Der bisherige Saisonverlauf mit meist durchwachsenen Leistungen dürfte den Medaillen-Erwartungen der deutschen Skijäger einen gehörigen Dämpfer verpasst haben. Dennoch scheinen positive Überraschungen möglich.
Nach dem enttäuschenden Abschneiden der deutschen Skijäger am ersten Wochenende beim als Doppel-Weltcup-Veranstaltung angelegten Heim-Biathlon in Oberhof, als am 8. und 9. Januar in sechs Rennen kein einziger bundesrepublikanischer Sportler einen Platz auf dem Treppchen erobern konnte, war in den Medien teils heftige Kritik an den heimischen Athleten laut geworden. Wie die Zeiten sich doch gleichen, denn ein ähnlicher Abgesang auf das (vermeintliche?) Ende der deutschen Biathlon-Herrlichkeit war auch schon ein Jahr zuvor Anfang 2020 angestimmt worden, als Peiffer, Herrmann & Co. in der jahrzehntelangen deutschen Wintersport-Paradedisziplin ebenso heftig geschwächelt hatten.
Vor der damaligen WM in Antholz hatten es die deutschen Skijäger im gesamten Saisonverlauf in den Einzeldisziplinen nur sechsmal aufs Podium geschafft, Männer und Frauen zusammengenommen. Dennoch hatte Bundestrainer Mark Kirchner überraschenderweise fünf bis sechs Medaillen als WM-Zielvorgabe genannt. Und die Wettbewerbe in Südtirol sollten ihm mit viermal Silber und einmal Bronze Recht geben. Wobei vor allem Vanessa Hinz mit dem zweiten Platz im Einzel eine große Überraschung gelungen war. Und auch Denise Herrmann hatte einen bis dahin ziemlich dürftigen Saisonverlauf mit der Silbermedaille in der Verfolgung positiv korrigieren können. Die eigentlich höher gehandelten Herren mussten sich mit Staffel-Bronze begnügen. Das restliche Edelmetall wurde in der Damen- und Single-Mixed-Staffel (beide Silber) errungen.
Damen-Staffel gibt nach den Weltcups Anlass zur Hoffnung
Am zweiten Oberhof-Wochenende Mitte Januar konnten die deutschen Biathleten das ramponierte Image durch den Damen-Staffelsieg, den zweiten Massenstart-Platz von Franziska Preuß und Arnd Peiffers dritten Sprint-Platz deutlich aufpolieren und sportliche Wiedergutmachung betreiben. Während die Herrenstaffel wegen des Blackouts von Wackelkandidat Philipp Horn mit zwei Strafrunden im Liegendanschlag den möglichen Sieg verschenkt hatte und sich mit einem enttäuschenden fünften Platz zufriedengeben musste.
Die letzte Möglichkeit zum Formcheck der deutschen Biathleten vor dem WM-Start bot dann der Weltcup von Antholz vom 21. bis 24. Januar. Die nur knapp den Russen unterlegene Damenstaffel bestätigte mit dem zweiten Platz ihren Anspruch auf WM-Edelmetall. Die Herren-Staffel vergab den sicher geglaubten Podiumsplatz durch einen auf Skiern in der Schlussrunde schwächelnden Benedikt Doll. Arnd Peiffer und Franziska Preuß schrammten im Massenstart knapp am Podest vorbei. Die Leistungen im Einzel waren wegen mehr als bescheidenen Schießvorstellungen bei Damen und Herren (Platz 11 für Peiffer als bestplatzierter Deutscher, Doll und Erik Lesser jenseits der Top 25) ziemlich enttäuschend, nur Newcomerin Janina Hettich sorgte als Fünftplatzierte für ein positives Ausrufezeichen.
Das lässt für die WM auf der anspruchsvollen Strecke auf der slowenischen Hochebene Pokljuka in den Julischen Alpen auf etwa 1300 Metern Höhe viele Fragen offen. Los geht’s am 10. Februar mit der Mixed-Staffel, den Abschluss werden die beiden Massenstarts der Damen und Herren am 21. Februar machen. Zusätzlich wird in den Wettbewerben Sprint, Verfolgung, Einzel, Staffel und Single-Mixed-Staffel um Medaillen gekämpft werden. Es dürfte wohl noch nie schwieriger gewesen sein, die deutschen Chancen auf Edelmetall einigermaßen verlässlich voraussagen zu können. Das größte Problem sind diese Saison fraglos die wenig stabilen Schießleistungen, was Herren und Damen gleichermaßen betrifft. Dazu kommt, dass es fast im ganzen Team auch im Läuferischen erhebliche Rückstände zur Spitze gibt. Aus eigener Kraft kann kaum einem deutschen Biathleten der Sieg oder der Sprung aufs Treppchen zugetraut werden. Ohne Fehler der Konkurrenz am Schießstand dürfte es mit dem Gewinn von Edelmetall in den Einzelwettbewerben ziemlich schwer werden. Bei den Herren sind die Norweger mit dem Dominator Johannes Thingnes Bö und seinen die weiteren drei Top-Plätze im aktuellen Weltcup-Ranking belegenden Landsleuten Sturla Holm Lagreid, Trajei Bö und Johannes Dale dem Rest des Feldes ziemlich weit enteilt. Auch die Franzosen mit Quentin Fillon Maillet und Emilien Jacquelin als Pfeilspitzen haben im direkten Vergleich mit Peiffer & Co bislang saisonal klar die Nase vorn. Den plötzlich wiedererstarkten russischen Einzelkämpfer Alexander Loginow nicht zu vergessen.
