Dass Hunde Sprache in ihren Hirnarealen ähnlich wie Menschen aufnehmen und es im tierischen Wort-Lernprozess auffällige Parallelen zu Säuglingen gibt, haben jüngst zwei ungarische Studien bewiesen.
Wann genau der Mensch auf den Hund gekommen ist, lässt sich wissenschaftlich nicht gänzlich exakt datieren. Allgemein geht die Forschung von einer Domestizierung vor mindestens 15.000 Jahren aus, es gibt aber auch archäologische Funde, die für eine weitaus frühere Adaption des besten tierischen Freundes des Menschen vor 30.000 Jahren sprechen. So oder so ein langer Zeitraum, in dessen Verlauf sich der Hund nach und nach immer besser an die menschliche Kommunikation anpassen konnte. Zum biologischen Allgemeinwissen zählt der Sachverhalt, dass Hunde im Laufe der Evolution ein feines Sensorium für die menschliche Stimme ausgebildet haben, dass sie allein schon aus Tonfall oder Stimmlage Rückschlüsse auf das Befinden ihres Herrchens oder ihrer Besitzerin ziehen können.
Ungemein hilfreich war den Tieren dabei ihr im Vergleich zum Menschen wesentlich besseres Gehör. Ihre Ohren können Töne oder Geräusche wahrnehmen, die dem Homo sapiens verschlossen bleiben. Während Menschen bestenfalls 20.000 Schwingungen in der Sekunde registrieren können, kommen Hunde locker auf 50.000 Hertz, einige Rassen sogar auf bis zu 100.000 Hertz. Doch trotz ihres grandiosen Gehörs und einer ziemlich erstaunlichen Sprachverarbeitung können sich die Tiere nur eine überschaubare Zahl von Wörtern merken. Dem Border Collie Rico konnten Forscher des Leipziger Max-Planck-Instituts Anfang der Nullerjahre aber immerhin die Kenntnis eines Vokabulars von 250 Wörtern lobend konzedieren. „Man muss nicht sprechen können, um viel zu verstehen", lautete damals das Fazit der Wissenschaftler, „Diese kognitiven Fähigkeiten, die es einem Tier erlauben, eine Vielzahl von Klängen und Geräuschen richtig zu interpretieren, scheinen sich also unabhängig und viel früher als die Fähigkeit zum Sprechen entwickelt zu haben." Schon 2004 hatten die Wissenschaftler in ihrer im Fachmagazin „Science" veröffentlichten Studie die Vermutung geäußert, dass Hunde die Bedeutung unbekannter Wörter auf die gleiche Weise wie Kleinstkinder erlernen könnten.
Unbekannte Wörter wie Kleinkinder erlernen
Eine solche Parallele zwischen Hunden und Säuglingen konnten denn jüngst auch Forscher der Budapester Eötvös-Loránd-Universität um Lilla Magyari aufdecken und die Ergebnisse ihrer Untersuchungen Anfang Dezember 2020 im Fachblatt „Royal Society Open Science" veröffentlichen. Ähnlich wie Säuglinge bis zum Alter von rund 14 Monaten können Hunde demnach keine phonetischen Details von Wörtern effizient verarbeiten. Eine Fähigkeit, die sich bei den Kleinkindern erst im Alter zwischen 14 und 20 Monaten allmählich entwickelt und letztlich die Basis für die Ausbildung eines großen Wortschatzes darstellt. Diesen wesentlichen Schritt können Hunde im Laufe ihres Lebens nicht zurücklegen, weshalb ihr Vokabular beschränkt bleiben muss. Kleine Lautunterschiede zwischen einzelnen Wörtern oder Unterschiede zwischen ähnlich klingenden Wörtern können weder Hunde noch Säuglinge bis zum Alter von 14 Monaten erfassen. „Womöglich kümmern sich Hunde einfach nicht um alle phonetischen Details des sprachlichen Klangs", so Lilla Maygari, „Zukünftige Forschungen müssen zeigen, ob dies der Grund ist, warum die Anzahl an Wörtern, die Hunde lernen können, begrenzt ist."
Für ihre Forschungen lud das ungarische Team Familienhunde mit ihren Besitzern ins Labor ein. Sie wollten herausfinden, wie die Hunde auf verschiedene ihnen zugetragene Wörter reagierten. Dafür wurden die Köpfe der Tiere mit äußerlich befestigten Elektroden versehen, um im Zuge einer absolut schmerzfreien EEG (Elektroenzephalografie) die Hirnaktivitäten und Hirnströme der Tiere messen zu können. Neben sämtlichen Hunden bekannten Kommandos wie „Platz", „Komm" oder „Bleib" (natürlich jeweils in ungarischer Sprache) wurden den Tieren auch ähnlich klingende Kunstwörter wie „Plotz" sowie keinem Kommando ähnelnde Fantasiebegriffe wie „Bep" vorgespielt. Die Auswertung der Gehirnaktivitäten ergab, dass die Tiere schon nach 200 bis 300 Millisekunden eindeutig zwischen ihnen bekannten und unbekannten Wörtern (wie „Bep") unterscheiden konnten. Wobei sie auf die nur durch einen einzigen Buchstaben leicht abgeänderten Wörter genauso wie auf die Original-Kommandos reagiert hatten. Den phonetischen Unterschied konnten sie offenbar nicht wahrnehmen.
