Mainz ohne Fastnacht ist eigentlich nicht vorstellbar. Ohne großen Umzug und Festveranstaltungen wird es ziemlich still in den Straßen. Aber die Vereine und Garden haben neue Wege gefunden, berichtet Markus Perabo, Vorsitzender der Mainzer Fastnachtsgenossenschaft.
Herr Perabo, wie sind die letzten Wochen gelaufen?
Anders als gedacht. Als im September absehbar war, dass man die Veranstaltungen aus medizinischer Sicht nicht durchziehen kann wie in der Vergangenheit, brauchten wir eine Alternative. Ohne alles möchte man das ja auch nicht haben. Da wir auch kleinere Vereine vertreten, die kein großes Budget haben, hat sich natürlich die Frage ergeben, Synergien zu nutzen, etwa dass man einen Raum ausstattet, wo man digital etwas produzieren und online senden kann. Das haben wir gelöst, sodass wir am Rosenmontag, wo die Leute normalerweise auf der Straße sind, abends ein Streamingangebot haben, wo man sich Beiträge von verschiedenen Gesellschaften und Garden anschauen kann.
Jetzt stelle ich mir vor: Büttenreden ohne Publikum, ohne die Atmosphäre im Saal, das ist eine trockene Angelegenheit.
(lacht) ja, das ist schwierig. Das sehen Sie auch daran, dass die meisten Beiträge, die uns zugesandt wurden, musikalischer Art sind, weniger von Rednern, die sonst die Reaktion im Saal haben und brauchen. Zu Beginn der Pandemie hat man deshalb gedacht, vielleicht sind so genannte Hybridsitzungen möglich, dass man eine Handvoll Leute im Saal hat, mit Abständen und Hygienekonzepten, aber das ist jetzt alles weg. Deshalb setzen wir auch darauf, wenn es sich die Leute zu Hause beim Streaming gemütlich machen mit was zu essen und zu trinken, dass das dann schon etwas wie Fernsehfastnacht hat.
Wie wirkt sich auf die Akteure aus, wenn sie ohne direkte Publikumsresonanz bleiben?
Die „Profis" können sich gut darauf einstellen, andere werden sich schwertun. Bei den Einreichungen sieht man das auch.
Wie läuft das mit eigenen Produktionen der Vereine?
Wir hatten relativ früh, schon im Herbst, bei allen Mitgliedern nachgefragt, wer technische Unterstützung braucht. Die kleineren Vereine haben dann gesagt, dass sie es nicht schaffen würden, ein abendfüllendes Programm zu produzieren. Die größeren haben Produktionen aus eigenen Mitteln umsetzen können. Als wir die Idee hatten, ein Potpourri zu machen, haben dann doch viele gesagt: Ein, zwei Beiträge kriegen wir schon hin. Aber dann kamen die Pandemieverschärfungen. Jetzt stellen Sie sich vor: Sie haben zwei Akteure, dann ist der Kameramann schon der dritte Haushalt, das funktioniert also nicht. Bleiben also die professionellen Studios, aber da sind sie ganz schnell bei einigen tausend Euro.
Da greift dann der Synergieeffekt durch die Genossenschaft. Wir halten ein Studio vor, in dem produziert werden kann.
Die Straßen bleiben also leer?
An einen Umzug ist dieses Jahr nicht zu denken. Da kann man die ganzen Auflagen unmöglich erfüllen. Außerdem ist der Wagenbau sehr, sehr teuer. Dafür gibt es üblicherweise die Finanzierung durch Sponsoren. Weil es aber auch keine Veranstaltungen gibt, wo man die Sponsoren bewerben könnte, geht das also auch nicht. Es sind aber schon drei Wagen gebaut, die heißen in diesem Jahr „Monumente mit politischer Aussage". Da versucht der Mainzer Carneval Verein noch, eine Genehmigung zu bekommen, um die in der Mainzer Innenstadt aufzustellen. Da besteht natürlich die Gefahr, dass das sehr viel Publikum anzieht. Das wird jetzt durch das Ordnungsamt geprüft. So was wäre sicherlich ein Publikumsmagnet, aber man muss schauen, dass es nicht grenzwertig wird.
