Unmengen an Pappkartons, von denen die wenigsten wiederverwertet werden, tun dem Klima nicht gut. Start-ups experimentieren daher mit Versandtaschen und einem Paketpfand.
Die Papiertonnen fassen die Kartons nicht mehr. Paketboten fahren auf ihren Sackkarren turmhohe Stapel zu den Hauseingängen – Verpackungen. Zwar sollen sie alle über den grünen Punkt wieder in die Kreislaufwirtschaft eigespeist werden, aber auch die Wiederverwerter ersticken an der schieren Menge. Etwa 2,2 Millionen Pakete landeten im vergangenen Jahr bei den Verbrauchern in Deutschland, 320 Millionen mehr als im Jahr davor. Die Corona-Pandemie hat für das Onlineshopping wie ein Turbo gewirkt. Und was soll man auch tun? Wo soll man denn eine Ersatzpatrone für den Tintendrucker oder angesichts der arktischen Kälte einen warmen Pullover herbekommen, solange die Läden zu sind?
Dem Klima tut das nicht gut. Die Lieferfahrzeuge sind meist Diesel, die neben CO2 jede Menge Stickoxide und Feinstaub ausstoßen. Experten haben berechnet, dass bei einem Bully gut sechs Tonnen CO2 pro Jahr zusammenkommen. Laut Umweltbundesamt kommen für jede Versandverpackung noch einmal bis zu 900 Gramm CO2 dazu.
Zumindest, was die Transportkosten angeht, gibt es bereits Verbesserungsmöglichkeiten. Paketabholstationen lassen die Kunden die Pakete selbst nach Hause schleppen. Lastenfahrräder bringen sie für die letzten Kilometer bis vor die Haustür. Ein Berliner Lastenradhersteller hat 18 neue Cargo-Bikes in der Berliner Innenstadt im Einsatz. Das sind dreirädrige, pedalgesteuerte Fahrzeuge – Räder kann man sie kaum mehr nennen – mit zwei Elektromotoren, einer wetterfesten Kabine, ergonomischen Sitzen und einem Rückwärtsgang. Zusteller kommen auf ungefähr 30 Kilometer pro Akkuladung. Sie holen die Pakete in Boxen ab, die sich auch in S- und U-Bahnstationen befinden können.
Aber die Kartons selbst? Wie schafft man es, deren Zahl zu verringern? Mit einem Pfandsystem zum Beispiel. Juha Mäkelä, Petri Piirainen und Jonne Hellgren aus Finnland hatten mit Repack die Idee. Die drei arbeiteten in Helsinki gemeinsam in einer kleinen Design-Agentur mit Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit. 2011 entwickelten sie bis zu 20-mal wiederverwendbare Versandtaschen für den Onlinehandel. Der Kunde wählt beim Onlineshopping Repack entweder als gewünschte Verpackung aus oder der entsprechende Shop nutzt Repack als Versandoption. Es gibt drei verschiedene Verpackungsgrößen.
Der Briefkasten ist die Pfandbox
Nach dem Auspacken klebt der Kunde das beigelegte Rücksende-Etikett auf die Versandtasche, faltet sie auf Briefformat und wirft sie in den Briefkasten. Im Austausch gibt es dafür Pfand in Form eines Gutscheins für den nächsten Repack-Versand in einem teilnehmenden Onlineshop zurück. Mittlerweile ist das Unternehmen in Hamburg und Amsterdam aktiv und verzeichnet rund 100 E-Commerce-Kunden.
Die Gründer arbeiten hauptsächlich mit Händlern aus der Textilbranche zusammen, da sie zu einem der wichtigsten Bereiche im Onlinehandel zählt und die Produkte noch dazu verhältnismäßig unempfindlich sind. Im Herbst 2019 startete eine Testphase mit Zalando. Seit Herbst 2020 erproben auch die Onlineshops von Otto, Tchibo und Avocadostore Mehrweg-Versandtaschen des Herstellers Repack (www.originalrepack.com). Laut „Tagesspiegel" liegen nun erste Ergebnisse vor: 75 Prozent der Kunden schickten die Mehrweg-Taschen zurück. Von 15.000 in Umlauf gebrachten Taschen können also etwa 11.250 erneut verwendet werden und 3.750 Taschen landeten im Müll. Ein Otto-Pressesprecher zeigte sich positiv überrascht und sagte zum „Tagesspiegel": „Wir hatten mit einer geringeren Rücksendequote gerechnet."
