Fastnacht, Karneval, Fasching müssen sich neu erfinden. Nur weil Veranstaltungen und Umzüge wegen der Pandemie ausfallen müssen, wird die Fastnacht nicht gestrichen, ist sich die Narrenzunft einig.
Der Termin steht für jeden Rathauschef schon Jahre im Voraus fest im Kalender. Mehr oder minder friedlich geben sich Stadt oberhäupter dem übermächtigen Ansturm geschlagen, übergeben Schlüssel, räumen das Rathaus und überlassen den Narren das Regime. Zugleich darf sich die Krawattenlobby über ein eigenwilliges Konjunkturprogramm freuen, wenn grob geschätzt millionenfach das kostbare männliche Kleidungsstück mit scharfem Schnitt gestutzt wird.
Diesen närrischen Ritualen an Weiberfastnacht setzt das pandemiebedingt verbreitete Homeoffice erkennbare Grenzen. Fastnachter, Karnevalisten und Faaseboozen (für Außenstehende: Menschen in Fastnachtskostüm) könnten diese schmerzlichen Einschränkungen womöglich noch einigermaßen verschmerzen, wenn wenigstens der Rest stattfinden würde.
Davon aber kann in diesem Jahr bekanntlich keine Rede sein. Kein Umzug, keine Saalveranstaltungen, kein Rathaussturm. Freuen könnten sich allenfalls notorische Gegner der Fünften Jahreszeit, humormäßig Unbegabte, und vergleichsweise profan die kommunalen Straßenreinigungen. Aber selbst denen dürfte die Stille nicht ganz geheuer sein, sind sie doch auch selbst von den weitgehenden Einschränkungen des Lockdown betroffen. Genauso wie die, die sonst die närrischen Tage üblicherweise zur Kurzurlaubsflucht in ruhigere Gefilde genutzt haben. Auch Antifastnachtrituale fallen aus.
Dass das öffentliche Narrentreiben zum Erliegen kommt, ist eine seltene Ausnahme. Und immer ein untrüglisches Zeichen, dass irgendetwas ganz gehörig in Unordnung geraten ist. So wie vor 30 Jahren. Damals gab es zwar nicht wie heute einen Lockdown durch alle Bereiche des Lebens. Zum ausgelassenen Feiern war allerdings keinem zumute angesichts der Bilder, die vom Ersten Irakkrieg ununterbrochen die Welt in Atem hielten.
Nächste Session wird es wieder richtig krachen
Seither mag zwar der ein oder andere Sturm die Absage von Umzügen erzwungen haben, dem gesamten Narrentreiben hat das aber keinen Abbruch getan. Da hat den Narrenzünften in den letzten Jahren schon erheblich mehr zu schaffen gemacht, dass die immer strengeren (Sicherheits-) Auflagen die Organisatoren an den Rand des Machbaren gebracht haben.
Vor genau einem Jahr war die Situation zu dieser Zeit bereits kritisch. Ende Januar war in Deutschland der erste offizielle Fall einer Corona-Infektion gemeldet worden. Später entwickelte sich der Kreis Heinsberg zum sogenannten deutschen Wuhan. Als Grund für die starke Ausbreitung des Virus gilt eine Karnevalsparty in der Gemeinde Gangelt.
Als nach den Infektions-Höhepunkten im März/April über die Sommermonate im letzten Jahr deutliche Entspannung zu verzeichnen war, keimte auch bei den Karnevalisten wieder Hoffnung auf die nächste Session. Aber schon mit den erneut steigenden Zahlen ab Mitte August geriet der 11.11., 11.11 Uhr, der traditionelle Startschuss für de Fünfte Jahreszeit, in einen kritischen Blick. Vorsorglich erklärte der Präsident des Bunds Deutscher Karneval, Klaus-Ludwig Fess: „Einer Pauschalabsage der Session können wir nicht zustimmen." Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hielt dagegen und wird aus einer Sitzung des Bundesgesundheitsausschuss im August mit den Worten zitiert: „Ich kann mir Karneval in diesem Winter, mitten in der Pandemie, schlicht nicht vorstellen". Das sei „bitter, aber es ist so".
In den Hochburgen der Republik am Rhein, in Mainz, im Saarland, in Aachen und bei den alemannischen Narren hatte da schon mehrgleisiges Denken eingesetzt. Alles kleiner unter strengen Hygienekonzepten, digitale und Hybridkonzepte, neue Formate und kleine, fantasievolle, pandemiegerechte Aktionen vor Ort. Pläne entstanden viele.
Statt sich um komplexe Organisationen von großen Umzügen zu kümmern, galt es vielerorts, Infrastrukturen für digitale Produktionen aufzubauen, Wettbewerbe und Vortragskonzepte von der Straße in die digitale Welt zu übertragen.
Aber Fastnacht (Mainz), Karneval (Rhein), Faasend (Saarland) ohne Singen, Schunkeln, Küsschen geben, ohne vielstimmiges Helau, Alaaf … ? In der digitalen Welt mag vieles gehen, die reale Welt kann sie nicht ersetzen.
Gleichzeitig lassen sich womöglich ganz neue Gruppen per streaming erreichen, die nie auf die Idee kämen, sich verkleidet ins enge Getümmel zu stürzen. Dass das kein reines Wunschdenken ist, belegt eine Umfrage im Auftrag der Mainzer Fastnachter. Die kommenden Tage werden zeigen, was wie angenommen wird.
Natürlich lässt sich der Frust über die Absagen nicht ganz verbergen, was aber deutlich überwiegt, ist ein kreativer Trotz, Experimentieren mit neuen Formaten und vor allem der Blick nach vorne: In der nächsten Session wird es wieder richtig krachen. Helau und Alaaf.