Norweger sind weggezogen, andere stärker geworden
Erik Lesser hatte es in Oberhof zutreffend auf den Punkt gebracht: „Wenn man mannschaftlich einen Vergleich zieht, sind die Norweger weggezogen, die Franzosen haben uns überholt, und die Schweden haben uns eingeholt." Auch Kollege Peiffer musste in Oberhof neidlos die norwegische Überlegenheit anerkennen: „Sie sind im Schnitt besser als wir. Sie sind jedes Wochenende auf dem Podium, meistens zu zweit oder zu dritt. Da müssen wir uns schon fragen, was die besser machen. Aber wir können sie punktuell schlagen." Was Peiffer bei seinem Verfolger-Sieg vor Weihnachten 2020 in Hochfilzen auch gelungen war. Allerdings scheint Peiffer im Herrenbereich derzeit der einzige deutsche Biathlet zu sein, dem bei der WM solch ein Coup gelingen könnte. Weil seine Vorstellungen in der Loipe im Vergleich zu Benedikt Doll (für die WM mit Platz 4 im Massenstart von Hochfilzen qualifiziert) oder Erik Lesser (im Antholzer Massenstart nur die völlig indiskutable 26. Laufzeit; beste Saisonleistung Platz 3 im Einzel in Konitolahti) deutlich besser waren und man Peiffer aufgrund seiner reichen Erfahrung auch zutrauen kann, im entscheidenden Moment am Schießstand eine fehlerlose Null zu erzielen.
Bei den deutschen Damen hatten vor Saisonbeginn alle Hoffnungen auf Denise Herrmann geruht, die selbst einen Angriff auf den Gewinn des Gesamt-Weltcups angekündigt hatte. Bundestrainer Mark Kirchner hatte im Vorjahr die ehemalige Top-Sprint-Skilangläuferin, die erst 2016 zum Biathlon gewechselt war, zur „absoluten Leistungsträgerin" geadelt. Schließlich hatte Herrmann bei den Biathlon-WMs in Östersund 2019 und Antholz 2020 fünf Medaillen errungen, darunter Gold (Östersund) und Silber in der Verfolgung. Doch diese Saison läuft es bei Herrmann überhaupt nicht rund, nicht zuletzt deshalb, weil sie ihre offenbar nicht ablegbare Schwäche am Schießstand nicht mehr durch Vorteile in der Loipe kompensieren konnte. Früher übliche Laufbestzeiten blieben in den ersten Weltcup-Stationen aus. Aber seit Oberhof geht es auf Skiern wieder deutlich aufwärts, und sie kann sich auf der Piste wieder ernsthaft mit der schnellen Norwegerin Tiril Eckhoff messen. Am Schießstand ist Herrmann auch diese Saison eine wahre Wundertüte. Wenn es mit dem Gewehr ausnahmsweise mal gut läuft wie zu Saisonbeginn Ende November 2020 im finnischen Kontiolahti, wo sie im Einzel den zweiten Platz belegen konnte, dann braucht Herrmann keine Konkurrenz zu fürchten. Aber nach Kontiolahti konnte Herrmann nicht mehr aufs Treppchen springen.
Viele Hoffnungen ruhen auf Franziska Preuß
Ihre Kollegin Franziska Preuß war in dieser Saison hingegen etwas häufiger auf dem Podium zu finden, nämlich in Hochfilzen als Dritte im Sprint und in Oberhof als Zweite im Massenstart. Da ihre Laufform stimmt, und sie beim Schießen nur gelegentliche Ausreißer nach unten zu beklagen hatte, dürfte sie in den Einzelwettkämpfen größere Medaillenchancen als Herrmann haben. Vanessa Hinz wird nach dem bisherigen Saisonverlauf ohne jeglichen Podestplatz (und nur halber WM-Norm-Erfüllung) kaum ein Sprung aufs Treppchen in den Einzelwettbewerben zugetraut werden können. Nur als Mitglied der Frauen-Staffel oder womöglich als Part der Mixed- oder Single-Mixed-Staffel dürfte sie sich berechtigte Hoffnungen auf Edelmetall machen können. Wie bei den Herren ist auch bei den Damen Norwegen mit der Weltcup-Führenden Marte Olsbu Röiseland und der Zweitplatzierten Tyril Eckhoff derzeit das Maß aller Dinge, allerdings sind den Norwegerinnen die Schwedinnen mit Hanna und Elvira Öberg und das kompakte französische Team dicht auf den Fersen. Starke Einzelkämpferinnen wie die Italienerin Dorothea Wierer oder die Österreicherin Lisa Theresa Hauser nicht zu vergessen.
Generell dürften die deutschen Medaillen-Chancen in den Staffel-Wettbewerben mit am größten sein. Zumal bei den Herren mit Roman Rees inzwischen ein zuverlässiger vierter Mann gefunden werden konnte. Die immer offensichtlicheren Schwächen im deutschen Biathlon-Team mit dem Gewehr versucht man übrigens seit Beginn der aktuellen Saison erstmals mit einem speziellen Schieß-Trainer namens Engelbert Sklorz zu beheben, nachdem man jahrelang darauf verzichtet hatte, obwohl Norwegen und Frankreich damit klare Verbesserungen erzielen konnten.
Auch im Nachwuchsbereich sollte man sich künftig an der norwegischen oder französischen Talentförderung orientieren. Denn nach Peiffer, Doll und Lesser, alle schon jenseits der 30, klafft eine riesige Lücke, die sich auch bei den Damen in ähnlicher Form auftut. Ein neuer deutscher Biathlon-Stern à la Neuner oder Dahlmeier scheint auf Jahre hin nicht in Sicht zu sein.