Nach acht Siegen in Serie wurde der Erfolgslauf der Füchse Berlin mit der WM-Pause unterbrochen. Kann das Team den Rhythmus wieder aufnehmen und bald auch einen „Großen" schlagen?
Anfangs war Hans Lindberg traurig, dass er für die Weltmeisterschaft nicht ins dänische Handball-Nationalteam nominiert wurde. Doch nach dem nächtlichen Einbruch in sein Haus war der Profi der Füchse Berlin froh, zu diesem Zeitpunkt zu Hause und nicht in Ägypten gewesen zu sein. Von einem Geräusch aufgeschreckt, ging Lindberg ins Erdgeschoss, „da stand in unserem Flur ein Mann, ganz schwarz gekleidet mit Kapuze über dem Kopf", berichtete der 39-Jährige. „Als er mich gesehen hat, ist er geflüchtet." Vollgepumpt mit Adrenalin verfolgte Lindberg auf Socken den Einbrecher, was ihm im Nachhinein immer noch ein mulmiges Gefühl bereitet. „Erst später ist mir bewusst geworden, was alles hätte passieren können, wie gefährlich das war." Vor allem seiner Frau Jeanette hatte er damit einen großen Schreck eingejagt. „Sie dachte, sie findet mich irgendwo erstochen liegen", berichtete Lindberg, der den Täter so lange verfolgte, bis die Polizei eintraf und den Mann festnahm. Er sei „heilfroh" gewesen, dass er diesmal nicht bei der WM gewesen war.
Während WM sechs Wochen regeneriert
Ein zweiter positiver Effekt: Lindberg konnte im fortgeschrittenen Alter endlich mal knapp sechs Wochen am Stück regenerieren und Kraft tanken. Die lange Pause nutzten auch die anderen Berliner ohne WM-Spiele zum Verschnaufen. Denn mit dem Wiedereinstieg in den Ligabetrieb beim Heimspiel am 7. Februar gegen Aufsteiger Tusem Essen beginnt für die Füchse ein hammerhartes Programm. Schon zwei Tage später steht das internationale Duell in der European League bei IFK Kristianstad an, insgesamt müssen die Berliner aufgrund coronabedingter Ausfälle noch fünf Nachholspiele bestreiten. „Das wird nicht ganz einfach. Zumal man jetzt noch davon ausgeht, dass nichts weiter dazukommt", sagte Sportvorstand Stefan Kretzschmar. Seinen Worten ist zu entnehmen, dass er an weitere Ausfälle wegen positiver Corona-Tests und Quarantänen glaubt. Der Terminkalender ist aber schon jetzt auf Kante genäht.
Sportlich wissen die Berliner noch nicht so recht, wo sie in dieser Saison stehen. Die Bilanz von zehn Siegen aus den ersten 13 Ligaspielen ist zwar ordentlich, doch aufgrund zweier Quarantäne-Maßnahmen konnte sich das Team von Trainer Jaron Siewert bislang noch nicht gegen eines der drei Top-Clubs THW Kiel, SG Flensburg-Handewitt und Rhein-Neckar Löwen messen. Ende Februar kommt es dann zum Doppelschlag gegen die Löwen und Kiel. Er hätte gern schon vorher gegen die Titelfavoriten gespielt, „um auch wirklich einordnen zu können, wo wir stehen", sagte Kretzschmar. Der frühere Weltklasse-Linksaußen glaubt, „dass wir auch schon bereit sind, uns mit Spitzenmannschaften zu messen."
Das war auch der Auftrag an Siewert, schließlich will der Hauptstadtclub über kurz oder lang selbst um den Titel mitspielen. Der mit 26 Jahren jüngste Bundesligatrainer hat seine Feuertaufe in den ersten Spielen bestanden, die Profis setzen schon viel von seinen Forderungen nach einem schnelleren und aktiveren Handball um. Auch Akzeptanzprobleme aufgrund seines jungen Alters sind überhaupt nicht auszumachen. „Wie er das bewältigt", sagte Kretzschmar, „da ziehe ich absolut meinen Hut. Ich bin von seiner Art und seiner Arbeit echt begeistert." Dank Siewert sei man auf einem guten Weg, „als Einheit zusammenzuwachsen und eine Füchse-DNA zu entwickeln".
