In Deutschlands Böden verbergen sich etwa 12.000 Höhlen, rund 50 sind öffentlich zugänglich. Wer hinabsteigt, findet Fossilien, Tropfsteine, ewiges Eis. Aber auch Hinweise auf den ältesten Menschheitsstammbaum, eine tropische Vergangenheit und persönliche Grenzen.
Höhlen üben auf viele Menschen eine magische Anziehungskraft aus. Fünf besonders interessante stellen wir hier vor.
Iberger Tropfsteinhöhle in Bad Grund – Ein Stück Madagaskar
Im Höhlen-Erlebnis-Zentrum am Iberg im Harz fanden schon eigenartige Familientreffen statt. Menschen, darunter viele aus umliegenden Dörfern, als Nachfahren der sogenannten ältesten Familie der Welt, kamen dabei zusammen.
Im Jahr 1980 entdeckte man in einer Höhle am Lichtenstein bei archäologischen Ausgrabungen eine Grabstätte aus der Bronzezeit. Wohl über 3.000 Jahre lagerten dort Tausende menschliche Knochenteile bei konstanter Kühlschranktemperatur und konnten sich gut erhalten – und damit auch die DNA. So konnten Anthropologen weltweit erstmalig die Verwandtschaftsbeziehungen einer frühgeschichtlichen Menschengruppe genetisch nachweisen. Seitdem gelten die Funde als die Überreste der „ältesten Familie der Welt". Dank spezieller DNA-Tests waren die Forscher imstande, heute lebende Nachfahren aufzuspüren. Da die Lichtensteinhöhle öffentlich nicht zugänglich ist, wurde die Grabstätte für Besucher des Höhlenzentrums am Iberg rekonstruiert. Eine Attraktion ist auch die angeschlossene Iberger Tropfsteinhöhle selbst. Die Bergleute, die sie um das Jahr 1.500 auf der Suche nach Brauneisenerz entdeckten, ahnten nichts von der erstaunlichen Entstehungsgeschichte: Der Iberg geht auf ein Korallenriff zurück, das vor rund 385 Millionen Jahren wohl dort entstand, wo heute Madagaskar liegt. Mit der Kontinentaldrift gelangte es schließlich – vereinfacht gesprochen – in den Oberharz. Seit 1874 ist die Iberger Höhle für Besucher geöffnet, im kalkigen Berginnern entdecken sie Fossilien ehemaliger Riffbewohner und einen massiven Stalagmiten – mit 400.000 Jahren ist er erdgeschichtlich betrachtet blutjung.
Infos: www.hoehlen-erlebnis-zentrum.de
Teufelshöhle im bayerischen Pottenstein – Wo die Bären schliefen
Das ganze Ausmaß zeigte sich Hans Brand im Jahr 1922. Die 85 Meter tiefe Grotte Teufelsloch kannte man schon lange, doch sie endete vor einer Felswand. Dahinter vermutete der Geologe ein altes Flussbett, ließ graben und entdeckte eine größere Höhle.
Saal um Saal, Halle für Halle wurden in den Folgejahren auf drei Stockwerken freigelegt und begehbar gemacht. Heute gilt die Teufelshöhle in der an Höhlen reichen Fränkischen Schweiz, eine halbe Autostunde südlich von Bayreuth gelegen, als die größte Tropfsteinschauhöhle Deutschlands. Während 45-minütiger Führungen können Besucher 1,7 der rund drei Kilometer an Wegen, Stollen und Treppen ergründen. Bei 97 Prozent Luftfeuchtigkeit betreten sie unter anderem den imposanten Barbarossadom, eine 18 Meter hohe Halle, in der eine Dorfkirche Platz hätte.
Der Tropfstein in der Teufelshöhle wächst äußerst langsam: in 13 Jahren nur gerade mal einen Millimeter. Dass hängende Stalagmiten, herabhängende Stalaktiten und säulenartige Stalagnaten entstehen, verdanken sie feinsten Rissen im Fels, durch die Regenwasser eindringt, das im Dolomitgestein Kalk löst. Tropfen für Tropfen lagert sich dies in Megazeitlupe wieder ab.
Eine Attraktion der vor 2,5 Millionen Jahren entstandenen und seit 1931 für Gäste geöffneten Höhle ist das rekonstruierte Skelett eines sogenannten Höhlenbären. Bis vor etwa 30.000 Jahren zog es diese bis zu 3,50 Meter langen Raubtiere zum Winterschlaf in die Unterwelt – weil die imposanten Tiere dort bei konstanten Temperaturen gute Bedingungen vorfanden. Besucher, die in warmen Sommermonaten kommen, dürften heute die immerwährenden neun Grad als willkommene Abkühlung empfinden.
Infos: www.pottenstein.de
Kluterthöhle im westfälischen Ennepetal – Für Indoor-Freaks
Einer der Gänge wird „Rebirthing"-Kanal genannt, und wer es schafft, sich durch die acht Meter langen Felsengebilde mit nur 50 Zentimetern Durchmesser per Ellbogen und Zehenspitzen zu schieben – ja, der fühlt sich tatsächlich ein bisschen wie neugeboren. Die Passage ist Teil einer „XXtrem-Tour", die manchen Besucher der Kluterthöhle in Ennepetal an die Grenze der persönlichen Belastbarkeit führt. Über zweieinhalb Stunden wird unter sachkundiger Führung gekrochen, geklettert und manchmal gelaufen, wenn oft auch nur gebückt. Und die Stirnlampen auf dem Kopf sind dabei meist die einzigen Lichtquellen.
