Trotz erfolgreicher Corona-Politik ist der populäre Ministerpräsident Giuseppe Conte in Italien vorerst am Ende. Nun soll der Ex-Chef der Europäischen Zentralbank eine Regierung bilden. Mario Draghi ist ein Technokrat. Seine Aufgabe: viel Geld verteilen.
Super-Mario soll es nun also richten. Als bekannt wurde, dass Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella den ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi (und nicht Matteo Renzi), mit der Regierungsbildung beauftragt hatte, freuten sich als erstes die Finanzmärkte: Die Kurse gingen hoch (und die Zinsen sanken).
Ob die Hoffnung auf den Mann, der mit einem berühmten Satz „den Euro gerettet hat", wie die wichtige italienische Zeitung „Corriere della Sera" schrieb, berechtigt ist? Mario Draghi soll ein unpolitisches Technokraten-Kabinett zusammenstellen und dafür dann eine Mehrheit im Parlament finden – ein Verfahren, das in Italien Tradition hat. Wenn sich Politiker der mehr oder weniger etablierten Parteien zu sehr in die Haare geraten sind, zieht der Präsident den Technokraten-Joker.
Monti sollte Italien im Auftrag der EU Sparen beibringen
Schon der nun zurückgetretene Giuseppe Conte ging aus einer solchen Verlegenheitslösung hervor: Ein parteiloser Jurist, der es schaffte, zwei populistische Parteien zu zähmen und dann noch einen Wechsel zu einer Koalition mit den Sozialdemokraten hinzukriegen, das ist keine geringe Leistung für einen Professor ohne Hausmacht. Die Italiener dankten es ihm mit immer steigenden Popularitätswerten, wozu auch sein Agieren in der Corona-Pandemie beigetragen haben mag, das die meisten Italiener als gut empfanden. Doch das half ihm nichts – bei seinem Sturz durch seinen Vorgänger Matteo Renzi mag ein gehöriges Maß an Rivalität und Eifersucht mitgespielt haben. Dem ehrgeizigen Renzi dürfte vor Augen gestanden haben, dass ihm die Felle davon schwimmen, wenn er jetzt nicht einen Coup landet, denn bei der nächsten Parlamentswahl werden von 630 nur 400 Abgeordnete wiedergewählt werden können. Das besagt eine im vergangenen Jahr beschlossene Wahlrechtsreform. Doch Renzi blieb erst einmal außen vor.
Das eigentliche Vorbild für Mario Draghi ist sein Namensvetter Mario Monti, der bereits 2011 bis 2013 eine Technokratenregierung anführte, die kaum verhohlen unter dem Druck von EU-Kommission und der deutschen Bundesregierung zustande kam. Sie sollte damals den von Angela Merkel (mit Gründen) verachteten Silvio Berlusconi aus dem Amt drängen und die Sparpolitik durchsetzen, die Banken und Gläubigerstaaten in der damaligen Euro-Krise erwarteten. Mario Monti, zuvor mächtiger EU-Kommissar, regierte 18 Monate und sollte seinen widerspenstigen Landsleuten das Sparen beibringen. Doch die Wähler strömten in Scharen zu Parteien, die dann vor allem aus Deutschland als „Populisten" bezeichnet wurden. Die EU und ihre Sparpolitik haben damals einen kaum reparablen Glaubwürdigkeitsschaden erlitten. Das Misstrauen gegen EU-Programme ist seither unverändert groß. Die beiden EU-kritischen Parteien Lega und die Fünf Sterne stellen zusammen rund 50 Prozent der Sitze im italienischen Parlament.
Der wahre Grund für das Ende der im Grunde erfolgreichen Regierung Conte ist aber weniger die Rivalität zwischen Renzi, dem einstigen Hoffnungsträger der italienischen Sozialdemokraten, und dem Corona-Manager Conte. Es geht – natürlich – um mehr: um Geld.
Als im vergangenen Sommer Europas Politiker ein gigantisches Hilfsprogramm für die besonders von Corona betroffenen EU-Staaten beschlossen hatten, war allen klar, dass Italien dabei an erster Stelle stehen müsste. Seither hat sich zwar viel getan, Corona traf praktisch alle Länder im Laufe der Zeit in recht ähnlicher Heftigkeit, aber das Hilfsprogramm stand nun mal. Italien bekommt aus dem Corona-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU" in den kommenden Jahren 209 Milliarden Euro.
Doch damit beginnen die Probleme erst. Ein Betrag in dieser Größenordnung ist Segen und Fluch zugleich. Wie lässt sich sicherstellen, dass das Geld in die richtigen Hände gerät – und was sind überhaupt die „richtigen Hände"?
