Hertha BSC sucht nach der 0:3-Niederlage gegen RB Leipzig weiter im laufenden Spielbetrieb seine Wettbewerbsfähigkeit – die Partie in Wolfsburg am Samstag erscheint wie die nächste „Mission Impossible".
Schon die zwischenzeitliche Führung von Arminia Bielefeld beim FC Bayern München am Montagabend vergangener Woche sollte es dem letzten unverbrüchlichen Optimisten bildlich vor Augen führen: Da stand Hertha BSC in der „Blitztabelle" zumindest kurzfristig nur noch auf dem Relegationsplatz. Und nach dem Sieg der Mainzer in Mönchengladbach letzten Samstag schmolz sogar der Vorsprung zum ersten direkten Abstiegsrang auf nur noch einen Zähler zusammen. Ein deutliches Zeichen also, wie zunehmend bedrohlich der Abstiegskampf bei der „Alten Dame" inzwischen geworden ist. Doch dieser Tage bleibt nichts anderes, als eine Mischung aus Zuversicht und Besinnung auf sich selbst zu verbreiten. „Es gibt bei uns alles, nur keine Panik und keine Hektik – was die anderen machen, interessiert mich überhaupt nicht", erklärte Pal Dardai schon beinahe beschwörend vor der Partie gegen RB Leipzig. Und Arne Friedrich schlug den Bogen vom beinahe geglückten Bielefelder Sieg beim Rekordmeister zur eigenen Mannschaft: „Jeder kann in der Bundesliga im Moment gegen jeden gewinnen, auch wir gegen den Tabellenzweiten", so Herthas Sportdirektor.
Kader nicht auf Abstiegskampf ausgerichtet
Dabei waren die Aussichten vor der Begegnung auf Zählbares gleich null – nicht nur wegen der horrenden Statistik der Blau-Weißen zu Hause gegen RB: Alle vier Duelle im Olympiastadion gingen durch die Bank deutlich verloren, das Torverhältnis von 5:17 sprach Bände. Dazu hatte der Tabellenzweite nach der Niederlage von Bayern München in Frankfurt tags zuvor die Riesenchance, mit einem Dreier wieder ins Meisterrennen einzugreifen. Sicher bestätigte die 2:3-Niederlage der Leipziger in Mainz am 18. Spieltag Arne Friedrichs These – doch in Bezug zu Hertha BSC relativierte der 41-Jährige deren Gültigkeit: „Bei uns ist es eine etwas andere Situation", erläuterte er den Unterschied zu den Konkurrenten im Tabellenkeller, „wir haben einen Kader, der nicht unbedingt darauf ausgerichtet ist, gegen den Abstieg zu spielen." Eine Tatsache, die auch Trainer Dardai zuletzt betont hat – damit bewegen sich beide Verantwortliche auf einem schmalen Grat. Auch wenn die Analyse sich als durchaus zutreffend erweist und die Mannschaft dadurch in Schutz genommen wird, darf sie auf der anderen Seite nicht unterschwellig zu einem Alibi für die Spieler werden. Letztlich sollte sich die Bestandsaufnahme jedoch auch gegen RB Leipzig wieder bestätigen: Unter dem Strich blieb Hertha BSC offensiv wieder zu wenig konsequent (jetzt acht Tore in den letzten zwölf Spielen), um dem Sonntagsschuss von Marcel Sabitzer rechtzeitig Zählbares entgegenzusetzen. Zum Schluss schlichen sich dann auch wieder Fehler ein, die zum deutlichen 0:3-Endstand führten.