Fastnacht steht fest im Kalender, das kann man nicht ausfallen lassen, sagen viele Ihrer Kollegen. Zustimmung?
(seufzt) Das Thema ist ja viel diskutiert worden. Es gibt ein relativ großes Lager, das sagt: Wir haben nun mal Pandemie, die hat sich keiner gewünscht, aber dann muss all das andere jetzt nicht unbedingt sein. Eingefleischte Fastnachter sagen: Ja, es steht im Kalender. Dann versuchen wir halt einen Kompromiss zu finden, also etwas mit Fastnacht zu präsentieren, was aber ohne Menschenmassen funktioniert. Das ist eigentlich ein Widerspruch in sich.
Wäre es aber nicht gerade jetzt für das Gemüt der Menschen erst recht nötig?
Das hat auch der Oberbürgermeister schon im Sommer gesagt: Lass uns planen, notfalls bleibt der Plan in der Schublade. Damals dachten wir noch, es geht vielleicht mit kleineren Umzügen. Uns geht es schon sehr darum, etwas anzubieten, einfach um aus dieser Tristesse herauszukommen. Deshalb gibt es mannigfaltige Online-Angebote. Zum Beispiel eine Live-Übertragung aus dem Stadion, mit einigen Akteuren und mit der Unterstützung von Mainz 05.
Gibt es denn bei den Beiträgen in diesem Jahr auch welche, die ohne das Thema Corona auskommen?
Ja, gibt es tatsächlich. Es wird natürlich auf Corona Bezug genommen, aber es geht schon auch um andere Themen, um Unterhaltung. Es ist ja sonst alles unschön, man beschäftigt sich den ganzen Tag damit, um mit der Situation umzugehen. Ich mache das hier in der Genossenschaft auch nur nebenamtlich. Hauptberuflich bin ich in einer Schulleitung, und da haben wir derzeit auch jeden Tag Ereigniskarten. Deshalb ist es ganz wichtig, auch was anderes anzubieten. Und wir hoffen natürlich, dass wir ab Sommer wieder andere Verhältnisse haben, und setzen auf die nächste Kampagne.
Gab es denn Überlegungen, beispielsweise Umzüge zu verlegen wie in früheren Jahren nach sturmwetterbedingten Absagen?
Das hatten wir schon kurz überlegt, aber es ist eine schräge Sache, Umzüge im Sommer. Da tut man sich schon schwer, Helau zu rufen. Also dann konzentrieren wir uns lieber auf die nächste Kampagne.
Spüren Sie denn Auswirkungen der Situation auf das Engagement und die Mitglieder?
Das war bislang noch kein großes Thema. Es ist natürlich so, dass neue Online-Formate meist von den Jüngeren produziert werden. Da braucht es dann all die anderen nicht, die sonst etwa für Saalveranstaltungen gebraucht werden. Aber dass das Auswirkungen hat, sehen wir nicht.
Ist Online-Fastnacht die neue Zukunftsperspektive?
Wir haben im Herbst mit einem Meinungsforschungsinstitut eine Umfrage (online) gemacht, da haben sich 10.000 Leute beteiligt, das ist eigentlich ganz gut. Dabei haben 57 Prozent gesagt, dass sie sich eine digitale Sitzung anschauen würden, und das waren auch Leute, die sonst in keine Sitzung gehen. Vielleicht gibt es da auch eine neue Zielgruppe. Es ist kürzer, kompakter, vielleicht auch bequemer als in einem Saal. Natürlich fehlt dann das Liveerlebnis.
Also vielleicht Hybridfastnacht?
Spannende Frage. Vielleicht nicht jede Sitzung, aber ich würde es mit einzelnen Sitzungen probieren. Es gibt Veranstaltungen, die sind hoffnungslos nachgefragt, da kriegen Sie keine Karten mehr, und da besteht natürlich die Möglichkeit, das über ein Hybridformat zu probieren. Aber das ist natürlich auch eine Kostenfrage.