eine Community mit denen aus dem Ostteil der Stadt bildeten. Ich war eher perplex aufgrund der militärischen Teilung der Stadt. Wollten wir in die Ostbezirke, mussten wir den Checkpoint Charlie passieren. So etwas Beängstigendes hatte jemand, der in den USA aufgewachsen war, noch nie erlebt. Zwischen den US-Bundesstaaten gibt es ja keine sichtbaren Grenzen. Als wir am Checkpoint Charlie aus dem Bandbus kletterten, wurden wir von einem schwer bewaffneten Soldaten sehr genau beobachtet, während ein anderer unser Equipment durchwühlte.
Was wussten Sie damals über die DDR?
Wir hatten überhaupt keine Vorstellung vom Leben in der sowjetischen Zone. Aus unserer Perspektive sah Ostberlin sehr düster aus, während die Nachkriegsarchitektur im Westteil mich an die USA erinnerte. Sie war nicht schön, sondern funktional. Im Osten war ich überrascht von den Trabis, die überall herumschnarrten und den winzigen Wohnungen. Als wir ein Jahr später wiederkamen, stand die Mauer zwar noch, aber die Soldaten waren verschwunden.
Wie war es, kurz nach der Wende in den neuen Bundesländern zu spielen?
Ich bin froh, dass die Erfahrung Ostdeutschland für uns bis heute weitergeht. Wir sind seitdem unter anderem in Halle, Leipzig und Dresden aufgetreten. Obwohl die Clubs dort anfangs noch etwas provisorisch aussahen mit niedrigen Decken und Türen, verfügten sie sehr schnell über ziemlich gute Anlagen. Bei unseren ersten Shows im Osten spürte man, dass das Publikum in einem autoritären Staat aufgewachsen war, weil die Leute eine Weile brauchten, um auszuflippen. Die haben uns Punks zwar willkommen geheißen, aber sie waren diese Freiheit nicht gewohnt. Im Unterbewusstsein ist vielleicht die Angst geblieben, Ärger zu kriegen.
Spüren Sie heute noch einen Mentalitätsunterschied?
Ich sehe keinen Unterschied mehr im Verhalten der Leute, die zu uns kommen. Ältere Ostberliner haben uns verrückte Punks anfangs noch skeptisch angeschaut, aber das haben wir auch in Bayern erlebt. Wir nennen das „The Bavarian Welcome" – wenn dich ältere Leute verständnislos und todernst anstarren: Welchen Geschäften gehen Sie hier nach? (lacht) Während einer Tour machten wir mal ein paar Tage Urlaub in Garmisch in einer kleinen Pension. Dort mochte man uns überhaupt nicht. Man hielt uns wahrscheinlich für eine Bande von Unruhestiftern.
Zu Recht?
Wir waren immer sehr höflich und haben nie Hotelzimmer zerlegt. Wir bevorzugen es, in Hotels zu schlafen.
Gab es wirklich nie Ärger mit der Polizei?
Ich glaube, es war um 1990 in Essen, wo es Hausbesetzer gab. Die hatten alle etwas mit einem verlassenen Gebäude in der Nachbarschaft des Clubs zu tun. Wir durften dort übernachten, was sehr praktisch war. Am frühen Morgen wurden wir vom Klang schwerer Stiefel geweckt. Das gesamte Gebäude wurde von der Polizei gestürmt. Die wussten sogar, dass wir Amerikaner waren, weil sie Englisch mit uns sprachen: „Good morning, collectivly. Everybody out!" Wir hatten zwar eine Erlaubnis für das Konzert, aber keine für die Übernachtung. Also sind wir aufgestanden und zum nächsten Auftrittsort gefahren.
Bad-Religion-Gitarrist und -Songschreiber Brett Gurewitz machte Epitaph zum größten Indie-Label der Welt – aber er verfiel immer wieder den Drogen. Gibt es eine Verbindung zwischen Abhängigkeit und Erfolg?
Eine interessante Frage, die für mich schwer zu beantworten ist. Ich nehme an diesen Aktivitäten ja nicht teil. Meine Beobachtung lautet: Ein clean gewordener Mensch stellt das Interesse, Dinge vernünftig zu machen, wieder her. Das ist Teil der Therapie.
Der Erfolg von Epitaph Records, der während Bretts Suchtphase eintrat, hatte nichts mit seiner Abhängigkeit zu tun. Von so vielen tollen Künstlern umgeben zu sein, war für ihn ein Privileg. Irgendwann sah er ein, dass er das nicht verlieren durfte. Die Entziehungskur diente mithin einem höheren Zweck.
Wie wird man sich eines Tages an Trump erinnern – als einen einmaligen Irrtum der Geschichte?
Jede Periode der Menschheitsgeschichte ist einzigartig. Und manche sind extremer als andere. Die Ära Trump wird man einmal als Ära des Extremismus bezeichnen. Es ist gefährlich, wenn politische Entscheidungen auf Gerüchten und Verschwörungstheorien basieren statt auf Fakten. Religion verstärkt den Glauben, aber nicht die Fakten. Das ist ein Irrweg.