In der Trainingswoche zuvor hatte Pal Dardai und sein Trainerteam speziell das Thema „Standardsituationen" umgetrieben: Schließlich wiesen die Statistiken hier gleich in doppelter Hinsicht Liga-Tiefstwerte aus. Nur zwei Treffer gelangen Hertha BSC nämlich in dieser Spielzeit nach einem Freistoß – bei insgesamt 97 Eckbällen blieb man sogar ganz ohne Torerfolg. Dazu entstanden 15 von bis dahin 37 Gegentoren aus ruhenden Bällen, was ebenfalls einen Negativrekord in der Bundesliga bedeutete. Deswegen war die Losung, die Herthas Übungsleiter vor der Partie gegen Leipzig für die Defensive ausgab, so simpel wie eindeutig: „Kein Standardtor, kein Flankentor – dann haben wir eine Chance zu Hause gegen einen Topgegner wie Leipzig." Sabitzers Volltreffer, der RB in einem bis dahin ausgeglichenen Spiel auf die Sprünge half, sollte sich jedoch dem vorgegebenen „Verhaltenskodex" entziehen. Zu dem Zeitpunkt hätten die Hauptstädter sogar bereits führen können, doch Lukas Klostermann verhinderte in letzter Sekunde den möglichen Treffer von Dodi Lukebakio.
Überraschung blieb aus
Was hingegen die eigenen Eck- und Freistöße betrifft, so ließ man diese in der Übungswoche auch verstärkt trainieren – Co-Trainer „Zecke" Neuendorf brachte neue Ideen zu dem Thema ins Spiel, und Kandidaten wie Matheus Cunha, Vladimir Darida oder Maximilian Mittelstädt schlugen Flanke um Flanke. Gegen die stabilen Leipziger aber konnten die Blau-Weißen auf diese Weise kaum Gefahr hervorrufen. Mit Marvin Plattenhardt fehlt dazu ein weiterer Standardspezialist seit Wochen verletzt – überhaupt blieb das Lazarett der Blau-Weißen auch gegen Leipzig mit Dedryck Boyata, Jordan Torunarigha (beide Abwehr), Javairo Dilrosun (offensive Außenbahn) und Jhon Cordoba (Angriff) prominent besetzt. Dazu gesellte sich noch Winterzugang Nemanja Radonjic, der in der Woche vor dem Heimspiel wegen Leistenproblemen kaum trainieren konnte und deshalb zunächst auf der Bank Platz nahm. Dafür hatte sich Pal Dardai entschieden, Sami Khedira von Beginn an spielen zu lassen – eine richtige Entscheidung, wie sich herausstellen sollte. Erst als der noch nicht restlos fitte Weltmeister von 2014 nach 70 Minuten den Platz verlassen hatte, schlichen sich bei den Berlinern die schwereren Fehler ein. Ausgerechnet der für Khedira eingewechselte Matteo Guendouzi ließ sich – kaum auf dem Platz – im eigenen Strafraum den Ball abjagen und Nordi Mukiele bestrafte die unbedachte Aktion des Franzosen mit dem vorentscheidenden 0:2. Dem Schlusspunkt zum 0:3-Endstand war dann doch auch wieder ein Eckball vorausgegangen, den die Herthaner einmal mehr nicht energisch genug verteidigten und damit Willi Orbans Kopfballtor begünstigten.
So blieb die erhoffte Überraschung gegen den Champions-League-Teilnehmer aus – und am Sonnabend beim VfL Wolfsburg spricht erneut wenig dafür, dass diese gelingt. Der Tabellendritte gehört aktuell schließlich zu den formstärksten Teams der Bundesliga: Seit acht Partien ist man unbesiegt und hat dabei 18 Punkte geholt – so viele, wie Hertha BSC bislang in der gesamten Spielzeit. Dazu haben die Wolfsburger schon mehr als sechs Spiele kein Gegentor mehr zugelassen. Es sieht also ganz danach aus, dass es sich wie bei RB Leipzig um einen Kontrahenten handelt, der noch „einen Tick zu weit" (Pal Dardai) für Hertha BSC ist. Vielleicht aber macht das Team ja durch den erneuten Härtetest zumindest einen weiteren Schritt im Lernprozess, der dann im folgenden Heimspiel gegen Augsburg auch mal wieder zu drei Punkten führen könnte.