Der Test läuft derzeit noch. Testleiter Till Zimmermann wird mit den Worten zitiert, dass die zentrale Herausforderung sei, Kunden zum Zurückschicken der Verpackungen zu bewegen. Wenn immer nur drei Viertel Prozent zurückgeschickt würden, wären die 15.000 Taschen nämlich nach zehn Versanddurchläufen nahezu aufgebraucht. Das ist nicht im Sinne der Erfinder. Die Haltbarkeit sollte bei 20 Durchläufen liegen.
Die Wiederverwendbarkeit steht auch bei „Box at Work" im Vordergrund, einem deutschen Start-up, das dem zweiten großen Kartonfresser an den Kragen will: dem Umzug. Zehn Millionen Menschen haben in Deutschland im vergangenen Jahr die Wohnung gewechselt. „Ich bin auch immer viel umgezogen", erklärt Gründer Gerrit Jan Reinders. „Mal rissen dabei die Boxen ein, wurden nass oder lagen nach dem Umzug zwei Jahre sinnlos herum." Dann wanderten sie in den Müll.
Genervt von der Karton-Situation traf sich Reinders 2013 erstmals mit Investoren, konkretisierte seine Pläne und bietet inzwischen seine wiederverwendbaren Umzugskisten in Berlin und Umland an. „Unsere Geschäftsidee zeichnet besonders aus, dass sie einfach ist", sagt Lisa Broersen, die Marketingfrau im Team. „Der Kunde kann mit wenigen Klicks Lagerraum oder Umzugskisten mieten. Den Rest des Prozesses erledigen wir. So muss der Kunde seine Sachen nicht zu dem Lagerraum bringen, nicht in ein Einkaufszentrum gehen, um Umzugskartons zu kaufen, oder schwer schleppen. Unsere Umzugskisten werden in die Wohnung geliefert, und dort holen wir sie auch wieder ab." Warum Kunststoff? „Wir haben auch über andere Materialien nachgedacht, aber die Kunststoffkisten kann man 400-mal benutzen, einschmelzen und danach neue Kisten daraus machen."
Ob die neuen Modelle im Versandhandel und zur Kartonvermeidung wirklich laufen, ist noch offen. Wenn Repack immer nur einen Teil der Verpackungen zurückbekommt, wird sich das irgendwann nicht mehr lohnen. Und „Box at Work" funktioniert bisher nur auf dem begrenzten Markt von Berlin. Trotzdem drängen immer wieder neue Tüftler auf den Markt und wollen den Versandhandel revolutionieren.
Intelligente Kartons überwachen den Inhalt
„Livingpackets" ist ein deutsch-französisches Start-up, das intelligente Pakete, die 1.000-mal wiederverwendbar sind, entwickeln will. Die Wunderkartons sind ans Internet angebunden und lassen sich mit einer App verfolgen. Sie haben eine integrierte Kamera und Sensoren, die den Paketinhalt überwachen, und werden mit einem Schloss gesichert. Natürlich kostet das alles Geld, die Erfinder rechnen mit zwei bis drei Euro für ein Paket, die der Nutzer zahlen müsste.
Ein anderes Berliner Start-up produziert gleich so, dass es den Versand mitdenkt. Kiezbett baut Massivholzbetten und Lattenroste mit Holz aus dem Grunewald, das umweltverträglich geschlagen und von einem lokalen Sägewerk verarbeitet wird. Der Versand erfolgt in Berlin und Potsdam emissionsfrei per E-Auto oder Lastenrad. Da das „Kiezbett" rund 60 Kilo wiegt, Fahrradkuriere aber nur Ladungen bis 24 Kilo transportieren dürfen, wird das Bett auf drei wiederverwendbare Versandtaschen aufgeteilt. Die werden vom Kurier bei der Lieferung gleich wieder mitgenommen und bei Kiezbett wiederaufbereitet.
Damit das hinhaut, wurden schon beim Design des Betts Verpackung und Transport berücksichtigt. Außerhalb Berlins senden die Kunden die Verpackung an Kiezbett zurück und erhalten im Anschluss 80 Euro Pfand wieder, Gleiches gilt für Selbstabholer. Die Kiezbett-Verpackung wird von der Post angenommen. Es werden also keine Kartonagen oder andere Einweg-Verpackungen für die Rücksendung benötigt. Zwar sind 1.500 Euro für ein Doppelbett plus 85 Euro Versandgebühr keine Kleinigkeit, sondern eher etwas für die Besserverdienenden unter den umweltbewussten Kunden. Aber gerade bei den Umweltbewussten muss es ja irgendwann einmal anfangen, wenn sich etwas ändern soll.