Als altgedienter Lead-Gitarrist und rechte Hand von Frontmann Dave Grohl, ist Chris Shiflett mittlerweile selbst in den Rock-Olymp aufgestiegen. Der 49-jährige Kalifornier lebt bei den Foo Fighters seine Vorliebe für Punk und Hardrock aus, auf seinen Soloalben mit melodischer Country-Musik. Im Interview spricht er über „Medicine at Midnight", Geisterhäuser und die US-Politik.
Mister Shiflett, „Medicine at Midnight" ist der zehnte Longplayer der Foo Fighters, die auf mittlerweile zwölf Grammys zurückblicken. Wie erarbeitet diese erfolgsverwöhnte Band sich neue Songs?
Manche Songs entwickeln wir gemeinsam, andere entstehen im stillen Kämmerlein. Dieses Mal haben wir den sonst üblichen Prozess ausgelassen und sind direkt zusammengekommen, um das Album gemeinsam aufzunehmen.
Viele Ideen sind bei Jamsessions entstanden. Eine Komposition verändert sich permanent, sobald man damit begonnen hat, sie professionell aufzunehmen.
Haben Sie das Album noch vor der Pandemie eingespielt?
Ja, im Januar 2020 waren wir mit der Platte im Prinzip durch.
In welcher Stimmung ist sie entstanden?
Ich möchte nicht behaupten, dass wir jeden Abend Party gemacht haben, aber die Atmosphäre bei den Sessions war schon sehr entspannt.
„Medicine at Midnight" wurde in Encino/Los Angeles in einem Haus aus den 1940er-Jahren aufgenommen. Warum ausgerechnet dort?
Dave Grohl hatte dieses Haus bereits letzten Sommer angemietet, um dort allein Demos aufzunehmen. Die hat er dann zu den Sessions mitgebracht. Er mochte einfach, wie dieses Gebäude klang. Es hat den großen Vorteil, dass es in der Nähe seines Wohnhauses liegt. Letzten Herbst haben wir dann unser ganzes Equipment dorthin gebracht.
Wie war die Atmosphäre in dem historischen Haus?
Ich fand es dort ein bisschen gruselig. Eine ziemlich alte Hütte auf einem Hügel. Die springt einem sofort ins Auge, wenn man dran vorbeifährt. Da das Haus ein bisschen abseits liegt, hat sich auch keiner der Nachbarn über unseren Lärm beschwert.
Sind Ihnen dort Geister begegnet?
Das könnte durchaus sein. Ich möchte nicht behaupten, dass ich an übersinnliche Phänomene glaube, aber wer ist nicht von Geistergeschichten fasziniert?
Woher kommt Kreativität?
Oh Mann, wer kann das sagen? Kreativität passiert einfach. Je mehr man spielt, desto mehr kreiert man.
Als Produzent fungierte Grammy-Preisträger Greg Kurstin, der unter anderem mit Adele und Paul McCartney gearbeitet hat. Wie hat er sich in Ihr Album eingebracht?
Greg hatte einen großen Anteil an der Platte. Dave ist ein guter Freund von ihm und hält viel von seiner Meinung. Greg hat die Fähigkeit, unsere Songs so klingen zu lassen, wie sie normalerweise nicht klingen. „Medicine at Midnight" ist bereits das zweite Album mit ihm, weshalb wir alle wussten, worauf wir uns einlassen. Wir haben fast schon ein intimes Verhältnis zueinander. Greg gehört definitiv zu unserer Gang.
Eine seiner speziellen Anforderungen an sich selbst und einen Künstler ist immer, einen eigenen Sound zu kreieren. Welche Anforderungen hat Greg Kurstin diesmal an die Band gestellt?