Und wie sieht diese DNA aus? Siewert will Vollgas-Handball sehen. Schnell, aggressiv, selbstbewusst – und das zu jeder Sekunde. „Ich will im Training schon den Wettkampfmodus sehen, nur so können wir das auch im Spiel abrufen", begründete er. Das war für viele Spieler eine ziemliche Umstellung zu Siewert-Vorgänger Velimir Petkovic. Auch deshalb war der Start mit den Niederlagen gegen Minden und Magdeburg holprig. Diese Spiele würden ihn „noch immer ärgern", erklärte Siewert, „aber wichtiger ist, dass wir uns spielerisch entwickelt haben." Von der Einstellung her sei man sogar „immer besser als unsere Gegner" gewesen. Das spricht für die emotionale und soziale Kompetenz des Trainers.
Im ersten Spiel nach der WM-Pause kommt es zum Duell gegen seinen Ex-Club Essen, dem er in der vergangenen Saison zur Rückkehr in die Bundesliga verholfen hatte. Vom Engagement her sehe er keine Unterschiede, „aber natürlich haben die Füchse-Spieler eine höhere individuelle Qualität, was auf dem Parkett für schnellere Entscheidungen sorgt". Und das ist wichtig für den Handball, den er spielen lassen will. Doch nicht nur deshalb hat er seinen Wechsel zu den Füchsen, wo ein deutlich größerer Erfolgsdruck auf ihm lastet, „noch keine Sekunde" bereut. Für ihn ist es „eine Ehre und ein Privileg", Trainer der Füchse Berlin zu sein. „Ich gehe jeden Tag mit einem Lachen zum Training", berichtete Siewert. „Ich bin sehr glücklich, mit dieser Mannschaft arbeiten zu dürfen."
„Wir werden noch besser sein"
Doch Zufriedenheit ist für den ehrgeizigen Perfektionisten ein Fremdwort. Auch in der starken Phase vor der WM-Pause mit acht Siegen in Folge fand er Ansatzpunkte für das Training in den spielfreien Wochen: Das Team müsse unnötige Ballverluste einstellen, die „erste Welle" aus der Abwehr heraus besser ausspielen, mehr Tempo zeigen, die Außenspieler besser einbinden und weiter an der körperlichen Fitness arbeiten. „Jetzt liegen satte fünf Monate vor uns, und wir werden dann dreimal pro Woche spielen", sagte Siewert. Um in der zweiten Saisonhälfte wie geplant ganz vorne anzuklopfen, „müssen wir jetzt noch einmal an der Athletik, Kraft und Grundlagenausdauer arbeiten".
Ein deutlich stärker auf Regeneration ausgerichtetes Programm wird Siewert für die fünf WM-Fahrer Paul Drux, Marian Michalczik (beide Deutschland), Lasse Andersson, Jacob Holm (beide Dänemark) und Valter Chrintz (Schweden) erstellen. An Motivation mangelt es dem Quintett nicht. „Wir hatten einen sehr guten Monat im Dezember. Da war es schade, dass dann die WM dazwischen kam", sagte Rückraumspieler Drux, der den aktuellen vierten Tabellenplatz unbedingt verteidigen will und sogar etwas nach oben schielt: „Vielleicht klettern wir auch noch einen Rang nach oben." Auch Torhüter Dejan Milosavljev ist optimistisch: „Wir werden im neuen Jahr noch besser sein."
Siewert will seine Spieler in ihrem Ehrgeiz nicht bremsen, doch er weiß auch um die Gefahren, die in so einer langen Pause liegen. „Man wird sehen, wie schnell wir nach der WM hoffentlich wieder in unseren Rhythmus hineinfinden", sagte er. Es muss den Spielern ja nicht unbedingt immer ein Einbrecher Beine machen.