Nicole Meyer war als Kunstturnerin mit der Nationalmannschaft in der ganzen Welt unterwegs. Die heute 46-Jährige blickt auf viele Erfolge, ein bewegtes Leben und einen schweren Schicksalsschlag zurück.
Zähne zusammenbeißen, durchhalten, Kopf nicht in den Sand stecken, Niederlagen einstecken und weitermachen: Wichtige Eigenschaften, die Nicole Meyer als Kind und Jugendliche beherzigen und erlernen musste, um als Top-Kunstturnerin im harten Sportgeschäft bestehen zu können. Als Erwachsene haben ihr diese erworbenen Fähigkeiten geholfen, ihren Lebensweg trotz Schicksalsschlägen zu meistern und heute im Alter von 46 Jahren sagen zu können: „Meine Zeit als Sportlerin hat mich stark, mutig und widerstandsfähig gemacht. Ich kann zielorientiert, konzentriert und entschlossen auch unangenehme Herausforderungen angehen. Und ich kann mein Leben bejahen und positiv in die Zukunft blicken."
In Sportlerkreisen wird vielen der Name Nicole Meyer bekannt sein. Als Kind und Jugendliche hat die gebürtige Stennweilerin viele Siege errungen und Medaillen eingeheimst. Die Kunstturnerin trainierte im Alter von zehn bis 13 Jahren im Internat des Landessportverbandes für das Saarland (LSVS), und am Olympiastützpunkt in Saarbrücken sowie von 13 bis 18 Jahren am Bundesleistungszentrum in Frankfurt am Main. Sie hat es bis in den Nationalkader geschafft und war mit der Nationalmannschaft für Deutschland in der ganzen Welt unterwegs. Bei Deutschen, Europa- und Weltmeisterschaften stand sie mehrfach auf dem Siegerpodest. 1992, kurz vor den Olympischen Sommerspielen in Barcelona, beendete die Spitzensportlerin ihre Karriere. „Die Trainer entschieden sich, auf den Einsatz der ehemaligen DDR-Mädchen zu setzen. Ich hatte das Gefühl, die Trainer stehen nicht mehr hinter mir und meinen Kolleginnen, das war sehr enttäuschend. Da habe ich aufgehört und mich um meine berufliche Zukunft gekümmert."
In den USA arbeitete sie als Turntrainerin und gab Yoga-Kurse
Beim LSVS absolvierte sie 1993 eine Ausbildung zur Bürokauffrau und arbeitete bis 2008 an der Hermann Neuberger Sportschule in Saarbrücken in der Verwaltung. Dann zog sie nach Hamburg und trat am Olympiastützpunkt Hamburg/Schleswig-Holstein die Stelle der Assistentin der Geschäftsleitung an.
Während eines Saarlandbesuchs traf sie ihre große Jugendliebe wieder. „Es hat sofort wieder gefunkt. Wir hatten uns 25 Jahre davor im ‚Flash‘, der legendären Disco in St. Wendel, kennengelernt. Damals war unsere Beziehung auseinandergegangen, als Marcus zurück in die USA ging. Er hatte durch seinen Vater die amerikanische Staatsbürgerschaft und wollte unbedingt zum Militär." All die Jahre hatten die beiden keinen Kontakt mehr zueinander. „Doch als ich Marcus im Frühjahr 2012 wiedertraf, war schnell klar, dass wir es noch einmal miteinander versuchen wollten", so Nicole Meyer. „Marcus machte mir einen Heiratsantrag. Wir heirateten, und ich zog mit ihm nach Texas. In San Antonio habe ich als Kunstturntrainerin bei Artemov Gymnastics gearbeitet und bei Yoga on Bulverde Yoga-Kurse geleitet. Bei meinem Mann, der mittlerweile in den USA zum Major aufgestiegen war, machten sich von Jahr zu Jahr mehr die negativen Erlebnisse seines Berufes bemerkbar. Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörungen. Um seine Depressionen und Angstzustände zu therapieren, kehrten wir nach Deutschland zurück. Letztlich war wohl alles zu viel für ihn. Im Dezember 2018 nahm sich mein Mann das Leben."
Viele verzweifeln in so einer Situation. Nicole Meyer erinnert sich an ihre Jugend, an die vielen Trainingseinheiten, Wettkämpfe und Verletzungen, in denen sie glaubte, es nicht mehr zu packen und es dann doch schaffte, die Zähne zusammenzubeißen. „Damals rief mich eine Freundin an und sagte mir: ‚Mensch Nicole, du bist doch eine Kämpfernatur, lass dich nicht runterreißen. Erinnere dich, was unsere Trainer immer gesagt haben: Ihr müsst kämpfen, wenn ihr gewinnen wollt.‘ Ich habe mir darauf gesagt: Ja, der Tod meines Mannes ist schlimm, aber ich werde auch mit dieser Krise zurechtkommen." Der Sportlerin war von klein auf eingetrichtert worden, nicht aufzugeben. „Ich denke, das hat mir die Kraft gegeben, weiterhin positiv zu denken und mich dem Leben zuzuwenden. Ich trage viele schöne Erinnerungen in mir. Daran halte ich mich fest. Aber mein Leben lebe ich vorwärts-, nicht rückwärtsgewandt."
„Mittlerweile habe ich einen starken Mann an der Seite"
In ihrem neuen Job, den sie 2019 bei der Beiersdorf AG in Hamburg angetreten hat, fühlt sich Nicole Meyer rundum glücklich. Im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements bietet sie Sportkurse, Ernährungs- und Motivationsberatung für die Belegschaft an. „Ich bin sozusagen dafür zuständig, dass unsere Mitarbeiter sich wohlfühlen und gesund bleiben. Ob Sport- und Gymnastikkurse oder Yoga, Pilates und spezielles Rückentraining: Für die rund 3.000 Mitarbeiter gebe ich Kurse, nicht nur in Deutsch, sondern auch in Englisch, denn die Beiersdorf-Belegschaft kommt weltweit in den Nutzen dieses Gesundheitsprogramms. Seit der Corona-Pandemie finden viele Kurse leider nur noch virtuell statt. Unsere Mitarbeiter arbeiten so weit es geht im Homeoffice. Ich habe mich deshalb in die Videotechnik ‚eingegroovt‘ und zeige unseren Mitarbeitern nun per Video, wie sie sich nach einem langen Arbeitstag am Schreibtisch dehnen und strecken können, ohne dass es gleich langweilig wird."
Apropos „eingegroovt": In ihr neues Leben hat sich Nicole Meyer auch eingegraben. „Es war nicht alles easy, doch ich habe mich Stück für Stück öffnen können: Dem Licht in meinem neuen Leben und der neuen Liebe in meinem Leben. Einen Partner zu finden, der mit meinen Erfahrungen umgehen kann, ist gar nicht so einfach. Er muss ja auch damit klarkommen. Doch mittlerweile habe ich einen starken Mann an meiner Seite. Wir sind auf einem guten Weg."