An der Studie war auch der Neurowissenschaftler Attila Andics beteiligt, der seinerseits im August 2020 mit seinem Team eine bemerkenswerte, im Fachjournal „Scientific Reports" veröffentlichte Forschungsarbeit zur gehirnmäßigen Sprachverarbeitung der Hunde vorgelegt hatte. Andics hatte sich auf diesem Spezialgebiet schon 2014 und 2016 mit entsprechenden Untersuchungen einen Namen machen können. So hatte er schon 2014 nachweisen können, dass Hunde, ähnlich wie Menschen, Sprache und Geräusche in unterschiedlichen Gehirnbereichen verarbeiten. 2016 konnte er belegen, dass die Tiere die Inhalte der Begriffe mit ihrer linken Hemisphäre, emotionsgeladene Aussprüche oder Intonationen mit der rechten Gehirnhälfte registrieren. Im Sommer 2020 konnte Andics nun sogar postulieren, dass Hunde genauso wie die Menschen Sprache hierarchisch verarbeiten, dass Hundehirne also dieselben Verarbeitungsschritte von Sprachinformationen wie Menschenhirne vollziehen.
„Das ist eine wichtige Frage, denn Hunde sind im Grunde eine sprachenlose Spezies", so Attila Andics, „und doch reagieren sie korrekt auf unsere Worte."
Die Intonation des Gesagten ist wichtig
Töne eines Sprachsignals, beispielsweise ein emotionsgeladenes Lob, werden demnach bei Mensch wie Hund zunächst im Inneren des Gehirns verarbeitet, in den primitiveren sogenannten subkordialen Gehirnregionen. Hier wird die Intonation des Gesagten und dessen emotionaler Gehalt entschlüsselt. Erst danach schaltet sich die Großhirnrinde ein, die deutlich jüngere kortiale Region des Gehirns, deren Aufgabe darin besteht, die Bedeutung der einzelnen empfangenen Wörter zu enthüllen. „Obwohl die Sprachverarbeitung beim Menschen in vielen Aspekten einzigartig ist", so Attila Andics, „zeigte diese Studie aufregende Ähnlichkeiten zwischen uns und einer sprachlosen Spezies. Die Ähnlichkeit bedeutet aber nicht, dass dieses hierarchische Verarbeitungsmuster bei der Entwicklung der Sprache entstanden ist. Stattdessen dürfte die festgestellte Hierarchie nach Intonation und Wortbedeutungsverarbeitung ein allgemeineres, nicht sprachspezifisches Prinzip widerspiegeln."
Für die Studie wurde die Gehirnaktivität von zwölf Hunden mithilfe der sogenannten funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) gemessen. Nachdem die Tiere in dem Gerät Platz genommen hatten, wurden ihnen bekannte und lobende Worte und Kommandos wie „gut gemacht" oder „clever" zugespielt, aber auch unbekannte Wörter („wie", „als ob"). Mal in neutralem, mal in lobendem Tonfall gehalten. Um detaillierte Einblicke in die durch die einzelnen Wörter ausgelöste Hirnfunktion zu gewinnen, setzten die Wissenschaftler auf den Habituationseffekt, sprich den durch Gewöhnung bedingten Rückgang der Reaktion auf einen wiederholten Reiz. „Während der Gehirnabtastung wiederholten wir manchmal Wörter, manchmal Intonationen", so die Co-Autorin Anna Gábor, „Ein stärkerer Rückgang in einer bestimmten Hirnregion auf bestimmte Wiederholungen zeigt die Beteiligung der Region." Je häufiger die Wiederholungen, desto geringer war laut Anna Gábor die Hirnaktivität. So konnte die hierarchische Sprachverarbeitung der Hunde nachgewiesen werden. Die Hirnscans wiesen ganz klar aus, dass einfachere, emotionsgeladene Hinweise wie die Intonation im Hundehirn auf niedrigeren Stufen und komplexere Hinweise wie die Wortbedeutung auf höheren Ebenen des Gehirns verarbeitet wurden. „Die Erforschung der Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Sprachverarbeitung zwischen Hunde- und Menschengehirnen", so Anna Gábor, „kann viel zum Verständnis der Schritte beitragen, die während der Evolution zur Entstehung der Sprache geführt haben." Auch wenn die Hunde eine sprachlose Spezies sind, so verfügen sie doch laut einer 2016 an der Budapester Universität erarbeiteten Studie über ein sogenanntes episodisches Gedächtnis.