Gary Barlow wurde als Leadsänger und Songschreiber von Take That weltberühmt. Mit der Band verkaufte er bis heute rund 50 Millionen Alben. Nun hat der 50-Jährige das orchestrale Album „Music Played by Humans" aufgenommen. Darauf singt der Superstar Duette mit Michael Bublé, Barry Manilow, Chilly Gonzales und Beverley Knight.
Herr Barlow, „Music Made by Humans" ist laut Pressetext eine Ode an die computerfreien Bigband-Sounds Ihrer Kindheit. Haben Sie als Steppke wirklich so altmodische Sachen gehört?
Ich muss Sie korrigieren: Der Sound meiner Kindheit war geprägt von Depeche Mode, Human League, Duran Duran, Adam and The Ants und Kraftwerk. Das Ganze sollte ein Witz sein. Als Musiker jedoch liebe ich Orchesterklänge. Ich habe in der Vergangenheit bereits mit zwölf Streichern und sechs Bläsern gearbeitet, aber noch nie mit einem kompletten Orchester. An den Sessions zum Album waren bis zu 60 Musiker beteiligt. So viele Leute hatte ich noch nie auf einer Platte. Und auch noch nie so viele Duette. Und jetzt befinden wir uns inmitten einer Pandemie, wo es gilt, Kontakte tunlichst zu vermeiden. Es scheint Bestimmung gewesen zu sein, dass wir diese Platte vor Corona gemacht haben.
Auf der Platte finden sich Duette mit internationalen Musikern wie Michael Bublé, Sebastián Yatra, James Corden, Barry Manilow, Chilly Gonzales, Alesha Dixon, Beverley Knight, Ibrahim Maalouf und Avishai Cohen. Eine musikalische Weltreise?
Definitiv. Ich beschreibe diese Platte immer mit Vorsicht, denn bei Orchesteralbum denken viele Leute an langsame Piano- und Streichermusik. In Wahrheit ist diese Scheibe aber ein Ort, an dem Musiker zeigen können, wie brillant sie sind. Wie erstaunlich sie klingen, wenn sie im Team spielen. Es ist einfach ein Album voller Leben. Es aufzunehmen, war für mich eine große Freude.
Ziehen Sie Playlists dem Albumformat vor?
Ich mache Alben, weil ich sie auf einer Bühne vor Publikum präsentieren möchte. Ich kann es kaum erwarten, mit einem Orchester auf Tour zu gehen. Wann das möglich sein wird, weiß ich nicht. Ich habe zwar Termine im Juni 2021 gebucht, aber es gibt noch viele Unsicherheiten.
Sie kennen Barry Manilow schon etwas länger. Wie fühlt es sich an, mit dieser 77-jährigen Crooner-Legende zu singen?
Dazu kann ich Ihnen eine lustige Geschichte erzählen. Auf dieser Platte ist auch der Pianist Chilly Gonzales zu hören. Er ist ja in Deutschland sehr bekannt. Als wir unseren gemeinsamen Song aufnahmen, war ich gerade von einer Session mit Barry Manilow zurückgekehrt. Chilly wollte wissen, ob ich noch etwas hätte, auf dem er mitspielen könne. Da erzählte ich ihm von dem Song mit Barry Manilow, aber der sei ja ganz bestimmt nichts für ihn. Da fiel Chilly fast vom Stuhl: Er verehrt Barry Manilow! Als ich im Alter von elf Jahren meine ersten Konzerte spielte, gab ich immer sein „Copacabana" zum Besten. Heute darf ich Barry einen Freund nennen, wir gehen zusammen ins Studio oder verabreden uns zum Essen. Ihn auf meiner Platte zu haben ist ein Privileg.
In der berührenden Ballade „This Is My Time" singen Sie „If Love Can Kill You / I Happily Die". Können Sie tiefe Gefühle authentischer ausdrücken, wenn Sie über sie singen?
Für mich persönlich ist dies der beste Song, den ich für das Album geschrieben habe. Ich bin kein großer Redner, ich lasse meine Gefühle lieber über die Musik raus. Nach 30 Jahren im Business denke ich manchmal, alles gesagt und getan zu haben. Aber dann fällt mir ein Song wie „This Is My Time" ein, bei dem ich am Piano sitze und von einer Streichergruppe begleitet werde. Das Ganze haben wir ohne Klick vom Computer aufgenommen. Echte Menschen, die live zusammenspielen. Solche besonderen Momente unterscheiden diese Platte von all meinen anderen.
„The Kind of Friend I Need" ist ein ironischer Song über Freundschaft.
Dieser Song ist nicht leicht zu beschreiben. Wir Engländer haben einen speziellen Humor, und oben im Norden, wo ich herkomme, ist er sogar noch spezieller. Wenn wir Freunden sagen wollen, wie gern wie sie haben, dann beleidigen wir sie. Das ist etwas sehr Britisches. Diesen Song schrieb ich mit einem breiten Grinsen im Gesicht, weil ich ahnte, dass die Leute die Ironie mögen würden.
