Er ist lästig und kostet auf Wärmeübertragungsflächen zusätzliche Energie. Salz löst zwar den Kalk, belastet aber Gewässer mit Chlorid. Ein „Impf"-Verfahren hingegen, das für den Nachhaltigkeitspreis Design 2021 nominiert wurde, erhält die Wasser-qualität und schont feinfühlige Arten.
Das Grauen schlägt einem frühmorgens entgegen: Weißliche, gräuliche und orangefarbene Kalkablagerungen verunzieren Wasserhähne, Duschköpfe, Duschwände und Fliesen. Die Kaffeemaschine will schon wieder entkalkt werden. Der Wasserkocher sieht wenig appetitlich aus. Die Waschmaschine gibt merkwürdige Geräusche von sich und prägt beim unrhythmischen Schleudern die Muster der Trommel auf die Kleidung. So hochwertig hartes Leitungswasser beispielsweise aus den Bergen ist: Der natürlich darin enthaltene Kalk trübt die Freude.
Schrubben, Kratzen, Wechselfilter, Essigessenz und chemische Entkalker helfen hier begrenzt. Der Kalk geht nur zum Teil weg und kommt auf jeden Fall wieder. Die Ablagerungen beeinträchtigen schwer erreichbare Ventile, Heizwendel und Rohrleitungen in ihrer Funktion. „Kesselstein", so der Fachterminus, baut sich stetig auf, setzt Armaturen, Warmwassersystemen und Heizungen zu. Entsprechend viele Teile, Verbindungen und ganze Geräte müssen durch Monteure spezialgereinigt oder gar ausgetauscht werden.
Klassisches Salz belastet die Ökobilanz
Anbindungsverfahren mit Natriumchlorid, also Salz, bekämpfen klassischerweise den Kalk, bevor er sich ablagert. Hierzulande dominiert seit Jahrzehnten solche Wasserenthärtung mittels Ionenaustausch als gängige Technologie zur Aufbereitung von hartem Wasser. Kalk im Leitungswasser, der vor allem aus Calcium und Magnesium besteht, wird dabei gegen Natrium ausgetauscht. Das Ergebnis: Weniger Kalk im Wasser bedeutet weniger Ablagerungen, die andernfalls unschöne bis gravierende Folgen haben. Das Problem mit der Ionenaustausch-Methode: Die Chlorid-Belastungen in einem Versorgungsgebiet summieren sich, und die Belastungen in Gewässern steigen stetig, wenn dabei sehr viel Salz eingesetzt werden muss. Denn Chlor ist wasserlöslich. Kommunale Kläranlagen können deshalb ein Problem bekommen, die riesigen Chlormengen zu filtern, die mit dem Entkalken einhergehen.
Um das Wasser für einen einzigen Menschen zu enthärten, werden rund 30 Kilogramm Salz pro Jahr benötigt. Bei stark kalkhaltigem Wasser belasten zudem bis zu rund 2.500 Liter Abwasser aus Regenerationsvorgängen pro Person die Ökobilanz.
Arnold Schwarzenegger unterzeichnete in seiner Eigenschaft als Gouverneur von Kalifornien vor Jahren den sogenannten Salzerlass, um feinfühlige Arten im Ökosystem zu schützen. Daraufhin durften Wasserenthärter, die mit Salz arbeiteten, in Privathaushalten verboten werden, wenn der Chlorid-Gehalt im Abwasser bestimmter Regionen zu hoch wurde. Auf diesen Salzerlass stieß Maximilian Wilk aus Südhessen, als er für seine Master-Thesis in Kalifornien recherchierte. Wie sein Bruder Konstantin stammt Maximilian aus einem Familienunternehmen, das sich mit umweltfreundlicher Wassertechnik beschäftigt. Die AQON Water Solutions GmbH aus Bensheim fokussiert industrielle Wasseraufbereitung ohne Chemie. Inspiriert von Maximilians „Terminator"-Erlebnis, brachten die Brüder 2017 das Wasseraufbereitungssystem AQON Pure auf den Markt. Dessen Mission ist es, Gebäude und ihre Bewohner vor Kalkablagerungen zu schützen, ohne dabei die Wasserqualität zu verändern.