Mit Greg ist es immer sehr besonders, weil er alles andere als eine konfrontative Produzentenpersönlichkeit ist. Ihm geht es nicht darum, uns als Künstler auf Teufel komm raus herauszufordern, er ist wirklich kein harter Hund. Greg ist eigentlich ein ziemlich entspannter Produzent mit sanften Ansagen. Wenn ich als Gitarrist eine Idee äußere, macht er oft Vorschläge, wie ich etwas noch besser klingen lassen könnte. Er hilft mir dabei, Ideen zu ergänzen und weiter zu entwickeln. Er würde mir niemals vorschreiben, dass ich etwas so oder so zu spielen habe. Er sagt eher Sachen wie „Yeah, das ist cool".
Haben Sie im Studio viel über Sounds und Stil diskutiert?
Ein bisschen schon. Es ist ja ein Teil des Puzzles, den Sound zu finden, der zu einem bestimmten Song passt.
Welche Gitarren spielen Sie auf der Platte?
Eine Fender Masterbuild-Version meines Signature-Modells, sprich: eine Tele-Deluxe mit P90-Pick-ups. Zudem eine Les Paul 1957 Goldtop mit PAF-Pickups. Und eine traditionelle Telecaster im Stil der frühen 1950er-Jahre. Bei einigen Songs habe ich meine Stratocaster benutzt. Wenn wir im Studio arbeiten, bringt jeder seine eigenen Geräte mit und man spielt auch auf dem, was da gerade so herumliegt und gut klingt. Wir haben tonnenweise Verstärker und Pedale.
Auf dem Album sind etliche Songs, die man stilistisch von den Foo Fighters nicht erwartet hätte. Zuweilen fühlt man sich an David Bowie erinnert. Wollten Sie sich mit der Band neu erfinden?
Wir haben mit Dave im Vorfeld über Platten gesprochen, die uns persönlich gefallen. Es ist aber nicht so, dass wir beim Musikmachen analytisch vorgehen. Keiner von uns hat zum Beispiel geäußert, dass er auf dieser Platte unbedingt seine britischen Beat-Einflüsse umsetzen möchte. Aber hinsichtlich Ton und Dynamik klingt „Medicine at Midnight" definitiv anders als seine Vorgänger.
Wie bereiten Sie sich auf eine Studiosession in der Regel vor?
Natürlich hört man sich vor einer Session auch manchmal etwas von dem an, was man bereits gemacht hat. Wir erarbeiten uns immer einen Song nach dem anderen. Das dauert pro Stück etwa eine Woche. Du lebst dann in dem Song, der die ganze Zeit in deinem Kopf dudelt.
Macht Ihnen die Studioarbeit nach zehn Alben mit den Foo Fighters und etlichen Soloprojekten überhaupt noch Spaß?
Aber sicher! Das Schöne an dieser Arbeit ist, dass wir jedes Mal an einem anderen Ort Musik aufnehmen. Manchmal ist es ein Studio, manchmal ein ordinäres Wohnhaus. Die Produzenten, die Toningenieure, die Crew und die Geräte wechseln von Zeit zu Zeit.
Haben Sie das Album so aufgenommen wie immer?
Wir haben es so gemacht, wie wir es in letzter Zeit immer getan haben. Als ich vor 22 Jahren zu den Foo Fighters stieß, war es noch anders. Aber seit „Wasting Light" von 2011 hat sich an unserer Aufnahmemethode nichts verändert.
Früher haben Sie angeblich nach einem anstrengenden Studiotag regelmäßig zusammen gefeiert …
(lacht) Das war wirklich nie der Fall. Keine Ahnung, wo Sie das her haben. Vielleicht ist einer meiner Bandkollegen mal direkt nach dem Studio in eine Bar gegangen, ich aber bestimmt nicht. Wir haben ja inzwischen alle Familien und müssen uns um unsere Kinder kümmern. Wenn wir ein Album zu Hause in Los Angeles aufnehmen, kommen wir in der Regel am späten Vormittag ins Studio und bleiben dort bis 18 Uhr. Ich nutze gern das Tageslicht. Zum Abendessen möchte ich aber wieder bei meiner Familie sein.
Holt man so das Beste aus sich heraus?