War es schwer, im Freundeskreis jemanden zu finden, der sich von Ihnen gern beleidigen ließ?
Der einzige, der da Lust drauf hatte, war James Corden. Er ist von Beruf Sänger und Komiker. Es ist sehr britisch, zu singen: „Ich mag dich so sehr, dass ich dir dies sagen kann".
Band und Freundschaft – schließt das eine das andere aus?
Ich kann Ihnen aus erster Hand sagen, dass das definitiv möglich ist. Die Band Take That ist auf Freundschaft aufgebaut. In unserer ersten Runde war das jedoch noch nicht der Fall. Am Anfang waren wir fünf junge Typen, die sich zusammentaten, um im Leben etwas zu erreichen. Aber ich kann Ihnen versichern: Die zweite Runde von Take That wurde aus einer Freundschaft heraus geboren.
Haben Sie in letzter Zeit auch neue Songs für Take That geschrieben?
Nein, bislang nicht. Für die Band zu schreiben, ist sehr speziell, weil wir alle Songwriter sind. Das ist eine der Sachen, bei der alle an einem Strang ziehen müssen. Ein Take-That-Album beginnt immer mit einer starken Idee. Man braucht also etwas Zündendes, an dem man sich aufhängen kann, wie ein Orchester, der Zirkus, ein Wunderland. Die Jungs und mich verbindet ein unsichtbares Band. Wenn es so weit ist, kommen wir wieder zusammen.
Seit Mitte März letzten Jahres veröffentlichen Sie unter dem Hashtag #thecroonersessions Aufnahmen, häufig mit Unterstützung prominenter Musiker wie Robbie Williams, Rick Astley, Cliff Richard oder Ronan Keating. Hat Sie das zu Ihrer Soloplatte inspiriert?
Zu dem Zeitpunkt war meine Orchesterplatte bereits fertig. Sie hat mich eher zu den Crooner-Sessions inspiriert. Diese waren auch eine Reaktion auf die Nachrichten, die ich in der Corona-Krise von meinen Fans über die sozialen Medien erhalten habe.
Ich wusste irgendwann sehr gut darüber Bescheid, wie sich mein Publikum fühlt, ich kannte seine Nervosität und Angst. Deshalb beschloss ich, die Leute mit etwas Unterhaltung abzulenken, und wenn es nur für drei Minuten ist.
Wie hatten Sie sich das vorgestellt?
Ich habe dann ein paar Freunde angerufen. Von da an wurde das Projekt immer größer. Bis heute habe ich 60 Crooner-Sessions aufgenommen. Keine einzige davon mit einem kommerziellen Hintergedanken, die Plattenfirmen und Manager mussten draußen bleiben. Wir alle hatten einfach Lust, zusammen Musik zu machen. Es hat solch einen Spaß gemacht!
In welcher Stimmung haben Sie „Let’s Get Drunk" geschrieben?
(lacht) In einer sehr fröhlichen, mein Lieber. Und zwar noch vor der Pandemie. „Let’s Get Drunk" habe ich im Dezember 2019 geschrieben. Alben entstehen in der Regel über einen längeren Zeitraum. Sie sind wie Tagebücher. Deshalb enthalten sie auch so viele unterschiedliche Emotionen.
Den Song mit Michael Bublé zum Beispiel habe ich im November 2019 aufgenommen. Und das lustige Stück mit James Corden entstand gerade mal vier Tage vor dem finalen Album-Mastering.
Auf dem Album sind neben dem 60-köpfigen Orchester auch eine echte Band und ein Dutzend Gastsänger zu hören. Denken Sie gern groß?
Immer! Speziell was Alben angeht. Die schüttelt man nicht mal eben aus dem Ärmel. Man braucht dafür sehr viel Geduld und Energie. Das Wichtigste ist jedoch eine wirklich starke Idee. Bei dieser Platte war das der Fall, weshalb mir das Schreiben sehr leicht gefallen ist. Im Zentrum der Studiosessions stand ein bestimmtes Gefühl, das mich überkam, als ich inmitten von 60 Musikern stand, die alle meine Songs spielten. Ich weiß nicht, ob Sie das nachvollziehen können, aber für mich ist es das Prickelndste, was man in meinem Beruf erleben kann.
Haben Sie schon mal im Zentrum eines Orchesters gestanden?
Nein, das habe ich nicht. Wissen Sie, wenn ich eine Studiosession vorbereite, gehe ich immer zuerst in den Aufnahmeraum und höre mir den Raumklang an. Und zwar genau in der Mitte des Saals. Das ist eine unglaubliche Erfahrung. Mit diesem Gefühl im Hinterkopf habe ich das Album Stück für Stück aufgenommen.
Ist das Format Album noch zu retten?