Misstrauen in Gelder von der EU
Der scheidende Premier und Juraprofessor Giuseppe Conte glaubte, ein unpolitisches Expertengremium wäre am besten in der Lage, das viele Geld sinnvoll und gerecht zu verteilen. Das sollte sicherstellen, dass es nicht dorthin wandert, wo die politischen Beziehungen am besten sind. Aber können unpolitische Experten das wirklich besser entscheiden? Renzi und seine Mini-Partei Italia Viva forderte mehr Großprojekte, Infrastruktur und neue Jobs statt Lohnsubventionen – mehr staatliche Lenkung als Markt. Welche Prioritäten man setzt, ist aber eine politische Frage. Das durch Technokraten als vermeintlich objektive Fachleute entscheiden zu lassen, kann nicht funktionieren, das hat Renzi richtig erkannt. Doch die italienischen Politiker haben sich selbst ein so schlechtes Image verschafft, dass diese Lösung trotz allem als überzeugendste gilt. Darum kommt jetzt auch gleich ein Technokraten-Kabinett. Dabei war Draghi Renzis Wunschkandidat für den Posten des Premiers.
Der ganze Konflikt konnte aber nur deshalb eskalieren, weil in Italien seit langem ein grundlegendes Misstrauen gegenüber der Europäischen Union und ihren verschiedenen Hilfsprogrammen herrscht. Bei einer Umfrage im vergangenen Frühjahr meinte knapp die Hälfte der Befragten, Italien solle die EU verlassen. Das war in der Hochzeit der ersten Corona-Welle, als die EU-Partner (wie Deutschland) mit Exportbeschränkungen für Masken für Kopfschütteln gesorgt hatten, was Russland und China sofort zu PR-Coups nutzen konnten.
Den massivsten Widerstand gab es lange gegen den ESM, einen älteren EU-Rettungsfonds. Denn der gilt als das Herzstück der als deutsch-dominiert empfundenen EU-Sparpolitik. Dieser ESM-Fonds wurde in der Finanzkrise geschaffen und vergangenes Jahr umfunktioniert. Seine Mittel können nun für Investitionen in das Gesundheitswesen verwendet werden. Das Misstrauen gegenüber dem Geld aus der EU ist aber so groß, dass es eine breite Stimmung, angeführt von den Fünf Sternen, gibt, die das Geld grundsätzlich ablehnt – aus Misstrauen, dass dann Sparauflagen der EU auf dem Fuß folgen werden. Der ESM wird als eine Art Falle gesehen: Wenn man das Geld nimmt, gerate man in die Abhängigkeit der aufoktroyierten Bedingungen. Darum war es für den Taktiker Renzi ein leichtes Spiel, mit seiner Forderung, auch das ESM-Geld zu beantragen, die Koalition aufzubrechen. Zwar hatte Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio im vergangenen Jahr eine Kehrtwende vollzogen und seine EU-kritische Haltung stark abgeschwächt. Aber die Angst davor, durch die Annahme von Hilfsgeldern die Souveränität zu verlieren, ist da – und damit wird die EU für die oppositionelle migrationsfeindliche Lega und die „Brüder Italiens" von weiter rechts ein leichtes Angriffsziel. Tatsächlich gab es diese Forderungen nach Bedingungen für Italien immer, am lautesten aus Deutschland. So forderte Friedrich Merz (CDU) im vergangenen Sommer in einem Interview „ganz strikte Kontrolle. Wir finanzieren hier nicht die italienischen Renten. Wir finanzieren nicht die Altschulden des italienischen Haushaltes, sondern wir gehen gemeinsam in die Zeit der Digitalisierung."
Der Ökonom Friedrich Heinemann vom Mannheimer Forschungsinstitut ZEW kritisierte, dass die Gelder des „Next Generation"-Programms nicht mit Reformauflagen verknüpft worden seien. „Wenn nicht entschieden nachgesteuert wird, könnte das EU-Coronapaket politökonomisch sogar das Gegenteil von dem bewirken, was es beabsichtigt", warnte er in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. „Es mindert derzeit den Reformdruck in den großen Empfängerländern. Statt die unpopulären, aber notwendigen Reformaufgaben anzugehen, wächst jetzt sogar die öffentliche Verwaltung weiter, und das Strohfeuer der EU-Subventionen suggeriert, dass harte Einschnitte nicht nötig seien."
Nun ist es alles andere als sicher, dass die Fünf Sterne den „Retter des Euro" unterstützen werden. Steht Mario Draghi doch wie kein anderer für diejenigen EU-Politiker, die sie eigentlich ablehnen. Der Satz, mit dem Draghi den Euro nach allgemeiner Meinung 2011 gerettet hat, war: Er werde „whatever it takes", also alles, was erforderlich ist, tun, um den Euro zu bewahren. Das gelang ihm auch, indem er sehr viel davon gedruckt hat.