Als ich jünger war und kein großes Budget hatte, habe ich noch rund um die Uhr gearbeitet. Das war toll. Aber ich glaube nicht, dass das nötig ist, um das Beste aus sich herauszuholen. Ich arbeite aber nach wie vor sehr gern. Disziplin ist das A und O in meinem Beruf. Dazu gehört, Ideen zu entwickeln, Songs zu schreiben und etwas zu Ende zu bringen. Get shit done!
„Waiting on a War" besitzt einen hohen Wiedererkennungswert. Geht es hier um US-Politik?
Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, Dave hat den Text geschrieben. Man müsste ihn fragen. Aber grundsätzlich übt alles einen Einfluss auf uns aus. Man kann die Welt um sich herum ja nicht einfach ausblenden.
Haben Sie in der Pandemie angefangen, neue Songs zu schreiben?
Na klar. Im ersten Lockdown saß ich allein in meinem Studio herum und habe geschrieben. Teilweise zusammen mit Freunden über Facetime. Da ist einiges zusammengekommen. Das ist aber nichts für die Foo Fighters, sondern Solo-Stoff.
Eigentlich wollten die Foo Fights ihr 25-jähriges Bestehen feiern, mit einer 18 Monate dauernden Welttour …
Die Tourabsage war ein Schock für uns alle. Es dauerte eine Weile, bis wir uns an die neue Realität gewöhnt hatten. Niemand hatte ja so etwas schon einmal erlebt. Mir war von Anfang an klar, dass Corona so schnell nicht zu besiegen ist.
Wo trifft sich die Band momentan?
Seit dem Sommer sind wir ein paarmal live aufgetreten, aber wegen der Pandemie waren zum Beispiel keine TV-Auftritte möglich. Deshalb haben wir uns regelmäßig getroffen, um Videoclips, Livestreams und Material für die verschiedenen Fernsehsender aufzunehmen. Unter dem Titel „Times Like Those" haben wir auch ein Jubiläums-Special produziert.
Glauben Sie, dass Sie im Sommer in den USA wieder Open-Air-Shows werden spielen können?
Ich hoffe es. Das ist zumindest das, was man uns gesagt hat. Ich drücke uns dafür die Daumen. Es werden natürlich nur Konzerte sein, bei denen die Abstandsregeln einzuhalten sind. Das ist ziemlich bizarr, aber wir haben jetzt ein paar Livestreams gespielt, bei denen nur das Filmteam und unsere Roadcrew zugegen waren. Allein das hat unheimlich viel Spaß gemacht. Insofern freue ich mich auf Konzerte mit Masken und sozialer Distanz.
Haben Sie trotz allem schöne Momente in der Pandemie erlebt?
Aber sicher. Diese Zeiten sind hart und ich möchte auf keinen Fall herunterspielen, wie sehr Menschen unter der Covid-19-Pandemie leiden. Viele Infizierte sterben sogar. Aber eine kleine Zwangspause zusammen mit meiner Familie zu haben, empfinde ich persönlich als sehr schön.
Ist das die erste richtige Pause in Ihrer Karriere, die vor 22 Jahren mächtig in Schwung kam?
Ja, das ist sie. Ich frage mich oft, wann wir wieder normal leben werden können. Kürzlich schaute ich mir ein Video von einem unserer Gigs in Australien an. Es sieht völlig verrückt aus, wie die Leute da tanzen und durcheinanderpurzeln. Aber es ist auch sehr inspirierend. Unsere Shows sind immer wie eine große Party gewesen. Wann das wieder so sein wird, steht in den Sternen. Aber es wird eines Tages wieder möglich sein.
Sie sind 1999 als Lead-Gitarrist zu den Foo Fighters gestoßen. Ihr erstes Album mit der Band war der Millionenseller „One by One". Wie war Ihr erster Gig mit der Gruppe?
