Karikaturisten und Künstler aus der ganzen Welt kommentieren mit einer gehörigen Portion Witz das Zeitgeschehen. Die Karikaturistin Marlene Pohle wirkte zudem am Entstehen der „Pandemischen Welt-Schau" mit.
Frau Pohle, Sie sind Vizepräsidentin der Federation of Cartoonists Organizations. Welches Ziel verfolgt die FECO?
Damals zur Zeit der Gründung 1985 war das Ziel zunächst, Cartoonisten und Karikaturisten – vorerst aus Europa – zu vereinen. Das eigentliche Ziel war und ist, dem Cartoon seinen verdienten Platz in der Humor- und Pressewelt zu erteilen.
Nach und nach kamen weitere Gruppen und Länder zu FECO, die sich anstelle von Federation of European Cartoonists Organizations in Federation of Cartoonists Organizations umbenannte. Vier Jahre bin ich Generalpräsidentin der FECO gewesen, damals wie heute als Vizepräsidentin ist mir wichtig: Zur Humor-Welt gehört auch die Welt der Presse- oder politischen Karikatur, was bedeutet, dass wir die Stimme erheben, wenn ein Kollege in manchen Ländern wegen seiner Cartoons verfolgt oder eingesperrt wird. Wichtig ist auch, dass Frauen mit diesem Beruf auf der ganzen Welt zu Wort kommen und sich durchsetzen können.
Ich hatte, bevor ich mich in Deutschland niederließ, in meinem Heimatland Argentinien zu kämpfen, als Frau in der Karikaturenwelt einen Platz zu bekommen. Und ich erfuhr, dass es in ganz Lateinamerika nicht anders war, manchmal sogar schlimmer. Von der arabischen Welt ganz zu schweigen. Also dachte ich, nicht zuletzt durch den Vorteil, dass Spanisch als auch Deutsch meine Muttersprachen sind, eine Art Brücke zwischen Europa/Deutschland und Lateinamerika zu bauen. Heute ist der Zugang zu Informationen durch die elektronischen Medien einfacher. FECO informiert umfangreich auf seiner Website. Zweimal im Jahr erscheint ein Magazin mit Neuigkeiten in der Cartoonwelt, und jede der FECO-Gruppen ist frei, je nach Möglichkeiten und Bereitschaft der Mitglieder eine Ausstellung oder Wettbewerbe oder die Veröffentlichung von Katalogen zu organisieren. Und inzwischen sind immer mehr Frauen in diesem Beruf weltweit zu sehen!
Trotzdem, der Beruf der Karikaturistin ist selten – das belegt auch die „Pandemische Welt-Schau". Kennen Sie für dieses Ungleichgewicht eine Erklärung?
Sooo selten ist unser Beruf eigentlich gar nicht. Im Salon de l’Humour Saint-Just-le-Martel, Frankreich, treffen sich – mit Ausnahme von 2020 – an zwei Wochenenden immer um die 400 Kollegen aus der ganzen Welt. Darunter auch Karikaturistinnen und sogar aus Ägypten oder Tunis. Das Ungleichgewicht unter Männern und Frauen in der Karikatur wird immer kleiner. Daher sollte man überlegen, ob diese Frage nicht eher überflüssig wird.
Um das Ungleichgewicht auszugleichen könnte eine zweite „Pandemische Welt-Schau" erscheinen – dann mit Beteiligung von 20 Karikaturisten und 148 Karikaturistinnen. Zu Ihrem Beruf gehört die Grenzüberschreitung. Wie sehen Sie das?
Mir geht es so, dass, wenn mich die Wut packt über die Hochmut mancher Politiker oder irrsinnige Maßnahmen in der Wirtschaft, dann überlege ich nicht, ob ich „aufpassen" sollte. Ich bin froh, wenn ich einer Idee begegne, die ich dann auch grafisch umsetzen kann. Zeichnen kann man alles und über alles, Grenze ist für mich ein Fremdwort. Und so geht es vielen meiner Kollegen und Kolleginnen. Leider ist auch das Gegenteil der Fall. In Argentinien erleben wir momentan eine sanitäre Krise, aber auch eine wirtschaftliche und politische, und ich sehe kaum unter meinen Landsleuten, dass jemand Cartoons oder Karikaturen schafft, die wirklich kritisch und vielleicht auch „gewagt" sind. Was nicht der Fall unter vielen Journalisten ist. Das finde ich seltsam, vor allem, weil Argentinien großartige Karikaturisten wie zum Beispiel Menchi Sábat, Horacio Cardo, Quino, und andere hervorgebracht hat. Die sind aber leider schon gestorben.
Sie leben heute in Argentinien mit Kontakten zu Karikaturisten in Lateinamerika, die sie für die „Pandemische Welt-Schau" gewinnen konnten. In Deutschland fanden Hamsterkäufe von Toilettenpapier statt. In Ländern anderer Kontinente kämpfen Menschen tagtäglich mit Versorgungslücken und Existenznöten – nicht nur in Coronazeiten. Einige Karikaturen öffnen dem Betrachter in dieser Weise die Augen. Ist Ihnen bei der Gesamtschau der Karikaturen dieser Aspekt, oder ein weiterer, aufgefallen?
Eigentlich hat die Pandemie ein so breites Spektrum von Ideen in die Köpfe der Karikaturisten gebracht, dass es nie langweilig wurde. Je nach Land und Sitten hat man den Schwerpunkt aufs Toilettenpapier, auf den Mundschutz, die Distanz oder den Impfstoff gesetzt. Ich glaube der Lockdown war als Idee sehr oft zu sehen und Typen wie Trump und der immer wiederkehrende „Der Schrei" von Edvard Munch konnten auch hier nicht fehlen. Gerade weil ich so viel von all dem schon sah und vermutete, fiel mir für meine eigene Produktion was anderes ein, also benutzte ich einige meiner üblichen Skizzen von anonymen Leuten und integrierte das Mistvirus als Gag.
Eine pointierte Karikatur wirkt wie ein Lichtblitz, erfrischend und belebend, selbst oder gerade dann, wenn dem Menschen der Spiegel vorgehalten wird. Sie sind Karikaturistin. Kommen Ihnen die Ideen wie Lichtblitze, die darauf drängen festgehalten zu werden?
Die Frage ist gut! Ja, man könnte von Lichtblitz sprechen, plötzlich ist die Idee da, man muss nur noch ein bisschen dran arbeiten, und dann so schnell wie möglich grafisch gestalten. Was für eine Sternstunde für unser Gemüt! Aber bitte nicht vergessen: Wie lange haben wir dran herumgedacht, überlegt, abgeschaltet, wieder aufgenommen? Meistens stundenlang, manchmal auch tagelang. So einfach ist es wieder auch nicht! Nichtsdestotrotz, ich freue mich immer wieder, dass ich diesen Weg wählen konnte.