Thomas Kammeier und Team kochen, die Heimwerker haben das Erfolgserlebnis: Die Fine-Dining-Boxen zum Selbst-Finishen machen Appetit auf das neue, aber noch nicht eröffnete „The Cord" in Schöneberg.
Mein erstes DIY-Box-Dinner! Und dann gleich in der Fine-Dining-Liga! Doch die kulinarische Freundin und ich sind mit der Genießer-Box vom „The Cord" bestens präpariert: mit kleinteilig abgepackten Vakuumbeuteln. In ihnen ist von Estragonzweig und „fünf Gramm Maldonsalz" über Steak und Rote-Bete-Püree bis zu Blutorangen-Filets alles enthalten. Chef-Gastronom Thomas Kammeier vom Euref-Campus entwickelte mit seinem Team das Drei-Gang-Menü zum Zu-Hause-Finishen. Es erwarten uns Fjordforelle mit Roter Bete, Escabeche und Pomelo, ein US Prime Strip Loin Steak mit Blattspinat, Bundmöhren und Rotwein-Schalotten-Jus sowie Crêpes Suzette mit Blutorangen und Grand Marnier.
Ich muss in meiner Single-Küche nur vier eigene Zutaten bereithalten: Olivenöl, Butter, Pfeffer und Muskatnuss. Habe ich! Außerdem brauchen wir drei Pfannen und Töpfe. Oder wir spülen etwas öfter zwischendrin. Und das wichtigste Gerät: eine Schere. Teller, Gläser, Besteck und Tischschmuck fürs angenehme Unten- und Drumherum. „Das sieht ja aus wie Astronautennahrung", spricht der Fotograf, als er ein erstes Foto mit dem Inhalt der großen Pappbox macht. Von wegen – das wird richtig feines Essen!
Fürs laiensichere Gelingen gibt es zu jedem Gang eine ausführliche Zubereitungsanleitung und eine Übersichtsseite mit Fotos zum Anrichten. Die Lesebrillenfraktion bittet bei Neuauflage der Foto-Seite allerdings um größere Bilder: gleichfarbige Rote-Bete-Kringel, „Knöpfchen" und Püree-Häufchen sind nicht ganz einfach auseinanderzuhalten.
Der Fisch schmilzt geradezu im Mund
Die Teller mit der Fjordforelle werden kalt angerichtet. Die Anleitung ist präzise: „Verteilen Sie ein paar Olivenölbläschen auf dem Teller", heißt es. Wie macht frau die? „Ich tropfe jetzt vier Tropfen vom Teelöffel auf den Teller", beschließt die Freundin. Wird schon nichts schiefgehen. Die Forelle wird anweisungsgemäß auf die rechte Seite gesetzt und mit zehn Jahre im Eichenfass gereifter Kamebishi-Sojasauce bepinselt. Die beiden Rote-Bete-Scheiben fallen vorgestanzt beim Auspacken in Kringel und Scheibchen. Mein Backpinsel wird zum Lackiergerät: Die Freundin bringt die Rote Beete mit etwas Olivenöl zum Glänzen. Voll der Effekt!
„Man steigert sein eigenes Können deutlich", findet die Freundin. „Es sieht doch gleich ansatzweise so aus wie in einem sehr guten Restaurant." Die Bete liegt ordnungsgemäß auf der linken Seite und ist mit orangefarbenem Escabeche-Püree gefüllt. Goldschmiede und Chirurgen wären zwar klar im Vorteil, aber wir sind durchaus zufrieden mit unseren eher grobmotorischen Anrichtekünsten.
Nach dem Angießen vom Escabeche-Sud, Arrangieren von Pomelo und Kerbel-Blättchen widmen wir uns nur noch fotografierend und schmeckend unserer Vorspeise. Der Fisch schmilzt geradezu im Mund, Beten, Pürees und die herbe Zitrusfrucht vereinen sich anregend. „Der Kerbel gibt Frische an so ein Wintergericht", sagt die Freundin. Das Essen boostet nicht nur unser hausfrauliches Selbstwertgefühl. Es macht uns auch schlauer. Escabeche, verrät das Internet, ist eine in Südamerika verbreitete Art, Fische und Gemüse säuerlich zu marinieren. Wir haben nicht nur das pürierte Gemüse in der Tüte, sondern in einer anderen ebenfalls den opaken Sud zur Verfügung. Ich gieße ihn vorsichtig um die Einzelkomponenten herum. Wir genießen das schöne, zart sauer akzentuierte Zusammenspiel der verschiedenen Texturen und Aromen.
20 bis 30 Minuten „Arbeit" pro Gang
Beim Steakbraten habe ich meinen magischen Küchenmoment. Ich lege das „US Prime Strip Loin, Dan Morgan Range, Nebraska" in meiner Normalo-Pfanne ins heiße Olivenöl und brate es nach Anweisung „mehrere Minuten". „Strip Loin" ist die amerikanische Bezeichnung für das hintere Rückenstück vom Rind – alternativ: Rumpsteak – mit seinem charakteristischen Fettrand. Bei ordentlicher Bräunung beschließe ich frei nach Hausfrauengefühl: Ein Stück Butter sowie Thymian, Rosmarin und Knoblauch aus einem Tütchen dürfen jetzt in die Pfanne. „Immer wieder das Fleisch mit allem übergießen", heißt es. Die Küchen-Magie wirkt: Ich fühle mich wie eine Fleischversteherin. Das sieht richtig gut aus! Allerdings habe ich das Etikett auf dem Fleisch-Beutel mit „rückwärts vorgegart" gelesen. Das Steak wurde in der Profi-Küche mit Oliven und Gewürzen bereits zwei Stunden bei 50 Grad im Beutel vorgegart. Ich bin nur noch für das unfallfreie Bräunen zuständig. Die Freundin spricht von „Fake": „Schade, du sahst echt gut aus dabei." „Ich habe mich auch so gefühlt", entgegne ich.