Das war im legendären Troubadour in Los Angeles. Nachdem ich in die Band eingestiegen war und mit ihr ein paar Proben absolviert hatte, filmten wir das „Learn to Fly"-Video. Am Tag nach dem Shooting brachen wir zu einer Promotour auf und spielten einen Geheim-Gig im Troubadour. Der Laden war nur halb voll, weil wir ja nicht angekündigt waren. Auf der Bühne dachte ich: „Hätten wir bloß weniger geheimnisvoll getan!"
Und welches war die beste Show, die Sie jemals mit den Foo Fighters gespielt haben?
Oh Mann, das ist wirklich schwer zu beantworten. Ich kann mich gar nicht auf einen einzigen Gig beschränken, denn es waren so viele gute dabei. Meine erste Tour mit der Band war sehr besonders, weil wir Headliner auf vielen großen Festivals waren. Eine prima Erfahrung, weil ich noch nie in so kurzer Zeit an so vielen tollen Orten gespielt hatte. Das alles passierte in einer Phase, in der ich die Songs buchstäblich noch lernen musste. Es war wirklich eine wilde und lockere Zeit.
Ging das alles reibungslos vonstatten?
Was es für mich als Neuzugang schwierig machte, war der Umstand, dass wir damals jeden Abend ein anderes Programm darboten. Manche Shows waren total panne, andere das Beste, was ich bis dahin erlebt hatte, weil wir die obskursten Stücke spielten. Das ändert sich natürlich mit der Zeit, wenn man so lange existiert wie die Foo Fighters. Wir blicken mittlerweile auf viele Hit-Singles zurück, und man will ja niemanden im Publikum enttäuschen. Unsere Shows wurden auch immer länger.
Sie sind mit Punkrock aufgewachsen. Was bedeutet er Ihnen heute?
Ich bin mit Hardrock, Heavy Metal und Punk groß geworden. Punkrock als Musikstil bedeutet mir persönlich sehr viel. Für Punk gibt es keine allgemeingültige Definition, dafür ist er einfach zu vielgestaltig. Jeder, den man fragt, hat eine andere Vorstellung davon. Für mich persönlich ist das nicht nur eine Musikrichtung, sondern auch eine Ideologie. Und die hat etwas mit ganz vielen verschiedenen Künstlern zu tun. Vom Punk habe ich zum Beispiel meine politische Bildung bekommen.
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben eine neue Regierung. Wird das Land jetzt zur Ruhe kommen und alles besser werden?
Absolut nicht! Wer das jetzt erwartet, versteht die Politik in den USA komplett falsch. Mag sein, dass ich mit meiner Antwort anecke, aber Trump war auf vielen Ebenen ein sehr schlechter Präsident. Die Leute waren von ihm geschockt. Für mich ist aber weder Trump noch der Trumpismus das wahre Problem, sondern die Ursachen des Ganzen liegen darunter. Die Kurzfassung: Das Problem sind die letzten 50 Jahre republikanischer und demokratischer Politik.
Sie trauen keiner der beiden Parteien zu, die Zukunft der USA positiv zu gestalten?
Dass der Establishment-Flügel der demokratischen Partei jetzt wieder die Regierungsverantwortung übernimmt, wird das Problem nicht dauerhaft lösen. Ich habe nicht viel Hoffnung, was die gegenwärtige Politik angeht. Die USA bräuchten dringend eine dritte große Partei. Aber unser politisches System ist nicht entworfen worden, um das in Betracht zu ziehen. Das wird in absehbarer Zeit sicher nicht passieren. Ich glaube aber, dass die demokratische Partei eine bessere Administration hinkriegen wird als die republikanische unter Trump.
Sie blicken also eher pessimistisch in die Zukunft?
Ich bin optimistisch, was die Pandemie angeht. Wir werden sie überwinden. Und Live Nation und andere große Konzertagenturen haben angekündigt, dass sie die Vergütung für Künstler neu bestimmen wollen. Wie sich das auswirken wird, wenn wir irgendwann wieder normal leben, werden wir sehen.