Mit Becky Hammon hat erstmals in der Geschichte der großen US-Profiligen eine Frau die Verantwortung als Trainerin übernommen. Sie soll erst der Anfang einer Frauen-Offensive in der NBA sein.
Superstar LeBron James erzielte an seinem 36. Geburtstag zum 1000. Mal in Folge in der NBA eine zweistellige Punkteausbeute – doch dieser Meilenstein interessierte die Medien kaum. Der starke Dennis Schröder führte die Los Angeles Lakers neben James zum Sieg gegen die San Antonio Spurs – doch auch das ging in der öffentlichen Wahrnehmung komplett unter. Nach dem Duell Ende Dezember sprachen alle nur von einer Person: Rebecca Lynn „Becky" Hammon. Selbst die neue US-Vizepräsidentin Kamala Harris tat dies, sie beglückwünschte Hammon auf Twitter und schrieb: „Du bist vielleicht die Erste, wirst aber bestimmt nicht die Letzte sein." Hammon schrieb Geschichte, weil die 43-Jährige als erste Frau überhaupt in den großen nordamerikanischen Profiligen eine Mannschaft gecoacht hatte. Für Insider kam es nicht mehr ganz so überraschend zu dem Debüt, doch vorgesehen war es so schnell nicht.
Weil aber Spurs-Trainer Gregg Popovich seine Emotionen nicht im Griff hatte und mit zwei technischen Fouls des Feldes verwiesen wurde, schlug im zweiten Viertel Hammons Stunde. Beim Gang in die Katakomben wies Popovich mit dem Finger auf seine Assistentin. „Er hat gesagt: ‚Du machst das.‘ Und das war es. So ist Pop", berichtete Hammon. Doch eigentlich wollten danach alle nur wissen: Wie ist Becky?
Seit 2007 ist Hammon in San Antonio. Ihre Spielerkarriere in der WNBA für die Silver Stars musste sie 2014 wegen eines Kreuzbandrisses beenden. Popovic wollte sie danach unbedingt in seinem Trainerteam haben: „Als ich sie spielen sah, erkannte ich ihre Führungsqualitäten. Sie war selbstbewusst, und ihre Mitspielerinnen orientierten sich an ihr." Hammon stieg als Praktikantin ein und erarbeitete sich mit jedem Tag mehr und mehr Vertrauen bei Popovich. Und so wurde Hammon als erste Frau in der NBA mit einem Vollzeit-Vertrag im Trainerstab ausgestattet.
„Ihre Mitspielerinnen orientierten sich an ihr"
Schon damals begeisterte Hammon die Verantwortlichen mit ihrem strategischen Denken, der natürlichen Autorität und dem umfangreichen Fachwissen. Als sie die Spurs 2015 zum Sieg in der NBA Summer League führte, wuchs der Respekt innerhalb des Teams, aber auch innerhalb der Branche nochmals gehörig. Bei den Milwaukee Bucks und den Indiana Pacers war sie schon als Cheftrainerin im Gespräch. Die Spurs aber bleiben Hammons erste Option. „Der Verein hat viel Zeit investiert und mir geholfen, besser zu werden", sagte die Olympiadritte von 2008.
Es gilt nicht als ausgeschlossen, dass Hammon in anderthalb Jahren die Spurs als Cheftrainerin übernimmt. Popovic, inzwischen 73 Jahre alt, will dann als Trainer aufhören und sich komplett seiner Aufgabe als Club-Präsident widmen. Und Popovic gilt als großer Förderer von Hammon. „Sie hat alle Voraussetzungen, um mal ein richtig guter Coach in der NBA zu sein", sagte er. Deswegen war es für ihn auch gar kein besonderer Umstand, die einzige Frau in seinem Trainerstab auszuwählen, um das Spiel gegen L.A. nach seiner Herausstellung über die Bühne zu bringen. „Die Lakers waren das Team, das sie beobachtet hatte. Deswegen war es total sinnvoll, dass sie es gemacht hat", sagte Popovich. „So machen wir es seit Jahren hier, das ist nichts Neues."