Die Generation meiner Kinder hört sich nur noch einzelne Tracks an. Aber die Generation, über die wir gerade sprechen, ist mit starken Alben aufgewachsen. Dieses Publikum hört mir noch zu. Es stirbt vorerst nicht aus. Ich halte die Liebe zu Alben zusätzlich lebendig, weil ich noch Vinylscheiben herausbringe. Die klingen nämlich unheimlich gut.
In einem anderen Interview gaben Sie kürzlich zu, dass Ihr Tatendrang und das ständige Bedürfnis, unterwegs zu sein, für Ihre Lieben schwierig sei. Take That sind angeblich genervt, da Sie immer neue Projekte planen wollen. Was ist der Grund für diese Arbeitswut?
Sie ist Fluch und Segen zugleich. Mein kreativer Drang kommt aus dem Herzen, weil ich das, was ich tue, einfach liebe. Ich liebe es, Songs zu schreiben, aufzunehmen und zu singen. Mir ist bewusst, dass der Tag kommen wird, an dem ich dazu nicht mehr in der Lage sein werde. Solange ich aber physisch noch kann und Fans habe, gibt es keinen Grund, das nicht zu tun.
Waren Sie schon als Kind hyperaktiv?
(lacht) Ich glaube ja. Jenseits meiner Hyperaktivität habe ich immer nach Aufmerksamkeit gesucht. Ich war schon als Kind ein richtiger Protz und bin es auf gewisse Weise immer noch. Heute kann ich diese Eigenschaft aber ein bisschen besser verbergen. Ich liebe es, mein Publikum zu unterhalten.
Bereits im Alter von elf Jahren sind Sie in Wales regelmäßig in einer Bar aufgetreten. Wie sah Ihr Publikum aus?
Es waren Männer und Frauen, aber sie waren alt. Das störte mich ehrlich gesagt nicht, Hauptsache, man hörte mir zu. Es war für mich als Kind eine unglaubliche Erfahrung, auf eine Bühne zu steigen und Klavier zu spielen. Ich habe damals viel darüber gelernt, wer ich bin und warum ich das unbedingt machen wollte. Wenn Sie heute eine meiner Shows besuchen, dann sehen Sie mich nicht nur zwei Stunden lang performen, sondern spüren auch Tausende von Konzerten, die ich bereits gespielt habe. Ich versuche, alles, was ich mache, zur Perfektion zu bringen und dabei authentisch zu bleiben. Das Publikum soll bei mir die beste Zeit seines Lebens haben. Ich bin dankbar, dass ich schon sehr früh auf die Bühne durfte.
Hatten Sie schon als Kind das Gefühl, für die Bühne geboren zu sein?
Ja, wobei ich ursprünglich nur Klavier gespielt habe. Mit der Singerei habe ich erst mit etwa 15 Jahren begonnen.
Wie sehr fehlt Ihnen die Bühne?
Ich war 2019 auf Tour, weshalb bei mir momentan nichts ansteht. Aber kommenden Sommer würde ich gern mit einem Orchester auf Reisen gehen. Wenn Covid-19 es erlaubt, dann wird es eine der längsten Touren meines Lebens sein.
Was haben Sie sich von Old-School-Performern wie Barry Manilow oder Sir Cliff Richard abgeschaut?
Das sind die Jungs, mit denen ich aufgewachsen bin. Barry ist der Showman schlechthin. Musik ist für mich sehr wichtig, ich möchte aber keiner dieser Künstler sein, die in sich versunken Piano spielen und singen, ich möchte lieber zum Publikum sprechen. Ich will Augenkontakt. Die Leute sollen einen Abend lang mit mir sein. Vielleicht ist das old school, aber ich liebe es.
In den 1960ern hat die Rock-und Popmusik die Welt verändert. Wie relevant ist sie heute?
Jemand, der sich näher mit solch technischen Dingen beschäftigt, erzählte mir kürzlich, dass in den letzten sechs Monaten mehr Musik konsumiert wurde als jemals in der Geschichte zuvor. Das zeigt mir, wie relevant Musik heute noch ist. Digital oder analog – das ist gar keine so wichtige Frage. Viel wichtiger ist für mich als Künstler, meine Musik auf dem leichtesten Weg zu den Leuten zu bringen. Es ist überwältigend, dass man mittlerweile einfach nur in die Hosentasche zu greifen braucht und über das Telefon all meine Musik hören kann. An der Moderne ist also nicht alles schlecht.
Ihre Kreativität lässt Sie optimistisch bleiben?
Vielleicht ist dem so. Ich bin optimistisch, weil der Mensch clever ist. Er wird einen Weg finden, diese Krise zu bewältigen. Eines Tages werden wir wieder alle ganz normal ins Theater oder Konzert gehen können, weil
Covid-19 besiegt wird. Das mag noch ein bisschen dauern, weil diese Pandemie für uns neu ist. Aber ich glaube fest an die Fähigkeiten des Menschen. Er wird über kurz oder lang eine Lösung finden.