Beleuchtete Teile der Kluterthöhle, die mit einer Ganglänge von 5,5 Kilometern eine der größten Höhlen Deutschlands ist, werden aber auch auf 45-minütigen Schnupperführungen erkundet. Auch die Kluterthöhle ist Teil eines Riffs, das sich vor 385 Millionen Jahren erhob, als dort, wo Ennepetal heute liegt, noch ein tropisches Meer anbrandete. Fossilien von Korallen und Schwämmen an Wänden und Decken zeugen davon. Noch heute ist die Höhle mit unterirdischen Bächen und Seen wasserreich.
Im Zweiten Weltkrieg diente sie bis zu 4.000 Menschen als Luftschutzbunker. Asthmatiker unter ihnen bemerkten, wie gut ihnen die feingefilterte, staub- und allergenfreie unterirdische Luft tat. Heute gilt die Kluterthöhle als Wiege der Speläotherapie, der Höhlentherapie in Deutschland und ist als Kurstätte unter anderem Mitglied im Deutschen Heilbäderverband. Seit 2019 steht das gesamte Kluterthöhlensystem mit neun weiteren Höhlen als eines von nur sieben nationalen Naturmonumenten wegen seiner „naturgeschichtlichen Seltenheit und Schönheit" unter besonderem Schutz.
Infos: www.kluterthöhle.de
Baumannshöhle in Sachsen-Anhalt – unterirdische Bühne
Die wahrscheinlich längste Tourismusgeschichte einer Höhle in Deutschland verbindet sich mit der Baumannshöhle, benannt nach dem Bergmann Friedrich Baumann, der sie im 16. Jahrhundert entdeckt haben soll. Organisierte Führungen finden laut Website hier seit 1646 statt. Weil Tropfsteinformationen durch frühe Besucher zerstört wurden, erließ der Braunschweiger Herzog eine Schutzverordnung – damit gilt die Höhle im Harz nahe des Brockens als erstes rechtlich geschütztes Naturdenkmal Deutschlands.
Leibniz besuchte die Höhle, und Goethe stieg gleich dreimal in die Gänge hinab, zuletzt 1784, zwei Jahre, bevor er sich auf seine bekannte „Italienische Reise" machte. Der größte Saal der Baumannshöhle ist nach dem Dichter benannt und wird heute für Konzerte und Theateraufführungen mit bis zu 300 Zuschauern und Zuhörern genutzt.
Während Straßenbauarbeiten im 19. Jahrhundert wurde die nur fünf Minuten Fußweg entfernte Hermannshöhle entdeckt, deren Hohlräume bis zu 50 Meter hoch sind. Eine Besonderheit: Die „Kristallkammer", in der Tropfsteingebilde mit filigranen Calcit-Kristallen überzogen sind. Eine weitere: der Grottenolm. Nirgendwo sonst in Deutschland lebt dieser Schwanzlurch. Sein Habitat fand er allerdings auf unnatürlichem Weg: Menschen brachten 1932 einige Exemplare aus dem eigentlichen Verbreitungsgebiet im Dinarischen Gebirge mit in die Hermannshöhle, in der der künstliche „Olmensee" angelegt wurde. Frühmorgens bestehen die besten Chancen, den scheuen Höhlenbewohner zu sichten.
Infos: www.harzer-hoehlen.de
Schellenberger Eishöhle – Die einzige ihrer Art
Wer die einzige erschlossene Eishöhle der Republik betreten möchte, muss ein mittelzäher Wanderer sein. Erst nach einem über dreistündigen Fußmarsch vom Parkplatz an der B305 aus kommt man auf 1.570 Meter über dem Meeresspiegel und oberhalb der Baumgrenze an, wo es in den Untersberg in den Berchtesgardener Alpen in Oberbayern geht. Alternativ nimmt man von österreichischer Seite aus die Untersbergbahn und steigt über den Thomas-Eder-Steig in gut einer Stunde zum Eingang hinab. Geführte Rundgänge durch faszinierende Eisformationen dauern 45 Minuten und führen über Stege und Holzplatten, die jedes Jahr zur Besuchersaison von Juni bis Oktober in rund 1.000 Arbeitsstunden auf Begehbarkeit überprüft werden müssen – denn das Eis arbeitet und bildet sich teils immer wieder neu.
Überhaupt das Eis: Bis zu 30 Meter dick und etwa 3.000 Jahre alt sind die kalten Massen, insgesamt sind es rund 60.000 Kubikmeter Eis, am Volumen gemessen handelt es sich um eine der größten Eishöhlen der Welt. Damit das Eis in schönen Türkistönen leuchtet, wurden auf dem 500-Meter-Rundweg (Gesamtlänge der Höhle: gut 3,5 Kilometer) Grubenlampen aufgehängt. Auch wenn der Aufstieg zur Höhle Schweiß kostet: ins Gepäck sollte eine warme Jacke. Denn im Untersberg ist es mit um die Null Grad Celsius eine Spur kälter als in den anderen Höhlen – anderseits gehört ein bisschen Frösteln dazu, wenn man sich in Deutschlands Unterwelten vorwagt.
Infos: www.eishoehle.net