Und doch war es einmalig in der Geschichte des US-Sports: Eine Frau hatte an der Seitenlinie das Sagen. „Wir waren gerade auf einer Auswärtstour, als ich davon erfuhr", berichtete Lindsay Gottlieb, Co-Trainerin bei den Cleveland Cavaliers. Sie habe auf ihrem Handy die Nachrichten dazu gelesen und Bilder angeschaut. Das Foto von Hammon inmitten der großen Profis bei einem Time-out habe sich bei ihr eingeprägt, so Gottlieb: „Ich kann nicht in Worte ausdrücken, wie mich das gepusht hat. Das zu sehen war sehr gewaltig."
Es sei schon „eine große Sache" und „ein bedeutender Moment" gewesen, gab auch Hammon zu. Doch sie wolle „nicht an die größeren Zusammenhänge" denken, „weil das überwältigend wirken kann".
„Jeder wird sehen, dass ich es kann"
Eine Studie des Forschungszentrums für Mädchen und Frauen im Sport an der Universität von Minnesota besagt, dass nur etwa zwei Prozent der US-Profiteams – egal ob männlich oder weiblich – eine Frau in ihrem Coaching-Team haben. „Viele großartige Frauen mit viel Talent und Wissen bekommen keine Chance wegen des system-immanenten Sexismus und der Homophobie", sagte die Forschungszentrums-Direktorin Nicole LaVoi. Dabei würden Frauen die Erfolgschancen erhöhen, so LaVoi. Bei sechs von acht Teams, die es in die Play-offs der Football-Liga NFL geschafft haben, seien Frauen im Trainerstab eingestellt. Der für Veränderungen sehr offene NBA-Boss Adam Silver hält eine Frauen-Offensive für zeitgemäß und richtig. Sein höchst ambitioniertes Ziel lautet, dass in Zukunft die Hälfte der Schiedsrichter und Trainer weiblich ist. „Es gibt keinen Grund", sagte Silver, „warum Frauen nicht in der Lage sein sollten, im Männerbasketball zu coachen."
Hammon möchte darüber am liebsten nicht nachdenken. Sie will einfach nur ihren Job machen. „Ich konzentriere mich darauf, den Jungs klarzumachen, was sie tun müssen, damit wir gewinnen." Bei einer Körpergröße von 1,68 Meter braucht sie inmitten der vielen Zwei-Meter-Männer eine besonders durchsetzungsstarke Persönlichkeit – und die besitzt Becky Hammon. „Sie ist sehr fordernd, und sie kann schon richtig Gas geben", verriet Spurs-Profi Jacob Pöltl. Der Österreicher sieht Hammon „nicht als Frau oder Mann", sondern „als meinen Coach". Und ihren Job mache Hammon „einfach besonders gut", so Pöltl. Der Center schätzt vor allem ihr „sehr gutes Spielverständnis und ihre taktischen Fähigkeiten, ihren hohen Basketball-IQ und ihre allgemeine Intelligenz". Warum sollten die Spurs also nicht bald Hammon auf den Chefposten setzen? Zwar gilt nach wie vor Club-Ikone Tim Duncan als ein möglicher Nachfolger von Popovich. Doch die Stimmen, die Hammon fordern, werden lauter. „Wir haben Becky nicht verpflichtet, um Geschichte zu schreiben. Sie hat sich das erarbeitet", sagte Popovich. Bei der Entscheidung über seine Nachfolge sollte das Geschlecht keine Rolle spielen. Ja, Hammon sei „zufälligerweise eine Frau. Aber das sollte irrelevant sein".
Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Ob sich die Spurs tatsächlich trauen, Becky Hammon bald auch dauerhaft als Cheftrainerin zu berufen, wird sich zeigen. Sie selbst ist bereit. „Ich bin seit 22 Jahren in diesem Geschäft unterwegs und bereite mich schon lange darauf vor, Chefcoach zu sein", sagte Hammon. „Wenn die Chance kommt, wird jeder sehen, dass ich es kann."