Das funktioniert so: Das Wasser wird aufbereitet, ohne Stoffe hinzuzugeben oder zu entziehen. Der Kalk wird durch „Kuscheln" mit benachbartem Kalk unschädlich gemacht. Dabei verdichtet sich der Kalk zu sogenannten Impfkristallen. Weiterer Kalk im Wasser lagert sich an den Impfkristallen an. Trotzdem bleiben die Kalkkristalle mikroskopisch klein. Deshalb stören sie optisch nicht. Auch schaden sie der Funktion von Geräten und Leitungen nicht, da sie sich nicht an deren wasserberührenden Oberflächen anlagern. Stattdessen schwimmen die Kalkkristalle frei im Wasser und werden mit ausgeschwemmt, sobald jemand Wasser entnimmt.
Salz ist bei dieser Lösung nicht im Spiel. Ebenso wenig Kunststoffe, Granulate oder Filtereinsätze. Denn der Kalk bleibt im Wasser, und die Wasserhärte verändert sich chemisch gesehen fast nicht. Dadurch bleibt die ursprüngliche Qualität der wertvollen Flüssigkeit erhalten. Der große Vorteil von Kalkschutzanlagen, die nach dem Prinzip der Impfkristallbildung arbeiten, liegt darin, dass sich der Kalk nicht ablagert, und die Umwelt trotzdem nicht leidet. Oberflächen und Öko-Bilanz glänzen, während Geräte, Rohrleitungen und Armaturen länger halten.
Haltbarkeit: zehn bis 20 Jahre
Finanziell soll die Impfkristallbildung weitere Erleichterungen bewirken. Maximilian und Konstantin Wilk berichten von verschiedenen Einsparungen: Beispielsweise 23 Prozent weniger Waschmittel braucht eine Runde in der Waschmaschine. Je nach Typ sollen die Kalkschutzanlagen zehn bis 20 Jahre halten, in dieser Zeit fallen auch keine laufenden Kosten an. Maximilian Wilk rechnet vor: „Im Vergleich zu einer klassischen Enthärtungsanlage auf Basis des Ionenaustauschs spart ein Einfamilienhaus pro Jahr circa 50 Euro für Salz und bis zu 300 Euro für eine Wartung durch ein Fachunternehmen oder Werkskundendienst." Bei klassischen Ionenaustausch-Anlagen ist eine halbjährliche Wartung nötig. Bei der Impfkristallbildungs-Technologie entfällt dieser Posten.
Damit beim Einbau alles schnell und zügig klappt, vermittelt der Anlagen-Hersteller geschulte Installationspartner vor Ort, die in einem digitalen Prozess Aufträge erhalten, in denen die wesentlichen Rahmendaten bereits erfasst sind.
Im Mai 2020 wurden Maximilian und Konstantin Wilk für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design 2021 nominiert, ohne sich vorher dafür zu bewerben. Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis ist Europas höchste Auszeichnung für ökologisches und soziales Engagement. Er wird seit 2008 in Kooperation mit der Bundesregierung vergeben und ist Teil der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie.
Die Brüder Wilk haben sich für ihre Anlage von „harten" Fakten zur Wasserhärte leiten lassen: Für einen Haushalt in einer Region mit hartem Wasser würde nach ihren Berechnungen die Nutzung der Impfkristallbildungstechnologie rund 268 Kilowattstunden weniger Energie für Warmwasser und 1.208 Kilowattstunden weniger Energie für Raumwärme pro Jahr bedeuten.
Fast elf Prozent Energie seien den Nachhaltigkeitspreis-Nominierten zufolge verzichtbar, wenn beispielsweise eine zwei Millimeter dicke Kalkschicht auf den Wärmeübertragungsflächen von Warmwasser- und Heizungssystem durch das Wirkprinzip von AQON Pure vermieden würde. Ähnlich verhalte es sich mit Treibhausgasen. Durch den reduzierten Energiebedarf, wenn keine Kalkablagerungen Energie absorbieren, verringere sich automatisch der CO2-Ausstoß.
Das Umweltbundesamt hatte für 2017 einen Kohlendioxid-Ausstoß im Bedarfsfeld Wohnen aller Haushalte von etwa 209 Millionen Tonnen errechnet. Daran betrug der Anteil des Bereichs Warmwasser 12,8 Prozent und der Anteil des Bereichs Raumwärme 60,8 Prozent. Davon ausgehend, könnte ein Haushalt in einer Region mit hartem Wasser seinen CO2-Ausstoß für Warmwasser um 70 Kilogramm und für Raumwärme um 340 Kilogramm pro Jahr senken, wenn er auf Impfkristallbildung setzt. Und auch Tiere in Bächen und Flüssen würden davon profitieren.