Die ehemalige saarländische Regierungssprecherin Anne Funk wechselt als nationale Expertin zur Europäischen Kommission. Dort wartet eine Doppelrolle: die Kommission im Dialog mit den Mitgliedstaaten unterstützen, gleichzeitig Erfahrungen aus der Grenzregion in Brüssel einbringen.
Frau Funk, was ist eigentlich ein „nationaler Experte" bei der Europäischen Kommission?
Mit diesen nationalen Experten holt sich die Europäische Kommission Expertise aus den Mitgliedsstaaten, nach dem europäischen Motto: „In Vielfalt geeint". Die Europäische Union vertraut dabei auf den Sachverstand der nationalen Experten, um eine stringente und interaktive Politik im Austausch mit den Mitgliedsstaaten zu betreiben.
Das hört sich an wie eine Botschafteraufgabe…
Das ist es nicht. Aber die nationalen Experten haben schon so etwas wie eine Doppelfunktion. Sie sind weiterhin ihren Bundes- beziehungsweise Landesbehörde verpflichtet, die sind auch weiterhin Dienstherr. Das Saarland hat den Vorteil, dass es einen wertvollen Einblick in die Arbeit der Kommission bekommt und dass man dort auch mitarbeitet. Es ist also kein reiner Beobachterstatus. Man kann dort wichtige Kontakte knüpfen und die Belange der Länder oder auch der Bundesbehörden mit einbringen. Es ist also schon eine Doppelrolle. Was für die Kommission sehr interessant ist, weil wir damit auch die Perspektiven der Grenzregion mit einbringen können.
Man sollte annehmen, dass die bei der Kommission bekannt sind …
Das ist sicher richtig. Aber: Grenzregionen sind, wie man sagt, sozusagen Europa im Kleinen, und das Saarland ist das europäischste aller Bundesländer. Ich konnte ja in verschiedenen Funktionen viele Entwicklungen begleiten, von daher bietet es sich sicher an, Best-Practice-Beispiele einzubringen, die sich aus der Nähe und Nachbarschaft auch zwischen den Bürgerinnen und Bürgern entwickelt haben. Und das ist viel mehr, als man auf den ersten Blick meint, was bei den Grenzschließungen im vergangenen Frühjahr deutlich geworden ist.
Wo ist diese Aufgabe im großen europäischen Brüssel angesiedelt?
Räumlich ist es im Berlaymont-Gebäude angesiedelt, also direkt bei Ursula von der Leyen (Anm. d. Red.: EU-Kommissionspräsidentin). Ich werde dort in der Generaldirektion Kommunikation in einem Referat eingesetzt, das zuständig ist für den Dialog mit den Mitgliedsstaaten. Und da stehen derzeit ja wichtige Themen auf der Agenda, in erster Linie sicherlich die Bewältigung der Krise. Europa soll resilienter werden, und das bedeutet auch, dass es grüner wird. Der Green Deal ist ein wichtiges Element dabei. Natürlich ist das Thema Pandemiebekämpfung derzeit im Mittelpunkt, aber Klima und die digitale Agenda werden eine ganz wichtige Rolle spielen. Resilienter in Krisenzeiten zu sein, heißt auch, dass Europa grüner und klimafreundlicher wird und dass es die digitalen Entwicklungen zu nutzen weiß. Die Krise ist wie ein Brennglas auf die Stärken und Schwächen, das haben wir in der Grenzregion besonders deutlich gemerkt.
Was kann Europa aus den Erfahrungen der Grenzregionen lernen?
Ich denke, dass Grenzregionen so etwas wie europäische Labore sind. Deshalb hat man ja auch die Möglichkeit von Experimentierklauseln. Ein ganz praktisches Beispiel ist etwa die grenzüberschreitende Ausbildung. Hier können Modelle entwickelt werden, die sich möglicherweise für die europäische Ebene bewähren. Das gilt zum Beispiel auch, wie wir in der Krise gesehen haben, für das Gesundheitswesen und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die wir jetzt auch ausbauen wollen. Solche Beispiele mit auf die europäische Ebene zu nehmen, ist für mich sicherlich auch ein „kleiner Botschafterauftrag".
Gibt es da so etwas wie einen Spickzettel mit Themen aus dem Saarland und der Grenzregion für Europa?
Das ist keine Frage einer Liste, die die Landesregierung mitgibt, sondern ein ständiger Prozess im Austausch. Dieser enge Austausch ist eine wichtige Aufgabe der nationalen Experten.
Läuft das ähnlich für alle Grenzregionen?
Es gibt dafür einen institutionellen Rahmen, das ist der Ausschuss der Regionen. Und: Grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist Beziehungsarbeit und Vertrauensarbeit. Das hat sich gerade auch in der Krise gezeigt. Wir haben eine Corona-Task Force beim Gipfel der Großregion etabliert, und da hat sich einmal mehr gezeigt, dass sich in der Krise die Freundschaft bewährt. Man hat morgens, mittags, abends und teilweise auch nachts telefoniert und gemeinsam nach Lösungen gesucht. Wir haben zum Beispiel die deutsch-französische Corona-Streife eingesetzt, um zu zeigen: Nicht Abschottung ist der Weg. Das funktioniert auch gar nicht, wo das Grenzüberschreitende gelebter Alltag ist, sondern nur gemeinsame Lösungen. Das gilt auch für den grenzüberschreitenden Pandemieplan. Es mag abgedroschen klingen, aber das Virus macht nicht an Grenzen halt. Deshalb ist es auch ein Appell an die EU, gemeinsame Lösungen zu finden.
Was sich im Tagesgeschäft als schwieriges Unterfangen darstellt…
Sicher. Nehmen Sie den sogenannten Lockdown-Tourismus. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Natürlich bin ich dafür, dass die Grenzen offen bleiben. Auf der anderen Seite gibt es eine gemeinsame Verantwortung auch der Bürgerinnen und Bürger, die diese Freiheit haben wollen, das Virus einzudämmen. Deshalb wären – auch für die Wirtschaft – einheitliche Regelungen wünschenswert. Bei aller Freiheit haben wir auch eine gemeinsame Verantwortung.
Muss man das in Europa erst erklären?
Natürlich im Grunde nicht. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat ja auch dazu aufgerufen, unnötige Reisen zu unterlassen. Aber es ist ein Beispiel, wo ich glaube: Europa gewinnt den Kampf gegen das Virus nur gemeinsam. In einer Krise geben oft einzelne Hardliner den Ton an, was dann aber auch oft zu Lasten anderer und von Freiheiten innerhalb Europas geht. Die Krise hat deutlich gemacht, dass die EU mehr Kompetenzen im Gesundheitsbereich braucht. Deshalb möchte die Europäische Kommission eine starke Europäische Gesundheitsunion aufbauen. Eine Europäische Union ist immer nur so stark, wie es die Nationalstaaten zulassen. Ein europäisches Krisenmanagement, wie es vielfach gefordert wird, kann es nur geben, wenn die Mitgliedsstaaten diese Machtverschiebung zulassen.