Immerhin darf ich mich beim Aufschneiden auf einem Holzbrett wenigstens ungefaked kompetent fühlen: Zu meiner eigenen Überraschung ist es perfekt rosa. Weder zu blutig noch zu durchgebraten. Wir haben parallel Bundmöhren und jungen Blattspinat erwärmt und abgeschmeckt. Die Gemüse hätten wir freihand wohl selbst so ähnlich hinbekommen. Das Steak und seine Sauce aber definitiv nicht. Die Rotwein-Schalotten-Jus wird in ihrem Beutel als kompaktes Gelee mitgeliefert. Sie entfaltet ihr betörend intensives Aroma bereits beim Erwärmen.
Würden wir viele, viele Stunden erübrigen, könnten wir uns vielleicht so einer Jus in der eigenen Küche nähern. Kiloweise Kalbsschwanzknochen, insgesamt ein Liter Rot- und Portwein, viele, viele Zwiebeln, Lauch, Karotten, Sellerie und Knoblauch sind ihre solide Grundlage, verrät Thomas Kammeier. Rösten, Aufgießen, Einreduzieren, Abpassieren und nochmals um die Hälfte Einreduzieren. So geht’s, dauert aber ganz schön lange. Wir senden unseren Dank ans Küchenteam vom „The Cord", das das für uns treffsicherer erledigt hat, als wir es könnten.
Gerichte schmecken hervorragend
20 bis 30 Minuten verbringen wir jeweils mit dem Finish und Anrichten eines Gangs. Thomas Kammeier weiß genau, was er und sein Team lieber selbst machen und was er den Fine-Dining-Liebhabern ohne Profi-Kenntnisse am heimischen Herd zutrauen kann. Die Box kostet 118 Euro und ist auf zwei Personen ausgelegt. Dafür möchte schließlich alles zu Hause klappen und der Ruf des Spitzenkochs nicht durch Heimwerker-Fehler ruiniert werden! Mit den Boxen und weiteren Gerichten im Onlineshop macht das „The Cord" seit einigen Wochen auf sich aufmerksam. Alles sei „neu, fertig und bereit", sagt Kammeier. „Es ist ein Grillkonzept, gepaart mit Kammeierschen Ansprüchen. Der Fokus wird nicht nur auf Fleisch, sondern ebenso auf Fisch und Gemüse liegen."
Kammeier dürfte vielen Berlinerinnen und Berlinern als langjähriger Küchenchef im „Hotel Intercontinental" und dem mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten „Hugos" in Erinnerung sein. Seit 2015 prägt und verantwortet er nun als Gastronomischer Leiter und Geschäftsführer die kulinarische Ausrichtung des Euref-Campus insgesamt und die Küche von drei der fünf Tagesrestaurants rund um den Schöneberger Gasometer. Das „The Cord", benannt nach einer historischen US-Automarke, wird das einzige Abendrestaurant auf dem Campus am südwestlichen Zipfel der Roten Insel nahe dem S-Bahnhof Schöneberg sein – wenn es denn endlich eröffnen kann.
Das Erwärmen der eingeschlagenen Crêpes im Blutorangensud ist zu guter Letzt eine entspannend einfache Angelegenheit. Ganz zum Schluss kommen die Blutorangenfilets hinzu, fertig ist das Dessert. Optimismusfarbig in Gelb-Orange präsentiert es sich in der dunklen Pfanne und glänzend auf meinen weißen Tellern. Es schmeckt fruchtig fein und darf sich nach dem kohlehydratarmen Hauptgang gern mehlspeisig auf die elegante Art geben.
Doch halt! Wir waren unaufmerksam und stellen es erst beim Essen fest. „Haben Sie bestimmt zu Hause: Puderzucker" sagt die Anleitung. Hatte ich, habe ich sogar extra dafür gekauft. Und dann Zutat Nummer fünf glatt vergessen. Suzette verzeiht uns und schmeckt auch ohne vorzüglich. Besonders fein und liebenswert sind die aromatischen und so gar nicht wässrigen Blutorangen.
Wahrscheinlich hat Thomas Kammeier genau solche Aussetzer wie bei uns aufgeregten Laienspielerinnen bedacht. Die Gerichte funktionieren und schmecken trotzdem hervorragend. Wir beenden unser erstes DIY-Fine-Dining mit dem wohligen Gefühl von Quasi-Könnertum. Kammeier und sein Team sind so freundlich, uns nicht spüren zu lassen, dass sie es sind, die in Wirklichkeit unser Rundum-sorglos-Gefühl präzise vorbereitet haben. Wir schätzen die Arbeit der Profis umso mehr und sind sehr gespannt auf all das, was aus ihrer Hand hoffentlich bald im „The Cord" vor Ort zu genießen sein wird.